AboAbonnieren

Seit 20 JahrenDomina Saskia Jung betreibt ein Bizarrstudio in einem Ort mit 2000 Einwohnern

Lesezeit 13 Minuten
Die Domina steht in ihrem Studio. Ein Drache ist auf die Wand im Hintergrund gemalt.

Saskia Jung (50) ist seit 20 Jahren selbstständige Domina mit eigenem Studio in Euskirchen-Großbüllesheim.

Saskia Jung aus Euskirchen ist Mutter, Raverin, Migräne-Patientin und Hobby-Heimwerkerin – aber als „Herrin Saskia“ ist sie Domina.

Eigentlich, sagt Saskia Jung, habe sie schon mehrere Leben gelebt. Eines als Tochter, eines als Mutter. Eines als Domina, eines als Patientin. Während sie spricht, sitzt die 50-jährige Euskirchenerin ganz gerade, die Beine hat sie übereinandergeschlagen. Auf ihrem Knie balanciert sie ein gut gefülltes Wasserglas. Das Wasser darin bewegt sich nicht.

Als junges Mädchen wurde Jung, deren bürgerlicher Name ein anderer ist, von Nonnen unterrichtet. Damals sei sie all das gewesen, was man von einer Klosterschülerin erwartet: bedächtig, fleißig und zurückhaltend. An diesem Naturell habe sich bis heute eigentlich kaum etwas geändert – zumindest nicht, was die Privatperson Saskia Jung betrifft.

Im Medizinstudium brachte die Domina es nicht übers Herz, eine Ratte zu sezieren

„Ich komme aus einer Arztfamilie“, sagt sie. Und dass sich ihre Eltern das eigentlich auch für sie gewünscht hätten: ein Medizinstudium. Jung hat es auch versucht. „Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich das nicht möchte.“ Nach dem zweiten Semester hat sie abgebrochen. Das lag zum einen daran, dass sie während des Sektionskurses merkte, dass sie es nicht übers Herz brachte, mit dem Skalpell in die Ratte zu schneiden, die vor ihr lag.

Zum anderen lag es daran, dass sie die anderen Medizinstudenten arrogant fand. Als sie anstelle des Studiums eine Ausbildung zur Labor-MTA machte, stolperte an einem Tag ein „Praktikumsgrüppchen“, bestehend aus jungen Medizinstudenten, ins Labor. Jung erinnert sich: „Eine von ihnen zeigte mit dem Finger auf uns und sagte: Guckt mal, das sind die, die später für uns arbeiten.“

Nachts ging sie in Lackkleidung auf Technopartys

Die 50-Jährige schüttelt den Kopf, als habe sie die Szene gerade zum ersten Mal erlebt. „Ganz furchtbar! Da stand's mir bis hierhin mit den Studenten.“ Jung hebt ihre rechte Hand auf Halshöhe und bewegt sie hin und her. Das Wasser in dem Glas auf ihrem Knie schwappt nur leicht.

Die Zeit als Auszubildende empfand Jung als aufregend. Tagsüber untersuchte sie „im weißen Kittelchen“ Gewebe und Körperflüssigkeiten. Die Nächte und Wochenenden verbrachte sie mit dunkel geschminkten Augen in glänzender Lackkleidung auf Technopartys. „Musik ist für mich ganz wichtig“, sagt sie. Deswegen fuhr Jung mit ihren Freundinnen damals beinahe jedes Wochenende viele Kilometer zu den Partys, die sie „Raves“ nennt.

In einem Düsseldorfer Dominastudio hat sie beim Fesseln zugesehen

Ab und an habe ihr dort auch ein junger Mann Avancen gemacht. Doch Jung war nicht nach Belgien gefahren, um Männer kennenzulernen. Jung war nach Belgien gefahren, um zu raven. „Ich glaube, ich wirkte schon als junge Frau mystisch und unnahbar“, sagt sie heute. Das fiel auch einer guten Freundin von ihr auf. „Eigentlich wärst du die perfekte Domina“, habe die eines Nachts zu ihr gesagt. „Da war meine Neugier geweckt.“

Deswegen stellte sich die Auszubildende in einem Dominastudio in Düsseldorf vor. Prompt wurde sie eingeladen. „Ich durfte mich dort auf einen Thron setzen und der Inhaberin des Studios zusehen, wie sie einen englischsprachigen Gast fesselte.“ Dem Gast war die junge Frau auf dem Thron positiv aufgefallen: „Er buchte mich direkt für den nächsten Tag“, sagt Jung. Kurzerhand packte die Inhaberin des Studios Jung einen Rucksack. Darin: ein paar Utensilien, um den Kunden zu fesseln, und eine „To-do-Liste“ für angehende Dominas.

