Matts Gross wird seit sieben Jahren vor der Kamera erwachsen. Bei „Wir werden groß“ von VOX stand nun der erste Urlaub ohne Eltern an.
Ein bisschen wie die Truman-ShowMatts aus Großbüllesheim ist Star bei einer VOX-Doku
Ferien ohne Eltern? Saucool für die Jugendlichen, Stress für die Erziehungsberechtigten. Vor allem dann, wenn auch noch 30 Kameras vom Fernsehsender VOX im Haus und Garten installiert sind. Matts Gross aus Großbüllesheim ist einer von zwölf Jugendlichen, die beobachtet von Kameras, in den vergangenen sieben Jahren ein kleines bisschen erwachsen geworden sind.
Seit dem Matts fünf Jahre alt ist, machen er und seine Eltern Nici und Steven bei der Langzeit-Dokumentation „Wir werden groß“ des Fernsehsenders mit. Nun stand der bisherige Höhepunkt an: Urlaub in den Niederlanden, nur einen Steinwurf von der Nordsee entfernt.
Mit einem Facebook-Post fängt bei der VOX-Doku alles an
Mitmachen bei der Doku darf Matts, obwohl er gar nicht frech ist. Das war nämlich vor sieben Jahren eigentlich ein Kriterium des Fernsehsenders. Zumindest stand es so im Post auf Facebook. Gesucht wurde ein fünf Jahre alter Junge, der nicht lieb ist. Matts Mutter Nici Gross entdeckte den Post und antwortete, dass sie einen fünfjährigen Sohn habe, der aber alles andere als frech sei. Genommen wurde er trotzdem.
Ein Glücksfall für die Doku: Mit seiner freundlichen und besonderen Art sorgte Matts direkt für Aufsehen und beeindruckte auch die beiden Entwicklungspsychologen, die die Kinder und Eltern begleiten und die für die Zuschauer das Verhalten der jungen Protagonisten immer wieder einordnen.
Zwölfjähriger beeindruckt Markus Lanz mit seiner Empathie
Rückblick auf einen Serienteil: Die Fünfjährigen mussten sich im Kindergarten möglichst viele Gegenstände merken, die für einen gewissen Zeitraum zu sehen waren. Jungen gegen Mädchen. Die siegessicheren Mädels zogen den Kürzeren und erhielten keine Gummibärchen. Das sorgte für viele Tränen bei den Verliererinnen. „Ich wollte, dass niemand traurig ist und habe meine Gummibärchen abgegeben“, erinnert sich Matts. Ein Fünfjähriger, der freiwillig Gummibärchen abgibt?
Dieses emphatische Verhalten beeindruckte nicht nur die Experten, sondern auch Markus Lanz. Der Fernsehmoderator lud Matts Eltern Nici und Steven in seine Sendung nach Hamburg ein. „Das war schon eine spannende Erfahrung“, erinnert sich die Mutter. Aber das Talkshow-Sofa mit Edmund Stoiber oder Schauspieler Hannes Jaenicke zu teilen, sei nicht die Intention gewesen, Matts ins Castingrennen für die Langzeitdoku zu schicken, versichern die Eltern.
Der Grund war ein anderer: „Die Chance, Mäuschen spielen zu können, wenn wir Eltern nicht dabei sind, bekommt man nicht allzu häufig“, sagt Nici Gross. Es sei die Neugier gewesen, wie sich Matts in verschiedenen Situationen verhält – vermeintlich unbeobachtet und außerhalb der gewohnten Umgebung. Ein Drang, der viele Eltern immer mal wieder überkommt.
„Wir wollen verstehen, was Kinder beschäftigt. Warum sie so sind, wie sie sind“, erläutert Entwicklungspsychologe Professor Moritz Daum von der Universität in Zürich die Motivation für die Serie. Seine Kollegin Sabine Pauen, Professorin in Heidelberg, ergänzt: „Wir machen die Dokumentation, damit Eltern auch mal zuschauen können, wie es bei anderen Kindern läuft und sie sehen, wie Kinder und Jugendliche ihren Weg finden, wenn bestimmte Rahmen und Weichen gestellt sind.“
Doch verhält man sich wirklich ganz normal, wenn man weiß, dass man von Kameras aufgenommen und von Experten beobachtet wird? Am Anfang habe er darüber überhaupt nicht nachgedacht, sagt Matts. Er sei einfach er selbst gewesen, so der inzwischen Zwölfjährige, der das Gymnasium besucht, gerne Skateboard fährt und Fußball bei den Sportfreunden Wüschheim-Büllesheim spielt.
Heute sei das anders, räumt er ein. Vor allem, wenn es um den Gebrauch von Wörtern gehe, die eigentlich aus dem Wortschatz von Teenagern nicht wegzudenken sind. Etwa, wenn englische und deutsche Wörter vermischt werden. Aus dem „Ja, klar“ ist in der Jugendsprache längst ein „Safe“ geworden. Aus dem „Alles gut, bleib mal locker“ ein „Chill mal dein Leben“.
