Die Clique der rüstigen Rentner trainiert seit zehn Jahren gemeinsam. Der Kaffee vor dem Sport ist dabei wichtiger als das Pumpen selbst.
Senioren im FitnessstudioDie Enkel sind für Euskirchener größere Motivation als Instagram
Kaffee statt Proteinshake. Zeitung statt Instagram. „Social-Fitness“ statt Social-Media. Enkel als Motivation statt Follower. Gespräche statt Musik im Ohr. Für Karin, Gerda, René, Peter, Franz-Josef und Hubert ist der Besuch im Fitnessstudio „Das Gym“ in Euskirchen viel mehr, als Gewichte stemmen, um fit zu bleiben oder wieder zu werden.
„Natürlich“, sagt die 74-jährige Karin, „wollen wir etwas für unsere Gesundheit tun. Das hier hält uns jung – oder zumindest jünger.“ Aber es gehe beim Besuch in der Muckibude, wie die Kommernerin das Fitnessstudio im Gewerbegebiet bei Roitzheim liebevoll nennt, um etwas viel Wichtigeres: um Freundschaft.
Auch ein Brand im Fitnessstudio konnte die Clique nicht trennen
Meistens dreimal pro Woche macht sich die Seniorin auf den Weg nach Euskirchen – seit mehr als zehn Jahren. Damals habe sie Rücken gehabt, musste Reha-Sport machen und ihr sei das „Relax“ in Euskirchen an der Kölner Straße empfohlen worden. Dort lernte sie ihre Trainingspartner kennen, die sie auch heute noch motivieren, wenn es denn ab und zu mal sein muss.
Als dann das Fitnessstudio aufgrund eines technischen Defekts abbrannte, hätte sich jeder ein neues Studio suchen können. Vor allem für Karin wäre es einfacher gewesen, nicht mehr nach Euskirchen fahren zu müssen. Aber wie Freunde das eben machen – sie entscheiden gemeinsam. Und sie entschieden sich, weiter zusammen zu trainieren.
Mit 89 Jahren noch regelmäßig zum Kaffee und Sport ins Gym
Als dann das „Basic Wellness“ am Eifelring praktisch über Nacht dichtmachte, stand die Senioren-Clique wieder vor der Frage: und nun? Die Frage beantworteten sie erneut gemeinsam. „Seit dem trainieren wir hier“, sagt die 74-Jährige, die in der Fitness-Gang noch zu den jüngeren Hüpfern zählt.
Zu der gehört nämlich auch Hubert. Der Weidesheimer ist 89 Jahre alt. Aber zum alten Eisen gehört er noch lange nicht. Genau wie die anderen kommt auch Hubert mehrmals in der Woche ins Gym, um zu trainieren und sich zu einem Kaffee mit den Freunden zu treffen – manchmal sind es auch zwei: einen vor dem Training, einen danach.
Das Schöne am Gym sei, dass hier nicht nur jüngere Menschen einem Körperideal hinterherlaufen, das mitunter fragwürdig sei, so der 89-Jährige. „Hier sind auch viele Ältere. Hier kann man sich nur wohlfühlen“, so der Senior, der Kritik an der jüngeren Generation der Sportler übt. „Die sagen noch nicht mal ,Guten Morgen' oder ,Tschüss' in der Umkleide. Die Umgangsformen haben sich anscheinend mit den Jahren geändert“, sagt er und nippt an seinem Kaffee.
Der 90-jährige Karl fährt mit dem Pedelec ins Fitness-Studio
Der 89-Jährige ist im Gym aber nicht der älteste „Pumper“. Karl ist noch ein paar Monate älter und hat schon die 90 erreicht. Und im Gegensatz zu Hubert, der immer mit dem Auto aus Weidesheim in den Euro-Park fährt, kommt der 90-Jährige meist mit dem Pedelec ins Studio.
