Die Justizvollzugsanstalt Erlenhof in Euskirchen ist familienfreundlich. Zu Weihnachten gab es ein extra Fest für inhaftierte Väter.
ErlenhofSo feiern inhaftierte Väter in der JVA in Euskirchen Weihnachten
„Es war ein sehr schöner Nachmittag.“ Ein alltäglicher Satz. Ein Satz, den wohl so ziemlich jeder Vater schon mal zu seinen Kindern gesagt hat, wenn man gemeinsam die zurückliegenden Stunden Revue passieren lässt. „Es war ein sehr schöner Nachmittag“, sagt auch Emre S. (Name von der Redaktion geändert). Für den 33-Jährigen ist der Satz alles andere als alltäglich. Er verbüßt seine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Erlenhof in Euskirchen.
An diesem Nachmittag bastelt er zum ersten Mal überhaupt mit seinen Kindern. Und das kurz vor Weihnachten. Und das im Gefängnis. Mit seinen Kindern bemalt er Holznikoläuse und bekommt ein Glitzertattoo auf den Handrücken – natürlich direkt neben seine echte Tätowierung. S. hat mit Betäubungsmitteln gehandelt und verbüßt noch etwa zwei Jahre seiner Strafe im offenen Vollzug. Für zwei Stunden kann er den Knastalltag hinter sich lassen.
JVA Erlenhof in Euskirchen ist familienfreundlich
Das erste Mal mit Sohn oder Tochter in vorweihnachtlicher Atmosphäre zu basteln – im Amtsdeutsch des Strafvollzugs heißt das: „Familiennachmittag im Rahmen der familiensensiblen Vollzugsgestaltung“. Klingt so weihnachtlich wie zehn Grad und Nieselregen an Heiligabend, ist aber für die Betroffenen ein sehr emotionales Erlebnis.
Wie das Programm heißt, das Jennifer Rybarczyk, Anstaltsleiterin der Justizvollzugsanstalt Euskirchen, mit ihrem Team ermöglicht, interessiert an diesem Nachmittag keinen. Es geht darum, diese Zeit zu genießen. Bis das möglich ist, vergehen mitunter lange Minuten. Was sagt man seinen Kindern, wenn sie einen im Gefängnis besuchen? Was sagt die Mutter, wenn sie mit ihrer Tochter nach zwei Stunden wieder gehen muss und nicht weiß, wann das Kind den Vater das nächste Mal sehen kann?
Gefängnis: Inhaftierte Väter in Euskirchen werden in ihrer Vaterrolle unterstützt
„Eine Universalantwort auf die Fragen gibt es nicht“, sagt Anstaltsleiterin Rybarczyk. Aber man könne es Eltern leichter machen – beispielsweise mithilfe von zahlreichen Angeboten, die es im Erlenhof gibt. Der firmiert nämlich als JEF. Die Abkürzung steht für „Justizvollzugsanstalt Euskirchen Familienfreundlicher Vollzug“.
„Wenn ein Vater inhaftiert wird, geraten die betroffenen Familien häufig in eine besonders schwierige Lebenssituation, die mit finanziellen Einschränkungen und sozialen sowie psychischen Belastungen einhergeht“, sagt Rybarczyk. Durch die Inhaftierung werde der gewohnte Kontakt zur Familie für einen längeren Zeitraum unterbrochen. Es sei dann nicht einfach, Kontakt zu halten und füreinander da zu sein, so die Anstaltsleiterin.
„Wir haben früher die Familien als Mittel zum Zweck gesehen. Als haltgebenden Faktor für den Inhaftierten – wenn er von der Familie unterstützt wird“, sagt sie: „Das machen wir immer noch. Auch wenn er natürlich Straftaten begangen hat, obwohl er Familie hat, kann dies dennoch positiven Einfluss auf den Menschen haben.“
Die Familien sollen so wenig wie möglich belastet werden
Aber die Sichtweise habe sich geändert. Jedes staatliche Handeln müsse, abgesichert durch Gesetze, darauf abzielen, dass möglichst wenig in die Rechte von Kindern eingegriffen wird. „Der Staat ist verpflichtet, seine Zwangsmaßnahmen so zu gestalten, dass Familien, also Nichtbetroffene, möglichst wenig belastet werden“, erklärt die Juristin.
