Der größte Pflegedienst Deutschlands sind die Familien, in denen erkrankte Menschen von Angehörigen gepflegt werden. Oftmals geht dies über deren eigene Kräfte weit hinaus.
SelbsthilfeUnterstützung und Trost für pflegende Angehörige im Kreis Euskirchen
Brigitte Odenbach ist spät dran. Etwas abgehetzt betritt sie den kleinen Raum auf der Etage des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Euskirchen, wo Sabine Friedhoff und Birgit Ahrendt-Janssen schon bei einer Tasse Tee zusammensitzen. Sie habe noch einmal umdrehen müssen, weil sie ihr Handy vergessen habe, sagt die 70-Jährige entschuldigend, während sie sich aus ihrer Jacke schält.
Es ist ein grauer Novembertag und – genau wie die beiden anderen Frauen – muss Odenbach immer erreichbar sein. Sie sind drei von etwa 4,8 Millionen Menschen in Deutschland, die laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einen Angehörigen pflegen. 70 Prozent davon Frauen.
Die Hauptverantwortung tragen die Ehefrauen
Bei Odenbach ist es ihr Mann. Parkinson. 2010 erhielt er die Diagnose. Seit vier Jahren habe er nun Pflegegrad fünf, und seit einigen Monaten könne er nicht mehr laufen, berichtet Brigitte Odenbach. Bei allem benötige ihr Mann Hilfe: bei der Körperhygiene, beim Anziehen, beim Essen. All das übernimmt nun Brigitte Odenbach.
An Wochentagen komme morgens der mobile Pflegedienst zur Unterstützung, und auch ihre Familie helfe viel, berichtet sie. Und dennoch, die Hauptverantwortung liege bei ihr. „Ohne mich“, ist sie überzeugt, „wäre mein Mann schon lange tot“.
Diese Ansicht teilt auch Sabine Friedhoff. Die 63-Jährige pflegt ebenfalls ihren Ehemann. Vor mehr als zehn Jahren wurde bei ihm eine Ataxie festgestellt, eine neurologische Erkrankung. Auch ihr Mann habe Pflegegrad fünf und könne kaum noch laufen.
Den Pausenknopf drücken im Euskirchener Café
Die Pflege übernimmt Friedhoff komplett alleine. Zwar habe sie einen Sohn, der sie unterstütze, doch der habe selber kleine Kinder und eine Firma, da bleibe schlichtweg nicht so viel Zeit. Und einen Pflegedienst lehne ihr Mann ab. „Er ist manchmal so stur“, sagt sie. Auch in Kurzzeitpflege wolle er nicht, dabei könne sie eine Pause gut gebrauchen. „Ich war seit drei Jahren nicht mehr im Urlaub.“ Stattdessen nimmt sie sich kleine Auszeiten. So wie heute.
Das Café für pflegende Angehörige des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist genau dafür da: pflegenden Angehörigen einen Moment zum Durchatmen zu verschaffen. Und ein Stück Kuchen hilft dabei ungemein. Den hat heute Brigitte Odenbach mitgebracht. Käsekuchen mit Mandarinen. Das Rezept habe sie aus dem Internet, aber sie wandle das immer noch etwas ab, sagt sie. Birgit Ahrendt-Janssen schmeckt es so gut, dass sie gleich noch ein Stück einpackt für ihre Mutter.
Nach zwei schweren Operationen habe diese Pflegegrad zwei erhalten, berichtet Ahrendt-Janssen. „Ich mache bei ihr den Haushalt.“ Inzwischen gehe es ihr zum Glück schon wieder besser. Doch Unterstützung brauche sie nach wie vor. „Den Zerfall finde ich am Schlimmsten“, sagt die 59-Jährige. Dabei zuzusehen, wie ihre Mutter selbstverständliche Dinge nicht mehr alleine schafft. Deshalb ist sie zum Café gegangen: Um Trost zu finden, mit Menschen, die dasselbe erleben. „Das ist mir eine große Unterstützung für die Seele, fürs Herz.“
Der Unterschied zu einer klassischen Selbsthilfegruppe sei, dass es hier immer eine Moderation oder Begleitung gebe, sagt Martina Lichey-Rotter. Sie ist die Ansprechperson des Kontaktbüros Pflegeselbsthilfe beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Sie sei selbst einmal pflegende Angehörige gewesen und könne sich daher gut in die anderen Frauen hineinversetzen, sagt sie.
