Der Tod eines Wohnungslosen in Euskirchen hat die Szene zusammenrücken lassen. Mit der Caritas ist ein kleiner Gedenkort errichtet worden.
„Viel Leid gesehen“Euskirchen gedenkt gestorbenem Wohnungslosen
Ein weißes Holzkreuz, Kerzen, Blumen. Nichts Ungewöhnliches, um einem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Doch es ist kein Holzkreuz unter vielen auf einem Friedhof. Es wird gesehen. Von vielen Tausend Verkehrsteilnehmern, die in der Euskirchener Innenstadt auf der Gerberstraße unterwegs sind.
Auf dem Grünstreifen gegenüber des Penny-Markts ist der Gedenkort errichtet worden. Für einen, der auf der Straße lebte. Für einen, der nur 42 Jahre alt geworden ist. Die Polizei gibt den Verdacht einer Alkohol- und/oder Drogenintoxikation als Todesursache an. Im Verwaltungsdeutsch steht das für eine Überdosis.
Euskirchen: Tod des Wohnungslosen auch für die Szene überraschend
Der Tod des Wohnungslosen kam für die Szene überraschend, auch wenn der Mann seit Jahren drogen- und alkoholabhängig war. „Wenn jemand stirbt, dann ist das für uns hart. Das kann ich nicht anders sagen“, berichtet Maria Surges-Brilon, stellvertretende Vorstandsvorsitzende beim Caritasverband Euskirchen.
Das gehe an keinem im Team spurlos vorbei. Deshalb sei die kleine Gedenkstätte der Caritas, aber auch denjenigen, die den Toten kannten, ein Anliegen gewesen. Die ersten Kerzen und Blumen seien bereits wenige Stunden nach dem Tod des 42-Jährigen aufgestellt worden, sagt Surges-Brilon. Einige aus der Szene haben sich daran beteiligt, und die Umgebung aufgeräumt. „Uns allen war wichtig, dass es ein würdiger Ort ist“, so die Caritas-Chefin.
Markus Niederstein kannte den Mann seit etwa 18 Jahren. So lange ist Niederstein bei der Euskirchener Caritas und kümmert sich um die Wohnungslosenhilfe und die Tagesstätte samt Notschlafstelle, die sich seit einigen Jahren an der Kommerner Straße befindet.
Zu Beginn seiner Caritas-Zeit war sie in einem Gebäude am ehemaligen Bauhof, wo mittlerweile die Feuerwache steht. In den vergangenen knapp zwei Jahren ist nicht nur städtebaulich in Euskirchen einiges passiert. „Die Arbeit hat sich verändert, weil sich die Klientel verändert hat“, sagt Niederstein.
Früher seien es überwiegend Alkoholiker und eine kleine Gruppe Heroinabhängiger gewesen, die in die Tagesstätte gekommen seien. Diese Gruppe sei heute nicht nur größer, sondern die Menschen auch „in einem desolateren Zustand“. Insgesamt gebe es viel mehr Doppeldiagnosen. „Viele sind nicht mehr nur suchtkrank. Viele sind auch psychisch erkrankt“, so Niederstein. Er selbst sei schon mehrfach psychisch Erkrankten geschlagen worden.
Caritas Euskirchen: Der Respekt hat nachgelassen
Der Respekt habe nachgelassen, sagt auch Surges-Brilon: „Es gibt kein Team, bei dem wir nicht intern darüber sprechen müssen, dass etwas vorgefallen ist, weil es Probleme mit unseren Klienten gegeben hat. Die Gewaltbereitschaft hat zugenommen.“
Auch Katharina Münch ist während der Arbeit bereits in Gefahr gewesen, sagt sie. Dennoch mache ihr die Arbeit bei der Caritas unheimlich viel Freude. „Jeder Mensch, der zu uns kommt, hat seinen eigenen Bedarf. Der Beruf ist unheimlich vielfältig“, sagt sie. Sie könne sich in den Beratungsgesprächen ausprobieren, sich weiterentwickeln.
Das wiederum habe sie als Mensch nach vorne gebracht. Hinzu komme, dass man nie wisse, was der Tag bringe – so wie am Morgen des 17. August, als plötzlich der 42-Jährige gestorben ist, mit dem sie seit 2016 regelmäßig zu tun hatte. „Ich habe leider schon relativ viel Leid mitbekommen. Daran bin ich persönlich gewachsen. Das habe ich nur durch meine Kollegen geschafft“, sagt Münch.
Es werde viel geredet, viel reflektiert. Ohne ein funktionierendes Team sei die Aufgabe nicht zu schaffen. „Es gibt viele schöne Momente, weil die Menschen so dankbar sind. Aber es gibt eben auch die schweren Tage“, so Münch.
Der Tod des 42-Jährigen sei ein schwerer Tag gewesen. Natürlich sei sie heute ein wenig abgestumpfter als vor sieben Jahren. Die Erzieherin mit Sozialarbeit-Studium bezeichnet das als Selbstschutz. Und sagt dann: „Ich brenne ein bisschen für Menschen, die in Schwierigkeiten stecken.“
Und es sind unverändert viele Menschen, die Hilfe benötigten. Mehr als 120 von ihnen haben in der Tagesstätte ihre Postanschrift. Zudem habe die Corona-Pandemie große Auswirkungen auf die Szene gehabt. „Man durfte sich ja gefühlt gar nicht draußen aufhalten“, erinnert sich Niederstein. Da die Szene aber den sozialen Kontakt untereinander suche und pflege, hat es immer wieder Ordnungsgelder gegeben.
Auch, dass man in der Innenstadt nicht nach Kleingeld habe fragen können, habe die Klientel der Suchtberatung vor Probleme gestellt. „Das hat sich nach dem Ende des Lockdowns aber auch schnell wieder normalisiert“, so Niederstein.
Corona hat die Obdachlosenszene in Euskirchen verändert
Corona habe auch die Hilfsangebote innerhalb der Caritas ins Wanken gebracht. „Wir haben nur Hochrisiko-Klienten, trotzdem hatten wir beispielsweise die Notschlafstelle nicht geschlossen“, erinnert sich Surges-Brilon.
Und dann habe man plötzlich vor dem Problem gestanden, dass man nicht wusste, wie die Klienten zum Arzt kommen, um ihr Substitutionsmittel zu erhalten oder wie sie zu einem Schnelltestzentrum kommen. „In aller Theorie war es nicht vorgesehen, dass auch ein Obdachloser an Corona erkranken konnte“, so Niederstein.
Die Klientel sei jünger geworden – auch das sei eine Folge von Corona. „Das ist erschreckend. Das sind Menschen, bei denen sich während Corona vieles zugespitzt hat. Auch, weil sie aus anderen Hilfesystemen herausgefallen sind“, sagt Surges-Brilon. Von den mehr als 120 Klienten seien etwa ein Drittel Frauen. Aktuell nutzen drei bis vier von ihnen auch die Notschlafstelle. Manchmal komme über Monate hinweg auch keine Frau in die Notschlafstelle.
„Das macht uns Sorgen, weil sie dann irgendwo schlafen und dafür toxische Beziehungen eingehen“, berichtet die Caritas-Chefin, die trotz aller Herausforderungen zufrieden mit den Rahmenbedingungen ist: „Was hier in Euskirchen möglich ist, wünschen sich viele Verbände. Auch, weil hier ein Netzwerk zusammen und nicht gegeneinander arbeitet. Hier ist ein Verständnis vor Ort, das vielerorts nicht vorhanden ist.“