Saskia Jung steht in einem Studio voller Gerätschaften, das in blaues Licht getaucht ist.

Weil die Domina viel selbst baut, trägt sie den Spitznamen „Frau Bau“.

Der Termin sollte in einem Hotelzimmer stattfinden. „Ich wusste damals noch nicht so richtig, was zu tun ist“, sagt Jung. „Also habe ich improvisiert.“ Und das hat funktioniert: „Der Kunde war am Ende der Session vollkommen begeistert und drückte mir 1000 D-Mark in die Hand.“

Für Jung war das Erlebnis prägend. Was sie damals anstachelte, sei die Kombination aus Spannung, Faszination und all dem gewesen, das sie ganz unverschleiert im Gesicht und an der Körpersprache des Kunden lesen konnte. „Und natürlich das Geld“, ergänzt sie. Auch wenn das in der ganzen Aufregung eher eine untergeordnete Rolle gespielt habe. „Damals war ich 21 Jahre alt, und ich wusste sicher: Das will ich machen.“

Jung führte ein Doppelleben als MTA am Tag und als Domina in der Nacht

In der darauffolgenden Zeit führte Jung ein Doppelleben als Auszubildende – medizinischer Natur am Tag, erotischer Natur in der Nacht. „Eine richtige Domina war ich damals noch nicht. Ich würde sagen: Ich war Domina-Praktikantin.“ Als anstrengend habe sie die Doppel-Lehre aber nicht empfunden, eher als aufregend. Die Nachtsessions hätten ihr damals mehr Energie gegeben als entzogen.

Aus Düsseldorf wechselte sie bald in ein Studio nach Bonn. „Dort lebte ich in Saus und Braus.“ Jede Woche kam Jung damals mit vollen Einkaufstüten nach Hause. Sie machte einige Schönheits-OPs, ließ sich die Brüste vergrößern und die Reiterhosen absaugen, verreiste auf die kanarischen Inseln, ließ sich zum Essen in die teuersten Restaurants ausführen und sah unzählige Vier-Sterne-Hotels von innen. „Ich lebte damals wirklich das luxuriöse Leben, das die Leute von einer Domina erwarten.“

Saskia Jung steht an einem Arzttisch. Sie trägt einen weißen Kittel.

Saskia Jung stammt aus einer Arztfamilie. Das Medizinstudium hat sie aber abgebrochen. Heute untersucht sie keine Patienten, sondern „Sklaven“.

Doch zunehmend wurde sie gieriger. Wollte mehr Geld verdienen und weniger an die Inhaberin des Geschäfts abgeben. 200 bis 250 Euro zahlen Gäste in der Regel für eine Stunde. 40 Prozent davon seien übliche Abgaben an die Besitzerin des Studios. Sie dachte, wenn sie sich mit einem eigenen Laden selbstständig machte, würde mehr davon hängen bleiben. Hinzu kam, dass sie mit Mitte zwanzig begann, sich eine eigene Familie zu wünschen.

„Ich träumte davon, zwei Söhne zu bekommen.“ Als Jung ihrer damaligen Chefin von ihren Plänen erzählte, warnte diese die junge Frau davor, diesen Schritt zu gehen. Doch Jung dachte damals bloß: „Na ja, ich werde vielleicht ein paar Abgaben leisten müssen, aber das kriege ich schon hin.“

Im Euskirchener Gewerbegebiet fand die Domina eine Wohnung

Und plötzlich ging alles ganz schnell. Ihr damaliger Freund fand eine inserierte Wohnung im heutigen Euskirchener Gewerbegebiet. Ein ehemaliger Swinger-Club. Mietkosten: 1000 D-Mark im Monat. Genau so viel, wie sie bei ihrem ersten Job in einer Nacht verdient hatte. Jung rief den Vermieter an. Sie wollte die Wohnung. Am Telefon sagte sie ihm: „Ich habe nichts. Aber ich arbeite gut.“ Ihr Wort, dass sie die Miete schon stemmen würde, reichte dem Vermieter aus.

2003 bezog Saskia Jung mit einer Freundin die Räumlichkeiten. Damals habe sich das Haus zum Teil noch im Rohbau befunden. Aber das machte der neuen Mieterin nichts. Sie habe sich in einer Hau-Ruck-Aktion „ein paar Männer geschnappt“ und die Außenwände verputzt. „Ich wollte es hier so schön wie möglich machen“, sagt sie. Im Inneren versah sie die Duschwände mit Waterstop-Verspachtelung, schnitt PVC zu, verlegte Böden, setzte Kieselsteine in ein Silikonbett. Das Handwerken, so sagt Jung, habe sie schon immer geliebt. „Man nennt mich auch Frau Bau“, erzählt sie und lacht. Sie ist stolz auf diesen Spitznamen.

