Ottmar Voigt hat mehr als 45 Jahre bei der Stadt Zülpich gearbeitet. Im Interview spricht er über Mammutaufgaben, Bürokratie und Wünsche.
Ottmar Voigt im InterviewZülpichs Kämmerer über Fördertöpfe, Wünsche und Bürgermeister
Herr Voigt, Sie haben mehr als 45 Jahre bei der Stadt Zülpich gearbeitet. Wie oft haben Sie die deutsche Bürokratie verflucht?
Ottmar Voigt: Das ist eine gute Frage. Wenn man sich immer nur der Bürokratie unterordnet, dann sind viele Projekte schnell zum Scheitern verurteilt. Häufig gibt es aber Ermessensspielräume oder Regelungslücken, und wenn man die im Sinne der Stadt kreativ zu nutzen weiß, lassen sich auch vernünftige Lösungen erzielen. Aber in der Tat, Bürokratie ist schwerfällig. Wir sind ja auch massiv von der Flutkatastrophe betroffen, und wenn man dann schaut, wie langsam manche Mühlen mahlen, da kann einem schon einmal die Hutschnur platzen.
Was war die bürokratisch komplizierteste Aufgabe, der Sie sich in ihrer Laufbahn stellen mussten?
Eine ganz große Herausforderung war 2008/2009 die Bewerbung der Stadt Zülpich um die Ausrichtung der nordrhein-westfälischen Landesgartenschau. Hierzu muss man wissen, dass die Stadt Zülpich finanziell nie auf Rosen gebettet war. Eine solche Veranstaltung kann man nur durchführen, wenn man gegenüber dem Ministerium und der Kommunalaufsicht unter Beweis stellt, dass die Kommune auch nachhaltig finanziell leistungsfähig ist. In dieser Phase hatten wir im städtischen Haushalt aber jährliche Unterdeckungen zwischen sechs und acht Millionen Euro. Das war dann schon eine absolute Herausforderung, die zuständigen Behörden davon zu überzeugen, dass die Stadt Zülpich diese Aufgabe meistern kann, ohne das Ziel des Haushaltsausgleichs aus dem Auge zu verlieren.
Dabei ging es uns bei der Veranstaltung ja weniger darum, ein halbes Jahr Gastgeber für Nordrhein-Westfalen zu sein, sondern wir hatten vor allem das Ziel, Zugang zu Fördertöpfen zu finden, um die kommunale Infrastruktur zu optimieren. Die Chance haben wir für Zülpich genutzt. Im zweistelligen Millionenbereich konnten Gelder generiert werden, die wir sinnvoll in die Verbesserung unserer Infrastruktur investiert haben. Das war damals schon eine Mammutaufgabe.
Sie haben den Ruf, Fördertöpfe zu finden, die andere nicht kennen. Wie machen Sie das?
Man muss über den Tellerrand schauen und immer aktuell bleiben. Sonst kann man eine so vielfältig aufgestellte Kommune wie die Stadt Zülpich finanziell nicht im Lot halten. Ich bin fast 30 Jahre mit den Finanzen der Stadt betraut gewesen. Zuerst als stellvertretender Kämmerer und dann 18 Jahre als Kämmerer. Wenn Sie sich zum Ziel setzen, Zülpich von Altschulden zu befreien, einen ausgeglichenen Haushalt hinzubekommen und trotzdem vieles für die Stadtentwicklung zu realisieren, dann geht das nur über die Generierung von Fördermitteln. Das war für Zülpich immer eine Notwendigkeit.
Man muss also einfach schauen, was in der Region abgeht, welche Förderperspektiven gegeben sind, und dann versuchen, die Tür zu öffnen. Das haben wir im Vorfeld der Landesgartenschau praktiziert, da konnten wir 13 oder 14 Millionen Euro an Fördermitteln alleine für die städtische Infrastruktur generieren. Und das haben wir aktuell auch beim Integrierten Handlungskonzept, mit dem wir die Innenstadt konkurrenzfähig machen wollen, unter Beweis gestellt. Das alles ist aber keine One-Man-Show, das läuft im Rathaus nur im Team.
Sie haben unter vier Bürgermeistern gearbeitet. Wer von ihnen konnte am besten mit Geld umgehen?
Also, in die Nesseln setze ich mich nicht! Ich würde aber Folgendes behaupten: Alle Bürgermeister haben sich, was die Finanzen angeht, in meiner Zeit stets auf die Kämmerei verlassen. Wir haben daher eigentlich immer relativ frei operieren können. Alle vier Bürgermeister und auch die Politik haben sich bei der Aufstellung des Haushalts fast immer diszipliniert und ihre Vorstellungen an der von der Kämmerei dargelegten finanziellen Realität ausgerichtet.
