Glück zählt keine ChromosomenWeilerswister Mutter und Tochter sind ein starkes Team
Weilerswist – Wenn Ava lacht, und das tut sie sehr gerne, dann wird es um einige Grad wärmer im Raum. Knapp über zwei Jahre alt ist das kleine Mädchen, das mit seiner Mutter Yvonne Ullrich im Weilerswister Süden zu Hause ist und dessen Start ins Leben einer mit ziemlich großen Hürde war.
„Ich habe mir immer Kinder gewünscht, lange hat es nicht geklappt“, erzählt Yvonne Ullrich. Ava sei völlig unerwartet in ihr Leben getreten, so die 41-Jährige. Der Kindsvater reagiert darauf verhalten. Während der ersten Monate der Schwangerschaft geht die Beziehung der beiden in die Brüche. „Das änderte nichts daran, dass ich mich sehr auf das Baby freute“, erinnert sich die Weilerswisterin.
Schock für die werdende Mutter
In der 16. Schwangerschaftswoche macht Yvonne Ullrich vorsorglich eine molekulargenetische Blutanalyse. „Erwartet habe ich nichts. Die Untersuchungen zur Vorsorge waren bis dahin alle unauffällig.“ Doch dann folgt der Schock für die werdende Mutter: Am 8. Juli 2018, Yvonne Ullrichs 39. Geburtstag, ruft sie ihr Frauenarzt an und erklärt, dass ihr Kind allem Anschein nach einen Gen-Defekt habe.
„Ich habe nur noch geweint und geweint, stand völlig neben mir“, erzählt die Weilerswisterin, die in den Tagen danach zu einem Vertretungsarzt gehen muss, da ihr Gynäkologe im Urlaub ist. „Der Arzt ging direkt davon aus, dass ich mich zu einer Abtreibung entschließe, sagte, dass ich kein schlechtes Gewissen haben müsse und dass Inklusion eh nur eine Worthülse der Pseudogesellschaft sei.“
Verdacht wurde bestätigt
Eine Fruchtwasseruntersuchung bestätigt kurze Zeit später den Verdacht: Das ungeborene Kind hat Trisomie 21. Ihr Frauenarzt versichert Yvonne Ullrich, sie bei jeder Entscheidung zu begleiten, egal, welche sie treffen werde. Das beruhigt sie. „Keiner kann einem sagen, wie stark ausgeprägt die Beeinträchtigungen für das Kind sein werden. Ich wollte nur, dass die Kleine nicht leiden muss, zum Beispiel schwere Operationen zu erwarten hat.“
Gespräche mit Therapeuten
„In guter Hoffnung“, wie es im Volksmund heißt, ist Yvonne Ullrich nicht mehr. „Die Schwangerschaft war eine echte Katastrophe, ich habe mir rund um die Uhr Sorgen gemacht.“ Doch dann gibt es diesen einen Moment, wo ihr klar wird: „Mein Leben ist nicht vorbei durch diese Diagnose. Und das von Ava auch nicht.“
Geholfen habe ihr vor allem ein Gespräch mit einem Sozialtherapeuten, der ihr rät, auch die Perspektive des Kindes einzubeziehen: Wird Ava glücklich dadurch, dass sie studieren wird oder den Führerschein macht? Oder eher dadurch, dass sie geliebt, umsorgt und angenommen wird?
Bewusst für Ava entschieden
Heutzutage geht die 41-Jährige selbstbewusster um mit den mitleidigen Blicken, die sie manchmal erntet. Oder mit der Standardfrage: „Haben Sie nicht vorher gewusst, dass das Kind behindert ist?“ Viele Menschen, so die Weilerswisterin, könnten nicht verstehen, dass man sich bewusst für ein solches Kind entscheidet. Von manch einem im Freundes- oder Bekanntenkreis habe sie sich entfernt.
