Interview„Mulmiges Gefühl“ – Erster Beigeordneter verlässt Weilerswist
Weilerswist – Seit April 2013 ist René Strotkötter (45) als Erster Beigeordneter in der Gemeinde Weilerswist tätig. Nun wechselt er zur Stadt Würselen. Sarah Herpertz sprach mit ihm über alte und neue Herausforderungen.
Am 1. September beginnt Ihr neuer Job. Worauf freuen Sie sich?
Ich wollte nach achteinhalb Jahren eine andere Herausforderung. Ich werde dort ähnliche Aufgaben bei einem fast gleichen Dezernat haben, aber in einer deutlich größeren Kommune. Darauf freue ich mich. Ich gehe aber auch mit einem weinenden Auge. Als die letzten Tage gezählt waren, habe ich ein mulmiges Gefühl im Bauch gespürt.
Was werden Ihre Aufgaben in Würselen sein?
Würselen ist etwa doppelt so groß wie Weilerswist und eine Stadt. Deshalb gibt es dort zusätzliche Aufgaben, die hier zum Beispiel zum Kreis gehören. Ich werde die Bereiche Einwohnermeldewesen, Ordnung und Sicherheit sowie Soziales verantworten. Groß ist auch mein Bereich Jugend, Schule und Kultur.
Kultur ist natürlich bei der Größenordnung in Würselen ein größeres Thema als in Weilerswist, auch mit der dortigen Volkshochschule und der Bibliothek. Außerdem hat Würselen ein eigenes Jugendamt. Bei den Schulen habe ich auch mehr zu tun, weil es neben einer Gesamtschule und Grundschulen auch ein städtisches und ein privates Gymnasium gibt. In Würselen gibt es auch eine hauptamtliche Feuerwehrwache, die ich betreue, und nicht ausschließlich eine freiwillige Wehr.
Haben Sie auch mehr Kolleginnen und Kollegen unter sich?
Ja, in Weilerswist habe ich 38 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dort werden es knapp 200 sein.
In Würselen werden Sie nicht mehr der Erste Beigeordnete und Allgemeine Vertreter des Bürgermeisters sein. Bedeutet das eine Verschlechterung für Sie?
Das ist keine Verschlechterung, sondern eine Änderung in der Vertretungsregelung. Ich wurde in Würselen in eine höhere Besoldungsgruppe eingestuft.
„Gehe mit einem weinenden Auge“
Gibt es Dinge, die Sie an Weilerswist vermissen werden?
Ja, natürlich, sonst würde ich nicht mit einem weinenden Auge gehen. Allein an sozialen Kontakten habe ich in achteinhalb Jahren einiges aufgebaut. Sei es die Zusammenarbeit mit Frau Horst und Herrn Eskes, die sehr gut funktioniert. Aber natürlich auch die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern in meinem Dezernat.
Mit vielen ist man mittlerweile beim „Du“, was natürlich auch eine vertrauensvolle Arbeit mit sich bringt und wo man über die Jahre eine gute Truppe aufgebaut hat. Der Laden läuft sehr gut und man weiß, dass man sich auf die Leute verlassen kann. Das ist dann etwas, das ich mir bei einem neuen Arbeitgeber erst wieder aufbauen muss. Genauso wie eine persönliche Beziehung zu den Politikern und Bürgern.
Das hört sich so an, als hätten Sie sich sehr wohl gefühlt. Trotzdem haben Sie sich ja dreimal in Ihrer Zeit hier wegbeworben: 2018 in Erftstadt, 2019 in Kerpen und jetzt in Würselen.
Ich habe mich hier nie wegbeworben, weil ich unglücklich war. Man muss für sich abwägen, ob man sich beruflich noch mal weiterentwickeln möchte. Wenn man Wahlbeamter ist, ist das meistens mit dem Sprung zu einer größeren Kommune möglich.
Als ich im Oktober in Weilerswist wiedergewählt wurde, hatte ich nicht unbedingt vor, mich wegzubewerben. Ich habe lange abgewägt und überlegt, bis ich mich in Würselen beworben habe. Das Bewerbungsverfahren war dann sehr intensiv.
In meiner Tätigkeit vor Weilerswist bei der Gemeindeprüfungsanstalt des Landes NRW bin ich zweimal in Würselen gewesen. Deshalb hatte ich schon einen Bezug zu der Stadt. Meine Aufgabe war, Städte und Gemeinden zu prüfen und zu beraten, damit das Thema Haushalt wieder verbessert wird durch einen Blick von außen.
Seit 2013 waren Sie das erste Mal als Beigeordneter tätig?
Ja, ich war vorher Lebenszeitbeamter.
Kitas, Kampfmittel, Hochwasser, Ordnungsdienst – Rückblick auf achteinhalb Jahre
Welche Erfahrungen aus Weilerswist können Ihnen in Würselen helfen?
Sehr viele, denke ich. Zum einen haben wir in der Zeit hier viele Dinge auf den Weg gebracht. Als ich hier angefangen habe, hat man beim Bau des Busbahnhofs am Bahnhof an einem Tag 1.200 Granaten aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Da gab es einen intensiven Einsatz mit dem Kampfmittelräumdienst.