Worauf sind Sie denn besonders stolz, wenn Sie auf Ihre Zeit bei der Stadt blicken?
Ich hatte ja in Personalunion mehrere Zuständigkeiten: Ich bin seit vielen Jahren Kämmerer, Geschäftsführer der Stadtentwicklungsgesellschaft und wurde vor acht Jahren dann zusätzlich noch Beigeordneter. Fast 30 Jahre war ich zudem Wirtschaftsförderer, und in dieser Funktion konnte ich daran mitwirken, dass in unserem Gewerbegebiet inzwischen alle städtischen Grundstücke vermarktet sind. Dabei ist es uns gelungen, einige überregional, teilweise sogar international operierende Großbetriebe anzusiedeln, die dem Standort Zülpich viele zusätzliche Arbeitsplätze gebracht haben.
Da waren schon auch spannende Ansiedlungen dabei. Zum Beispiel die Firma Takasago Europe GmbH, die hier mittlerweile mehr als 450 Mitarbeiter beschäftigt. Takasago ist ein weltweit aufgestellter Konzern, der von Zülpich aus den kompletten europäischen Markt mit Aromen für die Lebensmittelindustrie bedient. Im Vorfeld der Ansiedlungsphase gab es da natürlich zahlreiche Mitbewerber, die wir aber erfolgreich aus dem Rennen werfen konnten. Das können wir uns schon positiv anrechnen. Spaß gemacht hat aber nicht nur die Realisierung der zahlreichen Neuansiedlungen im Gewerbegebiet „An der Römerallee“, sondern auch die Bestandspflege für alle Zülpicher Betriebe.
Im Gewerbegebiet sollte einst ein E-Commerce-Center von Kaufhof entstehen. Wie erleichtert sind Sie heute, dass das nicht geklappt hat?
Wir waren im ersten Moment stolz, mit Galeria-Kaufhof ein namhaftes Unternehmen nach Zülpich locken zu können. Im Nachhinein sind wir aber froh, dass die späteren Turbulenzen des Konzerns an uns vorübergegangen sind. Aber: Über die Verhandlungen mit Galeria-Kaufhof haben wir sehr früh den Kontakt zur Geschäftsführung der Firma Fiege-Logistik geknüpft und damit einen zuverlässigen Partner kennengelernt. Das war schon ein schönes Netzwerk, das wir da ersatzweise aufbauen konnten. Immerhin hat auch dieser Wechsel dem Wirtschaftsstandort Zülpich mehr als 500 zusätzliche Arbeitsplätze gebracht.
Nehmen wir mal an, die Stadt Zülpich wäre finanziell unabhängig und Sie dürften entscheiden: Was würden Sie noch umsetzen?
Ich glaube, wir haben mit dem Integrierten Handlungskonzept, den Investitionen im Schul- und Sportbereich sowie den zahlreichen Neubaugebieten die Segel richtig gesetzt.
Also haben Sie keine Wünsche oder Träume für die Stadt?
Was natürlich schmerzt, ist die Entwicklung des Einzelhandels. Sicherlich hätten wir die Innenstadt gerne wieder mit zusätzlichem Handel belebt. Aber mit dem Strukturproblem des Einzelhandels sind wir in Deutschland ja nicht allein. Es bleibt zu hoffen, dass es uns trotzdem gelingt, mit dem Integrierten Handlungskonzept ein attraktives, lebendiges Zentrum mit hoher Aufenthaltsqualität und Barrierefreiheit für alle Bevölkerungsgruppen zu schaffen.
Und als Kämmerer würde ich dafür werben, dass wir weiter Ideen entwickeln, wie wir finanziell noch unabhängiger werden können. Dazu gehören auch mehr Einwohner. Das erfordert zwar einige Investitionen im Bereich der Infrastruktur, aber im Saldo und mit Zeitverzug resultieren hieraus Zusatzeinnahmen, mit denen dann etwas freier gewirtschaftet werden kann.
Wie ist Ihr Blick auf die Zukunft? Haben Sie Sorge, dass die Stadt wieder in die roten Zahlen rutschen könnte?
Wir müssen da weiter von Jahr zu Jahr denken. Die Rettungsschirme des Staates während der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges müssen irgendwann ja auch refinanziert werden. Es ist daher zu befürchten, dass künftig über Jahre weniger Geld bei den Kommunen ankommt. Das wird man einfach situationsabhängig verfolgen müssen. Wir werden jedenfalls auch 2024 trotz aller Schwierigkeiten und Risiken voraussichtlich wieder einen ausgeglichenen Haushalt hinbekommen. Es werden sich auch in Zukunft wieder Türen öffnen, trotz Krisen.
Was wünschen Sie sich für Zülpich für die Zukunft?
