AboAbonnieren

FlutkatastropheLebenshilfe Euskirchen noch immer im Krisenmodus

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt

Erschöpft, aber zuversichtlich: Geschäftsführer Bernd Milz (2.v.l.) und Mitarbeitende der Lebenshilfe Euskirchen.

Kreis Euskirchen/Weilerswist – Frustrierend sei es, sagt Bernd Milz und schaut ernst. Bald ein Jahr nach der verheerenden Flutkatastrophe, die an drei der vier Wohnstätten der Lebenshilfe Kreisvereinigung Euskirchen große Schäden verursacht hat, ist noch immer nicht absehbar, wann der Normalzustand wiederhergestellt ist.

Einen Bauzeitenplan zu entwickeln, das sei eigentlich unmöglich. Die Firmen würden derzeit den Takt vorgeben, „und hat man dann welche, kommt der Materialmangel ins Spiel“, sagt der Geschäftsführer. Ein Schritt vor, zwei zurück – so würde sich das Projekt Wiederaufbau bisweilen gestalten.

Wohnstätte Vernich bald wieder fertiggestellt

Immerhin: Die Wohnstätte in Vernich, in der 24 Bewohnerinnen und Bewohner zu Hause sind, könnte bald fertiggestellt werden. „Es fehlen noch die Bodenbeläge, dann müssen die Möbel eingebaut werden – sofern sie bald lieferbar sind“, sagt Bernd Milz. Das Obergeschoss wurde bereits von 13 Bewohnern wiederbezogen, andere, die noch in Ausweichquartieren leben, werden hoffentlich bald folgen können.

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli vergangenen Jahres drang das Wasser in Keller und Erdgeschoss in die Vernicher Wohnstätte ein. In Kall waren es reißende Wassermassen, die die beiden Wohnstätten bis zu 1,60 Metern fluteten, Fenster und Türen herausdrückten und alles mitrissen, auch das, was eigentlich niet- und nagelfest war. Bernd Milz: „Dort war die Wucht des Hochwassers wirklich auf jedem Quadratmeter deutlich zu erkennen.“

Verantwortungsvolles und schnelles Handeln

„Wir hatten wirklich riesiges Glück - niemand ist zu Schaden gekommen. Und das ist vor allem den schnell und verantwortungsbewusst handelnden Mitarbeitern zu verdanken“, erklärt der Geschäftsführer.

Neuer Inhalt

Das Obergeschoss des Vernicher Lebenshilfe-Heimes ist wieder bewohnt.

„In der Nacht haben wir alle Bewohnerinnen und Bewohner aus ihren Betten geholt, um sie nach oben zu bringen“, erinnert sich Heidi Kunen, zum damaligen Zeitpunkt noch Einrichtungsleiterin in Vernich. Zu diesem Zeitpunkt sei der Fahrstuhlschacht bereits überflutet gewesen, „die teils schwer mehrfach behinderten Menschen mussten huckepack von Mitarbeitern in den ersten Stock gebracht werden.

"Entsetzliche Nacht" für Bewohner und Team

Es folgte eine „entsetzliche Nacht“, wie Kunen sagt. Ohne Strom, bei Kerzenschein, ohne Informationen und Verbindung nach draußen. „Und unten im Haus hörten wir das Wasser, und überall stank es fürchterlich.“

Die Bewohner hätten unterschiedlich reagiert: „Manche erfassten die Situation nicht. Andere weinten um ihre in den Zimmern gebliebenen Puppen, die für sie wie Kinder sind“, erzählt Kunen. Erst am Samstag seien die Bewohnerinnen und Bewohner mitsamt der Belegschaft evakuiert worden. Zunächst in Zimmer der Senioreneinrichtung Stella Vitalis. Eine Weilerswisterin habe kurze Zeit darauf ihr Einfamilienhaus zur Verfügung gestellt, sodass dort zehn Bewohner einziehen konnten.

Gleichberechtigte Teilhabe am Leben

Gemeinnützige Selbsthilfevereinigung

Die Lebenshilfe Kreisvereinigung Euskirchen ist eine gemeinnützige Selbsthilfevereinigung für Menschen mit Behinderung, ihre Angehörigen, für Fachleute, Freunde und Förderer. Sie begleitet Menschen mit geistiger Behinderung in ihrem Bestreben, gleichberechtigt am Leben in der Gesellschaft teilzunehmen und tritt für die barrierefreie Gestaltung aller Lebensbereiche ein.

Unterstützung und Hilfe

Menschen mit Behinderung erfahren durch die Lebenshilfe Unterstützung bei der Verwirklichung ihrer Interessen und Rechte, insbesondere in Hinblick auf das Recht der Selbstbestimmung und sozialer Teilhabe.

Differenzierte Wohnmöglichkeiten

Angeboten werden auch differenzierte Wohnmöglichkeiten, die passgenaue Hilfen für jeden Menschen mit geistiger Behinderung ermöglichen. So gibt es ambulant betreutes Wohnen, aber auch insgesamt vier Wohnstätten, in denen Menschen miteinander leben, die nicht alleine wohnen können oder möchten.

„Andere wurden in Appartements des Betreuten Wohnens verlegt, etliche gingen auch zu ihren Familien“, erzählt Bernd Milz und fügt an: „Wir wissen, dass die Unterbringung teils sehr beengt und schwierig war, aber es gab schlichtweg keine Alternativen.“ Gleichzeitig hätten Tausende andere in der Region Haus und Hof verloren und Ausweichquartiere gesucht. Bewohner wie Mitarbeitende mussten für geraume Zeit erhebliche Einschränkungen in Kauf nehmen und hätten sich dabei sehr solidarisch gezeigt.

Tief beeindruckt vom Einsatz der Vielzahl der Helfer

„Die Dimension der Katastrophe“, gibt Milz unumwunden zu, „hat uns alle über unsere Leistungsgrenzen hinaus gefordert.“ Die Corona-Pandemie habe den Bewohnern und Teams bereits sehr viel zugemutet, die Flut habe noch „massiv eins draufgesetzt“.

Tief beeindruckt habe Bernd Milz die Vielzahl freiwilliger Helferinnen und Helfer, die in den Tagen nach der Katastrophe mitangepackt, Pumpen besorgt und einen Container nach dem anderen gefüllt hatten. „Wir haben dann schnell gemerkt, dass wir es nicht alleine schaffen, den Wiederaufbau aller beschädigten Objekte alleine zu organisieren und haben uns eine erfahrene Architektin ins Boot geholt“, so Milz. Hinzu komme noch die Abwicklung der Schäden über die Versicherung, die sich „bis heute schwierig“ gestalte. „Glücklicherweise ist die Lebenshilfe ein Verein, der auf gesunden Füßen steht, so dass wir in Vorleistung treten konnten“, sagt Bernd Milz.

Das könnte Sie auch interessieren:

Noch ist sehr viel zu tun in der Lebenshilfe Kreisvereinigung Euskirchen. „Wir sind und bleiben im Krisenmodus – und das seit über zwei Jahren“, konstatiert der Geschäftsführer. „Unsere Kapazitäten werden leider absorbiert von der Krisenbewältigung, wir sind noch immer in der Phase des Reagierens“, ergänzt der zweite Geschäftsführer Christian Meyer. „Viel lieber würden wir unseren Fokus wieder auf das richten, wofür die Lebenshilfe eigentlich steht: Menschen mit geistiger Behinderung bei der gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu unterstützen.“