Deshalb gebe es im Erlenhof beispielsweise möglichst lange und vielfältige Besuchszeiten. Die seien bewusst auch am Nachmittag, damit Kinder nach dem Schulunterricht dabei sein können. Zudem gebe es Info- und Gesprächsangebote in der eigens eingerichteten Vätergruppe. Da wird Rybarczyk zufolge über Unterhalt, aber auch über die Vaterrolle selbst gesprochen.
„Vielleicht sind die Bedürfnisse des Kindes und des Vaters nicht deckungsgleich, das muss aber erstmal erkannt werden“, sagt die Juristin, die im vergangenen Jahr das erste Mal ein Weihnachtsfest für inhaftierte Väter angeboten hatte. Das Interesse daran sei zunächst groß gewesen. Als der Termin näher rückte, habe sich aber einer nach dem anderen zurückgezogen. Am Ende sei eine Familie übrig geblieben.
Davon ließen sich aber weder Rybarczyk noch Martina Kreutzjans, Leiterin des Sozialdienstes an der JVA, und Britta Schmitz vom Sozialdienst entmutigen. Auch, weil sich der Aufwand für die leuchtenden Augen der einen Familie gelohnt habe. Also planten sie erneut einen Familiennachmittag im Advent.
Euskirchen: Zehn Familien nehmen an Weihnachten in der JVA teil
Mit Erfolg: Diesmal stimmen sich mehr als zehn Familien in dem ungewöhnlichen Ambiente gemeinsam aufs Weihnachtsfest ein. Um möglichst viel Alltag ausblenden zu können, haben die Mitarbeiter den Garten- und Landschaftsbereich der JVA weihnachtlich hergerichtet. Unterstützt von den Inhaftierten, die nicht nur Bierbänke in Reih und Glied gerückt, sondern auch den Raum weihnachtlich dekoriert haben. Neben der seelischen Wärme durch die Familienmitglieder lodert auch wärmendes Feuer.
Die JVA-Mitarbeiter aus dem Metallbereich haben eigens eine Feuerschale hergestellt, die im Außenbereich steht. Dort gibt es gegrillte Würstchen, während es im Inneren des Garten- und Landschaftsbereichs nach Kakao und Waffeln duftet – beides darf bei einem Weihnachtsfamiliennachmittag nicht fehlen. Es wird gelacht, es wird auch schon mal eine Träne verdrückt.
„Es ist etwas Besonderes“, sagt Melanie K. (Name geändert). Auch sie will nicht mit richtigem Namen in der Zeitung genannt werden, weil nur die allerwenigsten wissen, dass ihr Mann in Haft sitzt. Ihrem Sohn habe sie zunächst erzählt, dass Papa auf längerer Montage sei. Dieses Konstrukt sei irgendwann zusammengebrochen. Auch auf ihren Wunsch hin.
Blickwinkel der Kinder spielt eine wichtige Rolle
„Ich wollte nicht auch noch meinen Sohn verlieren, wenn er erfährt, dass ich ihn lange Zeit angelogen habe“, sagt sie. Deshalb habe sie sich für die Wahrheit entschieden. „Der vollkommen richtige Weg“, sagt sie. Ihr Sohn habe das zunächst nicht verstanden. Mittlerweile sei das anders. „Auch, weil die JVA uns auf diesem Weg unterstützt“, berichtet die 27-Jährige.
Für Anstaltsleiterin Rybarczyk spielt bei der Organisation des Familiennachmittags im Gefängnis auch der Blickwinkel des Kindes eine wichtige Rolle. „Die Kinder sollen sehen, dass sie nicht allein sind. Es gibt noch mehr Kinder, deren Väter im Gefängnis sitzen“, erklärt sie.
Schätzungen zufolge gibt es laut der Anstaltsleiterin deutschlandweit rund 100.000 Kinder, die damit leben müssen, dass ein Elternteil in Haft ist. Bei mehr als 80 Prozent sei es der Vater.
„Super, dass die JVA so etwas anbietet und ich Zeit mit meinen Kindern verbringen konnte“, freut sich Sascha B. (Name geändert). Auch er sitzt wegen Handels mit Betäubungsmitteln im Erlenhof eine Haftstrafe ab. Man könne natürlich sagen, dass er kein guter Vater sei, weil er billigend in Kauf genommen habe, seine Kinder nicht aufwachsen sehen zu können.