Man nennt mich auch Frau Bau.
Saskia Jung

„Frau Bau“ läuft durch ihre Räumlichkeiten. Überall stehen Gerätschaften, deren Funktionsweise sich nicht durch bloßes Anschauen offenbart. Die meisten erinnern an die Trainings- und Hantelbänke, die bei vielen Menschen im Hobbykeller stehen. Andere sehen aus wie mittelalterliche Folterinstrumente. Saskia Jung klappt hier eine Platte um, zeigt dort stolz ein verstecktes Scharnier. Anlagen mit filigraner Mechanik haben es der 50-Jährigen besonders angetan.

Neben einem Turnbock aus schwarzem Leder bleibt sie stehen. Dieser Bock, sagt sie und legt ihre Hand auf ihm ab wie auf ihrem Lieblingspony, das Andreaskreuz dort und der Menschenkäfig gegenüber, das seien die allerersten „bizarren Gegenstände“ gewesen, die sie als selbstständige Domina gekauft habe. „Damit hat hier vor 20 Jahren alles begonnen.“

Euskirchener Domina erfüllt sich den Wunsch nach einer eigenen Familie

Nachdem für die Domina der Traum von der Selbstständigkeit wahr geworden war, war es für sie Zeit, sich auch den Wunsch nach Familie zu erfüllen. 2006 bekam sie – genauso wie sie sich das erträumt hatte – den ersten von zwei Söhnen. Außerdem bekam die junge Frau mit der Vorliebe für komplizierte Maschinen das Angebot, ihr Bizarrstudio zu erweitern. Sie kaufte das ganze Haus – per Vollfinanzierung. Damals freute sie sich noch über diese Möglichkeit. Heute sagt sie: „Ich beging damit in meinem jugendlichen Leichtsinn den größten Fehler meines Lebens.“ Nach dem Hauskauf hielten die Probleme Einzug in Saskia Jungs Leben.

Ihr damaliger Partner begann, übermäßig viel zu trinken, und wurde gewalttätig. „Und plötzlich hat sich alles, was bis dato harmonisch war, aufgelöst und ist ins Chaos gekommen“, sagt sie heute. Sie gab das Familienleben auf und zog weit weg – in ein anderes Bundesland. „Das machte mich zur Pendlerin.“ Denn ihr Euskirchener Studio hat sie weiterbetrieben.

Krankheiten zwingen Saskia Jung häufig zum Stillstand

Und dann kamen die Krankheiten. Saskia Jung schreckt hoch. Ein Weckerklingeln durchbricht den treibenden Techno-Sound, der im ganzen Studio zu hören ist. „Zeit für meine Tabletten“, sagt sie, verschwindet und kommt mit einem gut gefüllten Körbchen wieder. Darin: Blisterverpackungen mit Pillen in allen Formen und Farben.

„Dass ich so fit bin wie jetzt gerade, das ist nur möglich dank der Einnahme verschiedener Medikamente“, erklärt sie. Diese Zeit laufe aber so zuverlässig ab wie eine Sanduhr. Und dann habe sie große Schmerzen, sei fahrig, habe Denk- und Fokusschwierigkeiten sowie Bewusstseinseinschränkungen.

Immer häufiger quälen sie Migräne-Attacken

„Früher habe ich nie Kopfschmerzen gehabt“, sagt Jung. Mühelos habe sie drei Tage auf den belgischen Raves durchhalten können, vollkommen ohne Schmerz. Es war 2012 bei einer Wanderung in Österreich, dass sie ihre erste heftige Migräne-Attacke bekam. Seitdem wurde die Migräne stetig schlimmer, trat häufiger auf. Inzwischen an mehr als 26 Tagen im Monat. An manchen Tagen, so sagt sie, schmerze jedes der dunklen langen Haare auf ihrem Kopf einzeln.

Saskia Jung liegt mit einem Kühl-Akku auf dem Kopf im Bett.