„Die Ansichten und Werte passten nicht mehr in meine und Avas Welt“, sagt sie. In der 21. Schwangerschaftswoche spürt Yvonne Ullrich einen kleinen Knoten in der linken Brust. Vorsichtshalber wird sie daher in ein Brustzentrum überwiesen, wo man eine Biopsie des Gewebes macht. „Ich war absolut überzeugt, dass da nichts ist. Die Diagnose Brustkrebs hat mir dann aber den Boden unter den Füßen weggerissen.“
Den Glauben verloren
Bis dahin, so die 41-Jährige, habe Gott eine große Rolle in ihrem Leben gespielt, aber in dieser Zeit habe sie ihren Glauben verloren. „Ich war unsagbar wütend, fand alles nur noch ungerecht und furchtbar.“ Ava allein habe ihr die Kraft gegeben, diese Zeit durchzustehen. „Meine kleine Lebensretterin“, nennt sie ihre Tochter, aber nicht nur deshalb: „Die Ärzte meinten, der Tumor sei vermutlich schon vor der Schwangerschaft dagewesen. Durch den Hormonschub sei er dann glücklicherweise spürbar geworden.“
Yvonne Ullrich beginnt eine Chemotherapie. Die verläuft, wie sich neun Wochen später herausstellt, leider nicht erfolgreich. „Der Tumor war weiter gewachsen. Die Ärzte rieten mir dringend, das Baby schnellstmöglich zu entbinden, um weitere Behandlungen möglich zu machen.“
Geburt per Kaiserschnitt
In der 34. Schwangerschaftswoche wird Ava schließlich per Kaiserschnitt geboren – mit zwei kleinen Löchern im Herzen und schwachem Muskeltonus, ansonsten aber fit. Yvonne Ullrich beginnt eine neue, eine andere Chemotherapie, die glücklicherweise Erfolg zeigt. „Anfang Dezember 2018 konnte ich Ava nach Hause holen.
Ich steckte mitten in der Chemo, habe aber kein einziges Mal tagsüber im Bett gelegen und geschlafen“, erzählt sie und wundert sich selber, wie sie in dieser Zeit einfach funktioniert habe.Immerhin galt es auch, zahllose Termine mit und wegen Ava einzuhalten: „Untersuchungen beim Kardiologen, Kinderarzt und anderen Spezialisten, Berge von Anträgen wegen ihrer Behinderung, dem Elterngeld und so weiter.“
Die Familie und ihre Freunde unterstützen sie kräftig , aber vor allem ihre Tochter habe es ihr in dieser schweren Zeit leicht gemacht – auf ihre Art: „Alle Sorgen, die ich mir wegen Ava gemacht hatte, hat sie mir abgenommen. Ihr ging es gut, die Löcher im Herzen wuchsen zu, und sie hat mit nur drei Monaten durchgeschlafen.“
„Glück zählt keine Chromosomen“ heißt die Statusmeldung, die Yvonne Ullrich auf ihrem WhatsApp-Account eingespeichert hat. Ihre Entscheidung für Ava hat sie nie bereut. „Sie ist glücklich, und es ist ihr völlig egal, dass sie das Down-Syndrom hat“, meint die Mutter, während Ava in aller Ruhe die Küchenschubladen ausräumt.
Keine Angst mehr
Ein halbes Jahr etwa hinkt sie im Vergleich mit ihren Altersgenossen in der Entwicklung hinterher. Die Angst, dass Ava niemals laufen oder sprechen lernen würde, dass sie als Mutter die Bedürfnisse ihres Kindes womöglich nicht verstehen könnte – all das hat sich in Luft aufgelöst. „Mama“ und ein deutliches „Nei Nei!“ für Nein kommen Ava locker über die Lippen.
„Ich verurteile keine Frau, die sich gegen ein Kind mit Behinderung entscheidet“, sagt Yvonne Ullrich. Trotzdem, so die 41-Jährige, würde sie sich freuen, „wenn auf dieser Welt ganz viele kleine Avas herumlaufen und ihre Lebensfreude versprühen würden“. Frauen in ähnlicher Lage rät die Mutter, sich Zeit mit einer Entscheidung und nicht zu sehr bedrängen zu lassen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Ava habe ihr Leben sehr verändert, mehr noch als es ein gesundes Kind wahrscheinlich getan hätte. „Ich habe früher vieles gar nicht wahrgenommen, jetzt sehe ich die Besonderheiten der Menschen und schenke vor allem den besonderen, denen, die komisch beäugt werden, meine Aufmerksamkeit.“
Auch Gott spiele wieder eine kleine Rolle in ihrem Leben. „Auch wenn sie immer noch ein wenig verhalten ist, stehen wir doch wieder in Kommunikation miteinander“, sagt Yvonne Ullrich lachend.