Und jetzt zum Abschluss haben wir das Hochwasser, was natürlich eine extreme Katastrophe ist. In diesen Situationen hat man sehr viel im Krisenmanagement dazugelernt. Im Bereich Kita habe ich inhaltlich sehr viel lernen können. In meiner Zeit hier haben wir zusammen 21 neue Kitagruppen auf den Weg gebracht und die Tagespflege ausgebaut. Bei uns müssen Eltern nicht wie in vielen anderen Kommunen sehr lange auf einen Kita-Platz warten.
Mit den politischen Vertretern haben wir auch die Qualität der Kitas durch Gespräche mit den Kita-Leitungen und Elternräten verbessert, zum Beispiel bei der Ausstattung. Auch alle Schulen haben wir so erweitert, dass jedes Kind einen OGS-Platz bekommt. Auch in der Gesamtschule haben wir immer noch mehr Anmeldungen als Plätze, obwohl es im Umkreis immer mehr Gesamtschulen gibt.
Dort haben wir als Schulträger natürlich auch mit einer technischen Ausstattung unterstützen können. Auch das Jugendzentrum wurde erweitert auf Lommersum und Metternich. Das Kinder- und Jugendparlament ist implementiert und wird in Kürze mit den Großen beraten. Auch das Thema Asyl war 2015/2016 eine große Herausforderung. Unser Kombibau für Geflüchtete ist ja ziemlich einmalig in der Region, da die Bewohner alle eigene Küchen und Bäder haben.
Im Bereich Ordnungswesen haben wir den Außendienst von einer Stelle auf 2,5 erweitert. Ich denke, diese Ansprechpartner vor Ort nimmt auch die Bevölkerung wahr. Zu guter Letzt: Unsere Feuerwehr haben wir in den letzten Jahren durch die Fortschreibung des Brandschutzbedarfsplans sehr gut ausgestattet. Da haben wir sicherlich auch Nachholbedarf gehabt.
Wenige Kommunen haben auch unsere Aufwandsentschädigung, die wir auf alle Mitglieder ausgeweitet haben. Auch mit der neuen geplanten Feuerwache sind wir auf einem sehr guten Weg.
Man sagt ja, in kleineren Unternehmen lernt man am besten. Würden Sie das in Weilerswist auch sagen?
Die Hierarchieebenen sind flacher. Jeden Tag hatte ich Kontakt mit jedem Mitarbeiter in meinen Dezernat. Ich verteile immer noch selbst die Post an alle, weil ich auch wissen will, was rein- und rauskommt, und frage, wo wir stehen und ob es Probleme gibt.
In einer kleineren Kommune hat man kürzere Wege und mehr Einzelfallbesprechungen. Ich bin ja nicht nur Beigeordneter hier, sondern auch Fachbereichsleiter, also auch der erste Ansprechpartner für Mitarbeiter, wenn sie eine fachliche Nachfrage haben. Dadurch ist man sehr tief in vielen Fachbereichen dabei.
„Vieles ist gut gelaufen“
Gibt es Projekte, die Sie rückblickend gerne besser oder anders gemacht hätten?
Das ist immer schwer einzuschätzen. Ich denke, dass wir in den letzten Jahren sehr viel auf den Weg gebracht haben, was auch gut gelaufen ist. Man kann sicherlich über Dinge nachdenken, bei denen man vielleicht im Nachgang etwas hätte anders machen können, aber ich denke, dass nichts Wesentliches dabei ist.
Welche Tipps haben Sie für Herrn Eskes, der als Allgemeiner Vertreter von Frau Horst nachrückt?
Herr Eskes ist seit 35 Jahren hier und kennt die Gemeinde viel besser als ich. Da habe ich keine Tipps für ihn, ich kenne ihn und denke, er ist auf diese Aufgabe sehr gut vorbereitet. Ich freue mich sehr, dass der Rat ihn als Ersten Beigeordneten gewählt hat. Das hat er sich mehr als verdient. Wir waren immer in einem sehr engen und persönlichen Austausch.
Ich habe das Dezernat, wo am meisten Geld ausgegeben wird, und er als Kämmerer muss natürlich gucken, dass es sich im Rahmen hält (lacht). Da haben wir immer sehr gute Lösungen für beide gefunden. Ich habe auch meinen Mitarbeitern angeboten, mich anzurufen, wenn sie noch Fragen haben. Das gilt auch für Herrn Eskes und Frau Horst.
Welche Baustellen lassen Sie noch zurück?
Wir haben keine Sachen, die liegenbleiben, sondern Projekte, die noch weiterlaufen. Beim Projekt neue Feuerwache ist soweit alles auf den Weg gebracht. Genauso wie der Aktionsplan zur kinderfreundlichen Kommune und der Anbau der Grundschule Weilerswist.
Was wünschen Sie der Gemeinde für die Zukunft?
Ich habe die Gemeinde als sehr gut aufgestellt und sehr lebensfroh kennengelernt mit vielen Ehrenamtlern. Sie bietet den Bürgern sehr viel, in der Kinderbetreuung zum Beispiel und auch im Freizeitbereich.
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Ich hoffe, dass Weilerswist sich dort auch weiterentwickeln kann. Ich werde Weilerswist immer sehr verbunden sein und wünsche allen Akteuren weiter ein glückliches Händchen zum Wohle der Gemeinde.