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Verkauf ist vom TischBahnhof in Derkum wird Flüchtlingsunterkunft

Lesezeit 4 Minuten

Das Bahnhofsgebäude in Derkum soll für Geflüchtete aus der Ukraine hergerichtet werden.

Weilerswist – Selten waren sich die Weilerswister Ratsmitglieder so einig. Sogar übers Geld wurde nicht gestritten. Im Gegenteil. Der Rat legte sogar 200.000 Euro drauf. Die Gemeinde kalkuliert mit 300.000 Euro Sanierungskosten für den Bahnhof in Derkum, die Politiker eher mit 500.000 Euro. Lieber heute als morgen soll das Gebäude wieder zur Flüchtlingsunterkunft werden.

Dabei hatte die Verwaltung bis vor wenigen Tagen noch andere Pläne. In den nichtöffentlichen Teil der Ratssitzung waren sogar zwei Interessenten eingeladen, die ihr Konzept für den Bahnhof vorstellen sollten. Und dies auch taten. Doch das war eher pro forma. Im öffentlichen Teil der Sitzung hatten die Ratsmitglieder nämlich bereits einstimmig dafür votiert, den Bahnhof als Unterkunft für Menschen aus der Ukraine herzurichten. „Damit nehmen Sie mir eine Menge Druck. Auch persönlich“, sagte Weilerswists Bürgermeisterin Anna-Katharina Horst nach der etwa einstündigen Debatte.

Gemeinde rechnet mit mehr als 200 Geflüchteten

95 Geflüchtete aus der Ukraine sind nach Angaben der Verwaltungschefin aktuell in der Gemeinde untergebracht – 54 von ihnen in der Flüchtlingsunterkunft an der Martin-Luther-Straße. Laut der Bürgermeisterin hat die Gemeinde Kapazitäten für 240 Geflüchtete – 176 an der Martin-Luther-Straße, 63 an der Kölner Straße.

Mit mindestens 220 Geflüchteten aus der Ukraine rechnet die Gemeinde anhand des Königsteiner Schlüssels, der die Zuweisungen durch die Bezirksregierung regelt. Da derzeit aber 68 weitere Geflüchtete aus anderen Ländern ebenfalls in Weilerswist lebten, habe man weiteren Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten. „Die hohe Anzahl von Menschen, die innerhalb kurzer Zeit zu uns gekommen sind, hat uns zum Überlegen gebracht“, sagte Horst.

Natürlich sei es eine Möglichkeit, wie bei der Flüchtlingswelle 2015 den Kombi-Bau an der Gesamtschule für Geflüchtete zu nutzen. „Mir ist es aber lieber, wenn da die Schule wieder einzieht“, sagte Horst. Die Tomberghalle in Vernich sei langfristig für Familien ungeeignet und die Vereinsheime sollten wenn möglich nicht wieder belegt werden.

Da sei der Derkumer Bahnhof eine echte Alternative. 60 Menschen können dort laut Verwaltung unterkommen – eine Zahl, die Druck vom Kessel nehmen würde.

Bahnhof besichtigt

Die Ratsmitglieder machten sich am Mittwoch vor Ort ein Bild vom Zustand des Bahnhofs. Dessen Zustand ließ bei den Ratsmitgliedern auch Kritik laut werden. „Da würde ich lieber in einem Zelt übernachten, als in einer solchen Bruchbude. Das ist eine Zumutung“, polterte CDU-Mitglied Hans Peter Nußbaum. Und brachte damit die Bürgermeisterin auf die Palme: „Die Gebäudesubstanz ist in Ordnung. Ich verwahre mich gegen den Begriff Bruchbude.“ Dass man allerdings innerhalb des Gebäudes aktiv werden müsse, weiß auch die Verwaltungschefin.

Bahnhof oder Container

Kosten der Sanierung

Die Gemeindeverwaltung kalkuliert mit 300 000 Euro für die Sanierung des Bahnhofs in Derkum. Ohne Keller beläuft sich laut Verwaltung die Wohnfläche auf etwa 630 Quadratmeter. Kalkuliert wird mit 60 Geflüchteten, die dort untergebracht werden können. Der Gemeinde zufolge werden für Malerarbeiten, Trockenbau und Bodenbeläge etwa 110 000 Euro fällig. Die Erneuerung der Heizungs- und Sanitäranlagen kostet 70 000 Euro.

Für die Arbeiten am Dach kalkuliert die Gemeinde mit 15 000 Euro, für die Ertüchtigung der Brandmeldeanlage mit 25 000 Euro. Mit dem gleichen Betrag rechnet man für den Treppenturm. Dort muss ein zusätzlicher Rettungsweg installiert werden. Addiert man die Schreinerarbeiten (20 000), die Kücheneinrichtung (20 000) und sonstige Ausgaben (15 000), beispielsweise für Reinigung, kommt man auf 300 000 Euro. (tom)

Container keine Alternative

Die Verwaltung hat als Alternative das Aufstellen von Containern angefragt. Als einmalige Kosten für Planung und Aufbau rechnet die Verwaltung mit 150 000 Euro. Hinzu kämen 18 000 Euro pro Monat als laufende Kosten. „Die Wartezeit für einen Container beträgt aber allein sechs Monate“, sagte der Erste Beigeordnete Alexander Eskes. Die Sanierung des Bahnhofs sei in drei Monaten abgeschlossen. (tom)

Auch die anderen Parteien verwiesen darauf, dass man Geflüchteten einen gewissen Standard bieten müsse. Das fange beim W-Lan an, damit sie den Kontakt in die Heimat halten können. Und es gehe beim Sicherheitsdienst weiter, damit die Frauen und Kinder das Gefühl hätten, in Sicherheit zu sein. „Es wird nicht die letzte Krisensituation sein, die wir zu meistern haben. Wir investieren in die Zukunft, damit wir dann wieder unser Herz öffnen können“, sagte eine emotional angefasste Myriam Kemp von den Grünen.

Nicht rechnen, sondern machen

Während der Ortsbesichtigung rechnete die Verwaltung noch mit etwa 200 000 Euro Sanierungskosten. 24 Stunden später war die Summe bereits um 100 000 Euro angewachsen. „Wir dürfen nicht hoch und runter rechnen, sondern müssen einfach machen. Jeder Tag ist verloren, der nicht genutzt wird, um den Bahnhof herzurichten“, sagte Dino Steuer, Fraktionschef der Christdemokraten. Matthias Müller (UWV) hält die von der Verwaltung angepeilten Kosten für „illusorisch.“ Bürgermeisterin Host entgegnete, dass man aufgrund der bestehenden Rahmenverträge durchaus realistische Kostenschätzungen abgegeben habe.

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Nach Informationen dieser Zeitung will die Gemeinde mit einem möglichen Investor trotz der jetzt getroffenen Entscheidung weiter in lockerem Kontakt bleiben. Er hatte in Erwägung gezogen, ein Studierendenwohnheim und eine Tagespflege im Derkumer Bahnhof zu etablieren.