Ähnliche Angebote auch in Bad Münstereifel und Mechernich
Gesprächsangebote wie dieses Café gibt es auch in Bad Münstereifel und Mechernich. Außerdem findet einmal im Monat kreatives Gestalten und ein Spaziergang für pflegende Angehörige in Euskirchen statt. „Ich möchte gerne noch mehr so Kopf-aus-Entlastungsangebote schaffen“, sagt Lichey-Rotter. Doch dafür brauche es mehr finanzielle Unterstützung, vor allem von der Politik.
Von der fühlen sich auch Odenbach und Friedhoff verlassen. Man werde mit der Situation allein gelassen, beklagen sie. Viele Dinge erfahre man nur auf eigene Initiative, immer wieder laufe man gegen Wände. Im Prinzip bräuchte es so etwas wie eine gebündelte Broschüre mit allen Angeboten, Unterstützungsstellen und Hilfsmöglichkeiten für pflegende Angehörige, fordern sie.
Im Café finden sie immer Trost und Verständnis
Eine Funktion, die aktuell das Café übernimmt. Neben Trost und Verständnis tauschen die Teilnehmerinnen nämlich auch Tipps und Kontakte aus. Und sie motivieren sich, Dinge anzupacken. „Ich bin schon dran mit dem Pflegebett“, berichtet Friedhoff stolz. Noch schlafe ihr Mann mit ihr im Ehebett. Allerdings habe er einen sehr unruhigen Schlaf, wodurch ihre Nächte nicht sehr erholsam seien, führt sie aus.
Dank der Gespräche mit den anderen Frauen habe sie die Energie gefunden, dass nun in Angriff zu nehmen. „Man kämpft sonst immer so für sich alleine“, sagt Friedhoff. Im Café bekomme sie das Gefühl, nicht allein zu sein. Das helfe in den dunkleren Momenten, stimmt Odenbach ihr zu.
Ein Pflegeheim zu suchen, kommt für sie nicht infrage
Doch trotz der Anstrengungen und den Einschränkungen, die die Pflege zu Hause mit sich bringt – für ihre Männer ein Pflegeheim zu suchen, kommt für Brigitte Odenbach und Sabine Friedhoff nicht infrage. „Aus Liebe“, sagt Odenbach bestimmt. Sie wolle das einfach noch nicht. Außerdem sei ein Heimplatz nicht gerade günstig, fügt Friedhoff hinzu. Und sie habe Angst, dass ihr Mann aufgrund des Mangels an Pflegekräften in einem Heim nicht so gut betreut werde. Also bleibt er bei ihr in der gemeinsamen Wohnung. Auch wenn er diese nur noch selten und nur mithilfe eines Fahrdienstes verlassen kann.
Wenn sie einen Wunsch frei hätte, würde sie sich wünschen, dass ihr Mann wieder gesund wäre, sagt Friedhoff. Und Odenbach? „Einen Tag mit meinem Mann glücklich sein“, sagt sie. Dann kommen ihr die Tränen. Friedhoff greift nach ihrer Hand. Zusammen weinen. Auch das hilft.
Mehrere Angebote für pflegende Angehörige im Kreis Euskirchen
Sechs verschiedene Gruppen bietet der Paritätische Wohlfahrtsverband für pflegende Angehörige an. Das Angehörigen-Café findet an jedem ersten Mittwoch im Monat von 14.30 Uhr bis 16 Uhr in den Räumen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Eifelring 28, in Euskirchen statt. An jedem dritten Mittwoch im Monat von 14.30 Uhr bis 16.30 Uhr lautet das Motto „Kreatives Gestalten“. Und an jedem letzten Mittwoch im Monat trifft sich dort die Spaziergeh-Gruppe „Frischluft für pflegende Angehörige“.
In Mechernich wird an jedem dritten Mittwoch im Monat eine „Kleine Auszeit für pflegende Angehörige“ von 14.30 Uhr bis 15.45 Uhr im Johanneshaus angeboten. Dort findet ebenso an jedem dritten Mittwoch im Monat von 16 Uhr bis 17.45 Uhr eine Gesprächsgruppe für Angehörige von Demenzerkrankten statt. Die beiden Gruppen werden geleitet von Stephanie Bauchmüller, einer erfahrenen Pflegefachfrau.
Darüber hinaus bietet der Paritätische Wohlfahrtsverband an jedem Montag von 18 bis 19 Uhr digitales Yoga für pflegende Angehörige an. Die Angebote sind Teil eines landesweiten Netzes für Pflegeselbsthilfe in NRW, das von der Landesregierung und den Pflegekassen gefördert wird. Wer Interesse hat, kann sich unter Tel.: 02251/8669578 bei Martina Lichey-Rotter melden.