Seit zwölf Jahren hat Saskia Jung mit schweren Migräne-Anfällen zu kämpfen

Vor neun Jahren bekam Jung die Diagnose Hirntumor. Gutartig, aber inoperabel. Dadurch, dass der Tumor die Hirnhäute erfasst, habe er, neben den schmerzhaften Nebenwirkungen, auch die Hypophyse, die Hormonsteuerdrüse, zerstört. „Deswegen muss ich Hormone medikamentös ersetzen.“

Jung lehnt sich an eines der Foltergeräte. Es ist ein Stuhl mit einer Maske zum Aufklappen. „Totalfixierung“, erklärt sie. „Damit man sich auch mit dem Gesicht keinen Zentimeter bewegen kann.“ Wie das sich anfühle, wisse sie aus einem Superprotonenstrahler aus Heidelberg, unter dem sie wegen ihres stetig wachsenden Tumors vor einigen Jahren lag.

Zu dem Tumor und den damit einhergehenden Migräne-Attacken gesellten sich im Laufe der Jahre diverse andere Krankheiten. Osteoporose zum Beispiel. Erst vor kurzem hatte sich die Domina den Fuß gebrochen. „Da musste ich natürlich auf High Heels verzichten.“ Sie lacht kurz. Dann wird sie ernst: „Für andere Menschen würde schon eine dieser Erkrankungen alleine vollkommen ausreichen.“ Sie habe aber einen starken Willen: „Fast trotzhaft“, findet sie. „Es nutzt aber überhaupt nichts, zu hadern und sich zu beklagen. Auf das Vorankommen und Weitermachen will ich mich konzentrieren.“

Es gibt viele Menschen, die meinen Beruf verabscheuen und mich meiden.
Saskia Jung

Nach diesem Motto lebt Jung. Das habe sie immer über Wasser gehalten. Auch was das Leben als Domina in einer Kleinstadt angehe. „Es gibt viele Menschen, die meinen Beruf verabscheuen und mich meiden“, sagt sie. Viele Menschen fühlten sich von ihrem Dasein so gestört, dass sie grundlos Anzeige gegen sie und ihr Etablissement erstatteten oder sie bei den Behörden anschwärzten.

Weil sie damals mit ihren Kindern in einer Anliegerwohnung im selben Haus lebte und die Söhne dort auch zu ihren Arbeitszeiten von einer Kinderfrau betreut wurden. Kindeswohlgefährdung habe man ihr vorgeworfen. Einen konkreten Anlass dafür hat es nie gegeben. Sie selbst habe das auch nie in Gänze nachvollziehen können, denn wenn sie die Treppen ihres Studios hinunterging, so sagt sie, wurde sie von „Herrin Saskia“ immer zu Mama Jung.

Eine junge Frau steht im Wald, auf ihrem Rücken befördert sie ihren Sohn,

Wandern gehen und viel in der Natur sein ist eines der größten Hobbys der Domina.

Eine ganz normale, liebevolle Mutter, die die Kinder nach ihrem Tag in der Schule fragt und Mittagessen kocht. Ein paar Mal wurde das ganze Haus vom Jugendamt unter die Lupe genommen. Nie sei eine Gefährdung für Kinder festgestellt worden. „Ich habe überall Kameras aufgestellt“, sagt sie. Sowohl im geschäftlichen als auch im privaten Bereich, in dem sie heute ihre kranke Mutter pflegt. „Korrektheit war mir immer wichtig. Bei mir kann man jeden Schritt nachvollziehen.“

Einladungen der Dorfgemeinschaft sind stets an ihren Mann adressiert

Doch dass sie rechtlich nie belangt wurde, bewahrte sie nicht vor gesellschaftlichem Ausschluss. Der zeige sich in den ganz kleinen Dingen, erzählt sie. Zum Beispiel sei sie Mitglied in der Dorfgemeinschaft im 2000-Einwohner-Ort Großbüllesheim und zahle regelmäßig Beiträge. Zu den Treffen gehe sie aber nie.

„Nachher treffe ich da noch jemanden, den ich aus einem anderen Kontext kenne“, sagt sie und lacht verschämt wie eine Klosterschülerin. In den Briefen und Einladungen werde trotzdem immer nur ihr Mann adressiert, sagt sie. Das seien die kleinen Ausgrenzungen, mit denen sie leider leben müsse.

Saskia Jung, die als Domina arbeitet, und ihr Mann umarmen sich vertraut.

Ihr Beruf steht dem privaten Beziehungsglück nicht im Weg.

