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Hilferuf der AnwohnerLangel und Rheinkassel wollen wachsen – aber dürfen nicht

Lesezeit 5 Minuten
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Wenn es nach den Bewohnern geht, könnte auf dieser Wiese zwischen Langel und Rheinkassel gebaut werden – Stadt und Bezirksregierung sehen das seit Jahrzehnten  anders. 

  1. Die Nachfrage nach Wohnraum in Köln wird immer größer. Die Immobilienpreise explodieren, weil es kaum noch Platz gibt in der Stadt.
  2. In Langel und Rheinkassel ist das anders: Hier gibt es noch Wohnraum und viele Anwohner, die darum kämpfen, dass mehr Menschen zuziehen.
  3. Doch Bezirksregierung und Stadt Köln lehnen immer wieder ab.

Wenn Dieter Metz auf der Wiese steht, die seinem Dorf eine Zukunft geben soll, sieht er einen Schützenstand, einen Damm, ein Hochwasserpumpwerk und ein gelbes Schild, auf dem in verwaschener Schrift Stellplätze für Wohnwagen angeboten werden. Groß wie drei Fußballfelder ist die Wiese zwischen Langel und Rheinkassel, die Bezirksvertretung Chorweiler hatte unlängst vorgeschlagen, den Acker als Bauland auszuweisen. Die Bezirksregierung lehnte ab. Das Zusammenwachsen von Rheinkassel und Langel sei „städtebaulich nicht vertretbar“, hieß es zur Begründung. Auch die Stadt Köln hat eine Bebauung immer wieder abgelehnt.

Langel, Rheinkassel und Kasselberg, 2500 Einwohner, kein Arzt, keine Apotheke, kein Bäcker, nichts. Wer durch die Orte fährt, sieht Häuser und Autos, eine Kneipe, einen Kiosk, einen Metzger, der nur noch zweimal die Woche verkauft, ein Ausflugslokal, das war’s. Die drei Orte, umgeben von den Ford-Werken, einem Chemiewerk, dem Ölhafen, einem Heizkraftwerk und der Autobahn, aber auch von Wiesen, Feldern und Fluss, haben keine Infrastruktur – ihrem Schicksal ergeben wollen sie sich deswegen nicht. „Wir wollen wachsen und wundern uns, dass das politisch nicht gewünscht ist, weil ja so viel von Wohnungsnot die Rede ist“, sagt Metz, der 30 Jahre als Vorsitzender des Bürgervereins für den Erhalt der Rheindörfer gekämpft hat und sich an die Zeiten erinnert, als es buchstäblich ums Überleben ging.

Ungewöhnlicher Ruf nach Wachstum

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Brigitte Klein (Mitte) und Dieter Metz (rechts) vom Bürgerverein.

In den 1970er Jahren sollten die Orte abgerissen werden, um Platz für ein riesiges Gewerbegebiet mit Autobahnanbindung zu machen. Die Pläne scheiterten am Widerstand der Menschen. Die Bürger sind also geübt darin, ihre Interessen beharrlich zu verfolgen. Er wisse nicht, wie oft er über die Bezirksvertretung Chorweiler beantragt habe, mehr Bauland in den Rheindörfern auszuweisen, sagt Metz. Warum zwei Orte, die sich als einer fühlen, nicht verbunden werden dürfen, verstehen viele nicht. „Die Politik klagt über Wohnungsnot, die Mieten steigen, Familien finden keine Bleibe, aber hier passiert nichts.“

In der Tat ist der Ruf nach Wachstum ungewöhnlich – sonst verhält es sich umgekehrt: Sobald ein Wohngebiet geplant wird, sei es in Auweiler, Zündorf, Weiden, Sürth, Mülheim oder Deutz, gibt es erhebliche Bedenken. Was heißt also „städtebaulich nicht vertretbar“, wenn schon die Menschen ein Neubaugebiet fordern?

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Der Freiraum hat laut Stadt eine wichtige Funktion als Frischluftkorridor.