Jugendsprache kommt bei Eltern von Matts nicht gut an
Und „ungewöhnlich“ ist bei Teenagern schon lange nichts mehr. Es heißt „weird“ oder „cringe“. Vor allem aber endet fast jeder Satz mit einem „Digga“ oder „Alter“. „Diese Ausdrücke vermeidet Matts vor der Kamera. Sehr zur Freude seiner Eltern, denn die fremdeln mit der Jugendsprache hier und da. Deshalb sei das Elternhaus auch eine Digga-freie-Zone, betont Mutter Nici. Das sei safe...
Dass Matts mit dem Fernsehteam und den anderen Jugendlichen in Urlaub fährt, war lange unklar. Der Grund war ein Streit mit Mert. Beide Jungs kennen sich seit der zweiten Staffel der Doku und sind im vergangenen Jahr ordentlich aneinandergeraten. Sie hatten sich um eine mit Wasser gefüllte Sprühflasche gestritten.
Was folgte, waren gegenseitige Provokationen und schließlich Schläge und Tritte von Mert. Die hinterließen Spuren, auch bei den Eltern, die den Kontakt zueinander abbrachen. Im Urlaub nahm Matts nun vor den Kameras Revanche. Beim Planken hatte der Großbüllesheimer mehr Kraft als Mert. Mehr als zwei Minuten hielt Matts es im Unterarmstütz aus.
Streit mit Mert lässt Matts fast bei „Wir werden groß“ aussteigen
Planken ähnelt dem Liegestütz. Man stützt sich bei der Planke aber nicht auf den Händen ab, sondern auf den Unterarmen. Das Duell ging eindeutig an den Großbüllesheimer. Ob Mert nun seinerseits auf Revanche sinnt? Das verrät Matts im Gespräch nicht. Spoilern ist eben verboten. Was aber verraten werden darf: Im zweiten Teil der diesjährigen Staffel geht es unter anderem um Sexualerziehung. Und auch die Homestory wird am Dienstag ab 20.15 Uhr auf VOX zu sehen sein.
„Am Anfang haben die Dreharbeiten fast einen ganzen Tag gedauert. Mittlerweile geht es schneller“, sagt Nici Gross. Das habe mit dem jetzigen Alter der Protagonisten zu tun. Wie die gesamte Folge aussieht, wissen die Eltern nicht. Lediglich die Teile, in denen ihr Sohn zu sehen ist, bekommen die Erziehungsberechtigten im Vorfeld gezeigt und sollen diese kommentieren. Das ist das auch die Möglichkeit für die Eltern einzugreifen. „In all den Jahren gab es nur eine Szene, die wir rausgeschnitten haben wollten“, sagt Vater Steven. Diesem Wunsch sei die Produktionsfirma sofort nachgekommen.
„Uns ist wichtig, dass Matts später wegen keiner Szene einen Nachteil hat“, so Mutter Nici. Nach eigenen Angaben achten die Eltern darauf, wie viel Zeit die drei Kinder am Handy oder der Konsole verbringen. Dass sie ihn mit fünf vor die Kamera „gezerrt“ haben, stört Matts nicht. Mittlerweile ist er sogar stolz darauf. „Meine Lehrerin kannte mich schon vor der Einschulung aus der Fernsehsendung“, sagt er. Und so ein bisschen wie ein Star-fühlen ist dem Zwölfjährigen auch nicht ganz abzusprechen. „Meine Freunde haben mir schon während der Sendung geschrieben“, berichtet er.
Die Doku soll bis zur Volljährigkeit der Kinder fortgesetzt werden. Ob Matts bis dahin dabei bleibt? „Das verhandeln wir im Familienrat von Jahr zu Jahr. Es muss passen und vor allem muss Matts es wollen“, sagt Nici Gross.
Unter Erziehern wird die Doku ebenfalls geschaut. „Es ist schön zu sehen, dass die Kinder sich in solchen extremen Situationen verhalten wie in einem normalen Kindergarten. Auch wir merken hier, dass Erziehung und Elternhaus die Kinder extrem prägen“, urteilt die Erzieherin einer Euskirchener Kita.
Entwicklungspsychologe Professor Moritz Daum sagt zur aktuellen Staffel: „Die wichtigste Frage in dieser Phase des Lebens ist: Wer bin ich. Diese Frage stellen sich auch die Eltern. Auch sie wollen wissen, wer ihr Kind ist, wie es wird.“ Und wie will ein Zwölfjähriger werden? „Ich will einfach ich bleiben. Matts“, sagt er. Auf ein Digga oder safe verzichtet er dabei.