Wie man zum Training kommt, ist der Fitness-Clique egal – dass man kommt, ist viel wichtiger. „Wenn jemand zweimal in Folge nicht kommt, dann wird nachgefragt, ob etwas passiert ist“, sagt die 74-jährige Karin: „Ein paar aus unserem Trainingsteam sind bereits gestorben. Das ist alles andere als schön, aber der Tod gehört zum Leben dazu.“
Auch im Fitnessstudio sind schon mal Tränen geflossen. Während einer Übung hätten Hubert die Gefühle übermannt, sagt einer aus der Clique. Der Grund: der Kriegsbeginn in der Ukraine von rund 1000 Tagen.
René ist mit 59 der jüngste in der Euskirchener Rentner-Fitness-Gang
„Ich war so froh, als der Zweite Weltkrieg vorbei war und hatte gehofft, nie wieder Krieg in Euro erleben zu müssen“, sagt er. Das Handtuch, das zum Besuch im Fitnessstudio dazugehört, ist bei den Senioren nicht nur für den Schweiß da, sondern eben auch, um mal Tränen zu trocknen.
„Social Fitness“ nennt Peter das regelmäßige Treffen im Fitnessstudio. Neben der sportlichen Betätigung gehe es der Clique nämlich vor allem um die sozialen Kontakte, das Zwischenmenschliche und den Austausch über die unterschiedlichsten Themen. Da spiele die Wahl in den USA genauso eine Rolle, wie der Tod eines gemeinsamen Freundes, ein kleines Wehwehchen hier, ein kleines Wehwehchen da oder was in der Nachbarschaft los ist. „Die sozialen Kontakte sind gerade im etwas höheren Alter enorm wichtig. Niemand will doch allein sein“, sagt René, der mit 59 der jüngste der Rentner-Fitness-Gang ist.
Der Wüschheimer trainiert seit 40 Jahren. Vor allem in den vergangenen drei Jahren sei Sport für ihn wichtig geworden. „Ich habe in drei Jahren rund 30 Kilo abgenommen“, berichtet er. Das habe er für sich getan – und ein wenig für die Enkel. „Wenn der Siebenjährige auf den Bolzplatz will, da will ich doch mehr sein als nur der Grußopa, der da rumsteht“, erzählt René.
Soziale Kontakte sind wichtiger als sportlicher Ehrgeiz
Bei allem sportlichen Ehrgeiz, den der 59-Jährige noch hat: auch für ihn geht es mehr um die sozialen Kontakte. „Man kann von den Älteren so viel lernen. Das ist Lebenserfahrung pur, das sind so tolle Menschen“, so der Wüschheimer. Für einen Kaffee und ein nettes Gespräch hat auch Gerda immer Zeit. Allerdings ist die Oberwichtericherin so etwas wie der frühe Vogel der Clique. Wenn die anderen das Handtuch auf die Geräte legen, ist Gerda oft schon fast fertig mit ihrem Sportprogramm.
Der Sport halte sie auch geistig fit, sagt sie. Aber es gebe durchaus Tage, wo auch sie keine Lust auf Sport habe – oder zumindest leichte Motivationsprobleme. Doch wenn sie sich dann aufgerafft habe, sei das Gefühl nach dem Training noch ein bisschen schöner – und auch der Kaffee schmecke dann noch ein bisschen besser.
Der Deckel an der PET-Flasche ist wegen Arthrose eine Herausforderung
Der heute 75-jährige Peter hat sich kurz vor der Rente eine Liste gemacht, mit Dingen, die er nun angehen will. „Vieles habe ich bisher noch nicht verwirklicht. Aber Sport stand auch auf der To-do-Liste und es hat sich herausgestellt, dass das eine schöne Sache ist, um seinen Vormittag zu verbringen“, so der Senior, der arbeitsbedingt eine Verbundenheit nach Manchester hat und deshalb eine tätowierte Biene auf dem Oberarm trägt. Die hatten sich 2017 einige Menschen aus Solidarität nach dem Attentat bei einem Konzert der Popsängerin Ariana Grande stechen lassen.
