Eine Tischlerin begann mit der Flut im Juli 2021 ihre Ausbildung und fertigte nun ihr Gesellenstück aus Flutholz. Ein Fluthelfer blickt zurück.
Flutprotokolle„Total irre Bilder, die ich nie mehr vergessen kann“ – Betroffene blicken zurück
Anne Christine Kolvenbachs Ausbildung zur Tischlerin fing damit an, dass sie die Kirschbaumküche in ihrem Elternhaus herausreißen musste. „Hochwasserausbildung“ nennt sie das heute. Als das Wasser kam in der Nacht zum 15. Juli, kam es schnell. Es füllte bald Innenhof, Wohnzimmer und Küche. Die gesamte untere Etage stand unter Wasser. Die 29-jährige Iversheimerin stieg eine alte Holztreppe hinauf in die erste Etage. „Bis hier, bis zur vorletzten Stufe, ist das Wasser geschwappt.“ Da hat es gestoppt.
Die Möbel und die gesamte hölzerne Einrichtung in der unteren Etage waren hinüber. „Viele sagten mir, nach der Flut könnten wir einfach das Geld nehmen und uns neu einrichten“, sagt sie: „Aber daran, dass hier alles selbst gebaut war, daran denken sie nicht.“
Ralf Kolvenbach, der Vater der 29-Jährigen, ist selbst Tischler. Seine Arbeitsphilosophie: Möbel müssen nicht gerade sein, das Holz in der Natur wächst schließlich auch nicht gerade. Sein Glanzstück: eine Küche aus Kirschbaumholz. Über viele Jahre hat der Tischler daran gesessen, viel Herzblut hat er hineingesteckt.
Weltenbummlerin: Anne Christine Kolvenbach war bei der Telekom und auf einer Huskyfarm
Erst kurz vor der Katastrophe hat Anne Christine Kolvenbach sich entschieden, Tischlerin zu werden. Ihr Weg war bis dahin so kurvig wie die Möbel ihres Vaters: Sport und Mathematik auf Lehramt hat sie studiert, doch Lehrerin wollte sie nicht werden. BWL hat sie studiert, doch das Studium brachte zu viel Leerlauf für die energiegeladene Iversheimerin.
Deswegen absolvierte sie zunächst ein duales Studium bei der Telekom, arbeitete anschließend drei Jahre im Marketing. Bis sie merkte, dass sie „raus muss“. Sie ging nach Alaska, verbrachte die Wintermonate auf einer Huskyfarm, leitete Hundeschlittenexpeditionen und machte in den Sommermonaten eine Ausbildung zur Bergwanderführerin. 2021 kehrte Kolvenbach zurück nach Iversheim. Die Idee: „Ich steige bei meinem Vater mit ein.“
Doch dann kam alles anders. Nach der Flut beschäftigte Kolvenbach sich zunächst nicht mit filigranen Möbeln aus weichem Holz, sondern mit Sanierungsarbeiten: dem Verbauen von Türen, dem Verlegen von Böden. Und eben dem Herausreißen der von der ganzen Familie innig geliebten Küche. „Ich glaube, das war das prägendste Erlebnis für mich“, sagt sie. So richtig trennen konnten sich die Kolvenbachs nicht von ihrer Küche. „Die ist zu schade zum Wegwerfen“, befand der Vater. Deswegen besprühten sie das Küchenholz mit den nach der Flut verteilten Effektiven Mikroorganismen und lagerten es ein.
Nach und nach normalisierte sich das Leben auch bei den Kolvenbachs. Wiederaufbauarbeiten gehörten zum Alltag, die Tischlerausbildung rückte wieder in den Vordergrund, das Küchenholz fand keine Verwendung. „Und irgendwann hatte ich dann die Idee, dass ich aus dem Flutholz mein Gesellenstück baue“, sagt sie. Ein Schminktisch sollte es werden: „Eigentlich bin ich gar nicht so die Schminkerin. Aber so einen Tisch zu besitzen, das war immer mein Mädchentraum.“ 300 Stunden Arbeit hat Kolvenbach in ihr Gesellenstück gesteckt – vorgesehen waren 110 Stunden. „Ich habe den Tisch eigentlich zweimal gebaut“, erklärt sie.