Väter lesen für Kinder, Texte werden auf Tonie-Figur aufgenommen
Ja, er habe eine Dummheit begangen. Er habe Verbrechen begangen, um seiner Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Dass er genau das Gegenteil erreicht habe, tue ihm sehr leid. Deshalb genieße er jede Sekunde des Familiennachmittags, jedes Kuscheln mit seinen Kindern. Er hoffe, die Momente konservieren zu können.
Seinen Kindern kann der Häftling zumindest seine Stimme mitgeben. Im Familienfreundlichen Vollzug heißt nämlich ein Projekt „Ich lese für dich“. Dabei lesen Väter Geschichten für ihre Kinder, die digital aufgezeichnet werden – beispielsweise auf einem Tonie. Die kleinen Figuren mit einem eingebauten Speicher können auf die entsprechende Box gestellt werden. Die gesprochenen Texte können immer und immer wieder angehört werden. „Das Projekt kommt sehr gut an. Es ist unheimlich schön und ermöglicht auf einfache Art und Weise, einfach Vater zu sein“, sagt Rybarczyk. Und das sei gerade zu Weihnachten unheimlich wichtig.
Apropos Weihnachten: Etwa 20 Insassen des Erlenhofs dürfen zu Hause Weihnachten feiern. Der Grund: die jährliche Weihnachtsamnestie des Landes. Häftlinge, deren Haftstrafe zum 6. Januar geendet hätte, durften bereits am 15. November die Justizvollzugsanstalt verlassen.
Rocker flüchtete aus Erlenhof nach Spanien
Seine Flucht sorgte vor knapp einem Jahr für Aufsehen. Der mutmaßliche Chef einer Kölner Rockergruppe, der nach Schüssen am Kölner Hauptbahn 2020 zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden war, flüchtete kurz vor Weihnachten 2022 aus der Justizvollzugsanstalt Erlenhof. In einem Papier des Düsseldorfer Landtags werden Details zu der Flucht enthüllt.
Anfang November 2021 kam der Chef der Bandidos in Haft, kurz vor Weihnachten 2022 wechselte er in den Offenen Vollzug und kam in einen Trakt ohne vergitterte Fenster. Demnach ließ die Haftanstalt nach einem Drogenfund 16 Gefangene zum Urintest antreten. Das Ergebnis: Der Rockerboss hatte Drogen genommen. Er kletterte laut Bericht aus dem Fenster seiner Zelle und setzte sich nach Spanien ab. Im vergangenen Oktober wurde er in Malaga festgenommen. Nach Angaben der Kölner Staatsanwaltschaft sitzt er seit Anfang November in spanischer Auslieferungshaft.
„Der offene Vollzug zeichnet sich gesetzlich dadurch aus, dass es keine oder geringere bauliche Fluchthindernisse vorhanden sind“, sagt Anstaltsleiterin Jennifer Rybarczyk: „Die Gefangenen haben hier schon viel mehr Freiheiten, als beispielsweise in Rheinbach.“
JVA Euskirchen: Keine Gefangenen mehr im Keller
Mehr als zweieinhalb Jahre nach der Flut sind in der Justizvollzugsanstalt Euskirchen noch nicht alle Flutschäden beseitigt. „Teilweise liefen hier 140 Bautrockner gleichzeitig“, berichtet Anstaltsleiterin Jennifer Rybarczyk. Auf dem Erlenhofgelände wird aktuell noch ein Gebäude umgebaut. Das habe etwas mit einer Grundsatzentscheidung zu tun.
„Wir werden keine Gefangenen mehr im Keller unterbringen. Bei der Flut standen einige Hafträume unter Wasser. Das soll nicht mehr vorkommen“, so Rybarczyk: „Die Räume sind dort vergittert. Und weil wir keinen Strom hatten, wären die Gitter nicht mehr zu öffnen gewesen. Zum Glück war dieser Bereich am 14. Juli leer.“ Im Laufe der Flutnacht lief das Wasser der Erft in alle Keller der Justizvollzugsanstalt. „In einem Haus stand zudem das Erdgeschoss unter Wasser. Dadurch war unsere komplette Technik lahmgelegt“, so die Erlenhof-Chefin.
Die ersten Gefangenen seien am 1. Dezember 2021 wieder in der JVA gewesen. „Ohne unsere Bediensteten hätten wir das so nicht geschafft. Sie haben Unglaubliches geleistet“, sagt Anstaltsleiterin Rybarczyk. Aktuell sind etwa 330 Häftlinge im Erlenhof untergebracht.