Solidarität ist ein anderes Wort für Gemeinsamkeit. Gemeinsam geht auch die „Muckibuden-Clique“ durch Höhen und Tiefen. Und es werden auch alltägliche Probleme thematisiert, die vielen jüngeren Menschen vielleicht nicht auffallen. So kämpft Gerda mit dem Verschluss ihrer Wasserflasche. Sie habe Arthrose in den Fingern, sagt sie.
Und seitdem die Deckel der Flaschen mit dem Plastikring am Schraubgewinde verbunden bleibt, habe sie größere Probleme, die PET-Flaschen zu öffnen. Wie gut, dass sie ihre Clique hat. Die hat nämlich sofort aufmunternde Worte parat und habe ähnliche Erfahrungen gemacht, stimmt beispielsweise Karin zu.
Doch auf „Früher war alles besser“-Gespräche haben die rüstigen Senioren keine Lust. Da wird eher über aktuelle Politik diskutiert. Und früher sei auch nicht alles besser gewesen. Man müsse das Beste aus dem Leben machen, sagen sie. Und wie zum Beweis greifen sie zur Tasse Kaffee und einem Stück Schokolade. Der „Eiweißriegel“ ist eben vor allem süß – wer mit 70+ aber regelmäßig Sport macht, der hat sich das wohl verdient ...
„Es ist nie zu spät, mit dem Sport anzufangen“
„Es ist nie zu spät, mit dem Sport anzufangen“, sagt Fitnesstrainerin Caroline Löhrmann. Ältere Menschen hätten oft mit Angst zu tun. Dabei sei Sport auch im hohen Alter ein Gewinn. „Es geht dabei nicht um Dinge, wie viele Kilo man an einem Gerät bewegt, sondern darum, ob man Ausflüge der Enkel mitmachen kann oder ob man selbst zu den Enkeln fährt, weil man noch fit ist oder die Enkel zu einem kommen müssen“, sagt die 33-Jährige.
Eine gewisse Fitness im Alter habe aber auch andere Vorteile – beispielsweise beim Einkaufen, im Haushalt oder wenn man das Herzinfarktrisiko senken kann.
Der Verlust an körperlicher Aktivität führe zu einer vorzeitigen Alterung des Herz-Kreislauf-Systems. Die Herzfunktionen lassen nach. Ebenso schwächeln die Gefäße. Weitere mögliche Folgen können Stoffwechselstörungen sein, ein geschwächtes Immunsystem, Rheuma, Muskelschwund und Arthrose. Mit zunehmendem Alter fehle zudem die muskuläre Basis für den Erhalt der Mobilität und Selbstständigkeit.
„Es ist total spannend zu sehen, aus welchen Gründen die Senioren mit dem Sport beginnen. Aber jeder, der etwas tut, ist wichtig“, sagt Löhrmann: „Dabei muss man keine Rekorde mehr brechen, sondern zwei-, dreimal die Woche etwas Sport machen oder die Treppe statt den Aufzug nutzen, das hilft schon enorm.“
Viele ihrer „Senioren-Pumper“ kenne sie seit zehn Jahren. Da sei natürlich eine kleine Freundschaft entstanden. „Uns als Studio ist es wichtig, dass alle Generationen gerne hier hinkommen. Sport verbindet und Sport tut etwas gegen die Vereinsamung, auch wenn man gerne mal allein trainiert. Beim Kaffee oder dem Eiweißshake an der Theke geht es dann ums Soziale“, sagt die 33-Jährige.
Deshalb lege man im „Das Gym“ auch Wert auf eine gewisse Wohnzimmeratmosphäre mit den Sofas und Sesseln, um nicht nur den Muskelaufbau, sondern eben auch die Social-Fitness zu fördern.