„Eine Domina ist aber kein schlechter Mensch – und auch nicht der Feind der Ehefrauen“, sagt sie. Ihr Job sei es lediglich, das menschliche Bedürfnis nach einer erfüllten Sexualität zu befriedigen. Manche Menschen hätten eben besondere Bedürfnisse, die sie vielleicht nicht unbedingt von ihrer Partnerin erfüllt bekämen. „Es ist kein Fremdgehen. Es ist eher wie eine Massage: eine unverbindliche, saubere Dienstleistung. Etwas, was sie zu Hause nicht bekommen. Etwas, was sie brauchen.“

Für Jung geht es in ihrem Beruf als Domina weniger darum, einfach nur besonders hart zu sein. Mehr darum, empathisch zu sein. Sie versucht in kurzer Zeit ihre Kunden zu durchleuchten, um zu verstehen, welche Erzählung sie „kickt“. Welches „Spiel“ sie brauchen, um „glücklich zu sein“.

Im ICD ist Sadomasochismus als psychische Krankheit gelistet

Im ICD (der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) ist Sadomasochismus unter Punkt F65.5 bis heute als psychische Krankheit gelistet. Damit stimmt Jung nicht ganz überein. „Ich kenne ganz liebe junge Leute, die gerne mal ein bisschen Augenverbinden, Fesseln und Peitschen ausprobieren. Sind die jetzt schon krank und therapiebedürftig?“

Jung hält es mit Paracelsus: „Die Dosis macht das Gift.“ Und in vielen Jahrzehnten als Domina habe sie auch schon sehr extreme Fantasien erlebt. Dass Kunden krank werden oder bleibende Schäden davontragen, das wolle sie nicht. Dagegen sträube sich alles in ihr. Genauso wie damals im Sezierkurs, als sie die Ratte nicht anrührte.

Viele Leute denken, ich verdiene so gut, dass ich inzwischen stinkreich bin, aber genau das Gegenteil ist der Fall.
Saskia Jung

Das Telefon klingelt. Ein Kunde hat sich angemeldet. Bald wird er vor der Tür des Studios stehen. In Jungs Badezimmer hängen Kostüme aus Latex. In wenigen, geübten Griffen zieht Saskia Jung sich um. An der Wand hängt eine akribische Anleitung mit mehr als 20 Unterpunkten zur täglichen Waschroutine.

In ihrem Badezimmer verwandelt die Euskirchenerin sich. Den weichen schwarzen Pullover tauscht sie gegen ein enges schwarzes Lederkleid und Overknee-Stiefel, die ihre Haltung und ihren Blick verändern, während sie sich selbst im Spiegel betrachtet. Mit Blick auf ihre üppige Garderobe sagt sie: „Viele Leute denken, ich verdiene so gut, dass ich inzwischen stinkreich bin, aber genau das Gegenteil ist der Fall.“ Schon seit Jahren hat die Domina eine Negativ-Bilanz.

Das Domina-Geschäft läuft nicht besonders gut

Mehrere Tausend Euro müsse sie immer noch monatlich für Haus und Werbekosten aufbringen. Das Haus, das sie in ihrer Jugend per Vollfinanzierung gekauft hat, ist noch nicht vollständig abbezahlt. Arbeiten könne sie als Migräne-Patientin inzwischen aber nicht mehr so viel wie damals. Die Kosten für Medikamente und Ärzte kann sie nur gerade so stemmen. Und zwar nicht nur ihre eigenen, sondern auch die für ihre bettlägerige Mutter und ihren an Weichteilrheuma und Narkolepsie erkrankten Sohn. Die Warnung vor der Selbstständigkeit ihrer Bonner Chefin spukt Jung bis heute durch den Kopf.

„Es gibt immer wieder Tage, an denen ich mich hier über einen vollen Sack Leergut freue“, sagt sie und deutet auf die Getränkeauswahl für die Gäste. Luxusurlaube auf den Kanaren und ausgiebige Shopping-Trips seien ohnehin längst Geschichte. Aber der Wanderurlaub mit fünf Übernachtungen in einer Jugendherberge im Saarland mache sie heute mindestens genauso glücklich. „Die geben sich dort immer so viel Mühe mit dem Büfett und der Tischdekoration“, sagt die Frau, die unzählige Vier-Sterne Hotels von innen gesehen hat. Während sie von ihrem Silvester-Urlaub in Homburg erzählt, strahlt sie. Das Wandern habe sie immer geliebt.

Die Klingel des Studios ist in allen Etagen des Hauses zu hören. Sie übertönt die Technomusik. Saskia Jung öffnet die Tür und lässt ihren Kunden hinein. Der „Sklave“ dürfe schon einmal ins „Drachenzimmer“ gehen und dort auf sie warten, ruft sie in den Flur. Ihre Stimmfarbe und ihre Gesichtszüge haben sich verändert. Für eine Stunde wird die Euskirchenerin all ihre anderen Rollen ordentlich an ihrer üppig bestückten Garderobe aufhängen, und einzig „Herrin Saskia“ sein.