Als Verwaltungsspitze haben wir uns in den letzten Jahren stark dafür eingesetzt, dass in städtischen Angelegenheiten auch bei unterschiedlichen Auffassungen von den meisten Akteuren ein respektvoller und fairer Umgang gepflegt wird. Das war und ist aufwendig, da wir bei Bedarf natürlich auch immer persönlich als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Das lohnt sich aber für das Klima im Umfeld des Rathauses und damit für Zülpich. Ich würde mir für die Römerstadt wünschen, dass diese bewährte Umgangsform auch in den kommenden Jahren gelebt wird.
Ottmar Voigt ist seit Kindesbeinen stolzer Zülpicher
Geboren wurde Ottmar Voigt in Kommern, doch aufgewachsen ist er in Schwerfen und lebt bis heute dort. Was ist für ihn das Besondere an Schwerfen? „Es ist landschaftlich reizvoll gelegen“, antwortet Voigt. Außerdem zeichnen den Ort mit rund 1500 Einwohnern ein gut funktionierendes Vereinsleben und ein großer Zusammenhalt aus. Letzteren habe er vor allem nach der Flut gespürt, die ihn privat stark getroffen habe. Eines ist Voigt aber wichtig: „Ich verstehe mich auch nicht als Schwerfener, sondern als Zülpicher.“
Und so zog es ihn auch beruflich zu seiner Stadt. 1978 begann er eine Ausbildung im mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst. 1980 folgte eine Ausbildung im gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst. Seine Arbeitsschwerpunkte lagen seitdem im Prüfungs- und Finanzwesen, er wurde zunächst stellvertretender Kämmerer und 2006 zum Kämmerer bestellt. Im selben Jahr wurde auch die Stadtentwicklungsgesellschaft Zülpich gegründet, deren Geschäftsführer er bis heute ist. 2016 erfolgte die Wahl zum Beigeordneten.
Seinen letzten Arbeitstag hat der 67-Jährige am Freitag, 23. Februar. Doch ein langsames Ausklingen ist nicht angesagt: Noch am 22. Februar finden Haushaltsberatungen statt. Bedauerlich findet Voigt das aber nicht, die Arbeit habe ihm eigentlich immer Spaß gemacht, sagt er.
Große Pläne für seinen Ruhestand hat er noch nicht. Zeit mit der Familie zu verbringen – Voigt ist verheiratet und hat eine Tochter – und seinen Hobbys Sport und Reisen nachzugehen, stehen auf seinem Zettel. Dabei zieht es ihn nicht nur in die Ferne. Er sei gerne im Schwerfener Tal unterwegs, berichtet Voigt. Und auch den Zülpicher Wassersportsee habe er ins Herz geschlossen.
Nachfolger kommt von der Stadt Kerpen
Ottmar Voigt wird vorerst der letzte Beigeordnete der Stadt Zülpich sein. Um möglichst vielen Bewerbern eine Chance zu geben, hat der Rat einstimmig beschlossen, statt eines Beigeordneten einen Allgemeinen Vertreter des Bürgermeisters zu wählen. Der heißt Michael Höhn ist 45 Jahre alt, dreifacher Vater und kommt aus Merzenich.
Seit mehr als 25 Jahren arbeite Höhn auf kommunaler Ebene, heißt es in einer Mitteilung der Stadt. Aktuell ist Höhn für die Stadt Kerpen als Dezernent für die Bereiche Personal, Organisation, IT und Digitalisierung, Projektmanagement sowie für das Fördermittelmanagement verantwortlich. „Mit Michael Höhn hat die Stadt Zülpich einen absoluten Verwaltungsfachmann für das Amt des Allgemeinen Vertreters gewonnen, der uns in den gemeinsamen Gesprächen auch menschlich überzeugt hat“, wird Bürgermeister Ulf Hürtgen in der städtischen Mitteilung zitiert. Höhn wird seine Arbeit bei der Stadt Zülpich am 1. April aufnehmen.
Auch für die Kämmerei gibt es schon einen Nachfolger für Ottmar Voigt. Christian Antons leitet seit 2022 den Geschäftsbereich Finanzen und ist stellvertretender Kämmerer. Antons sei bereits gut eingearbeitet, sagt Voigt. Der künftige Ruheständler hat allerdings noch zwei weitere Posten inne. Er ist Wirtschaftsförderer und Geschäftsführer der Stadtentwicklungsgesellschaft. Hier sei man aber noch in der Findungsphase, was eine Nachfolge angehe, berichtet Voigt.
Er selbst will die Stadt auch weiterhin unterstützen: „Irgendwann muss man auch loslassen können, aber als Zülpicher will ich meiner Stadtverwaltung immer mit Rat und Tat zur Seite stehen.“