Einmal der Vorbau, damit nichts schief geht. Dann der Hauptbau aus dem wertvollen Flutholz. Nur der ausklappbare Spiegel und die Knaufe sind nicht aus der alten Familienküche gefertigt. Der Schminktisch ist schlank – und wellenförmig. „Ich finde das passend. Es ist ein Stück, das das Wasser mit der organischen Holzphilosophie meines Vaters verbindet“, sagt sie.
Und Ralf Kolvenbach ist stolz auf das Gesellenstück und seine Tochter. Aber nicht nur er weiß ihre Arbeit zu schätzen. Im Juni wurde ihr Gesellenstück von der Tischler-Innung Euskirchen mit dem ersten Platz beim Wettbewerb „Die gute Form“ ausgezeichnet. „Einen Flutbonus hatte ich aber nicht“, sagt Kolvenbach. Die Geschichte hinter ihrem Gesellenstück erfuhr die Jury erst nach der Auszeichnung. Die Fertigstellung des Tischs ist für Kolvenbach nicht nur ein Abschluss ihrer Ausbildung. Sondern auch ein Abschluss mit der Flut. Und die „Hochwasserausbildung“ hat gefruchtet: „Mit der Tischlerei habe ich meinen Traumberuf gefunden.“
Mit Facebook-Gruppe in der Flut geholfen
Während Ann Kolvenbach ihre Fluterfahrung symbolisch in ihrem Zimmer ausstellt, wollen andere die Erinnerungen an die Flut am liebsten nicht mehr sehen. Jörg Weitz aus Nettersheim etwa: „Wenn Dokumentationen über die Flut im Fernsehen laufen, dann schalte ich ab. Ich kann das alles einfach nicht mehr sehen.“
Weitz hat zu Beginn der Corona-Pandemie die Facebookgruppe „Eifel für Eifel“ gegründet. Die Hilfsgruppe war und ist auch nach der Katastrophe eine dringend benötigte, private Hilfsinitiative. In den ersten Stunden nach der Flut, erinnert Weitz sich, seien plötzlich Nachrichten in die Gruppe gepostet worden. Unter anderem wurden Vermisste gesucht. „Als dann die ersten Bestätigungen kamen, dass Menschen leblos aufgefunden wurden, wurde mir klar, dass das kein normales Hochwasser ist“, sagt er.
Und dann, so Weitz, habe er von der einen Sekunde auf die andere nur noch funktioniert. Der Verstand habe sich einfach abgeschaltet. Es sei keine Zeit zum Nachdenken gewesen, sondern eine zum Handeln: „Durch die Gruppe hatten wir plötzlich eine unheimlich große Verantwortung.“
Hilfsgüter seien geschickt worden, von überall, aus Mogendorf, aus Rodgau – irgendwann waren es 70 Tonnen pro Tag. „Erst dachte ich, die würden wir niemals los. Aber nach 24 Stunden war der Platz leer.“ Der Bedarf war einfach riesig in den Flutgebieten im Kreis Euskirchen und im Ahrtal. Weitz und andere Helfer aus der Initiative sind auch selbst mit Hilfsgütern in die Katastrophengebiete gefahren.
Haben alles, was benötigt wurde, zu den Leuten vor Ort gebracht. „Viele habe ich nur einmal gesehen und dann nie wieder“, sagt er. Was er gesehen hat, hat sich eingebrannt: „Total surreale Bilder, die ich nie vergessen kann.“ Ab und zu habe er in den vergangenen zwei Jahren Videos aus der Zeit gesehen – Videos, auf denen er selbst zu sehen war: „Heute bin ich klarer. Das bedeutet auch, dass ich heute auf den Bildern gut erkennen kann, wie es mir damals ging.“
Auch wenn Weitz nicht privat betroffen war, sagt er: „Das Ganze hat in meinem Leben etwas verändert.“ Die vergangenen zwei Jahre haben ihn geprägt. Nur zu funktionieren, im Beruf und in der Fluthilfe, das hinterlasse Spuren und eine tiefe Erschöpfung. Wenn er heute gefragt wird, ob er wieder helfen würde, dann sagt er heute immer noch Ja. Er könne nicht anders. Aber er sagt es zögerlicher, als er es vielleicht noch zwei Jahre zuvor getan hätte.