„Zum einen halten wir ein Zusammenwachsen der Orte städtebaulich nicht für sinnvoll: Rheinkassel und Langel würden ihre Identität verlieren“, sagt Anne Luise Müller, Leiterin des Stadtplanungsamts. „Zum anderen hat der Freiraum eine wichtige Funktion als Frischluftkorridor.“ Ganz allgemein führe das Wachstum der Stadt Köln dazu, dass wir „bestehende und auch bedeutsame Freiräume mitunter mit Zähnen und Klauen verteidigen müssen“.

„Blockadehaltung der Politik“

Für Dieter Metz und seine Nachfolgerin als Bürgervereinsvorsitzende, Brigitte Klein, ist die Haltung des Amts schwer nachvollziehbar. Von einer „Blockadehaltung der Politik“ spricht Metz. Vor allem der Hinweis auf die unterschiedliche Identität der Orte ärgert ihn: „Wir haben uns hier immer als Eins gesehen. Langel und Rheinkassel sind doch nicht Köln und Düsseldorf! Wir brauchen Zuzug, um für Geschäfte attraktiv zu werden.“

Die Nachfrage nach Wohnraum wird größer in Köln, das Angebot im Vergleich mickriger. Im Jahr 2017 sind lediglich 2138 Wohnungen fertiggestellt worden – um den Bedarf der wachsenden Stadt zu decken, müssten es jährlich mindestens 6000 sein.

Die Bezirksregierung arbeitet aktuell an der Aufstellung eines neuen Regionalplans, der vorgibt, welche Flächen noch besiedelt werden können. „Da der Klima-Ausgleich im alten Regionalplan noch keine große Rolle gespielt hat, werden die Spielräume künftig eher kleiner sein“, sagt Sachbearbeiter Marco Schlaeger. „Grünzüge und Frischluftkorridore zu erhalten hat hohe Priorität.“ Platz für neue Baugebiete – die zum Teil auch bereits als solche ausgewiesen sind – gebe es vor allem in der Peripherie von Köln. „Je weiter weg von der Stadt, desto größer die Potenziale.“ Wie groß, das wird ein neuer Regionalplan aber erst in fünf oder sechs Jahren zeigen.

Die Stadt Köln hat ihre Wachstumsprognosen zuletzt immer weiter nach oben korrigiert: Aktuell sollen demnach bis 2030 1,16 Million Menschen in Köln leben, rund 66 000 Wohnungen würden bis dahin gebraucht. Die meisten schon vorgestern. Das von der Bundesregierung beschlossene Baukindergeld wird die Nachfrage weiter ankurbeln.

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Und das Angebot? Im ersten Halbjahr 2018 hat das Kölner Bauamt nur 1003 neue Wohnungen genehmigt, 26 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. In angrenzenden Kommunen wie Bergisch Gladbach, Pulheim, Brühl, Frechen, Hürth, Bergisch Gladbach oder Rösrath ist der Bedarf ebenfalls deutlich größer als das Angebot. Anne Luise Müller verweist auf die geplanten Baugebiete im Mülheimer Süden, am Deutzer Hafen, der Parkstadt-Süd, in Zündorf-Süd, Kreuzfeld und Rondorf. 80 bis 90 Prozent der 60 000 Wohneinheiten könnten dadurch entstehen. „Den Rest schaffen wir durch die Zusammenarbeit mit den Nachbarkommunen.“

2030: Bäcker und Eigenheim?

„Wir würden gern helfen, die Wohnungsnot schneller zu beheben“, sagt Brigitte Klein vom Bürgerverein. Sie weiß: Nur, wenn Langel, Rheinkassel und Kasselberg wachsen, haben sie eine Zukunft. Bei potenziellen Neubewohnern können die Orte nicht damit punkten, dass es keinen Supermarkt gibt und man mit Bus und Bahn gut 40 Minuten bis zum Dom braucht.

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„Konrad Adenauer hatte während seiner Zeit als Oberbürgermeister einmal versprochen, die Straßenbahn bis Worringen auszubauen und bei uns vorbeizuführen“, erinnert sich Dieter Metz. Dass ein Bahnanschluss heute noch unrealistischer ist als ein Neubaugebiet, ficht die Menschen nicht an. „Wir haben hier die Rheinaue und den Fühlinger See, es gibt viel Natur und die Autobahn ist nah, für Familien ist die Wohnlage eigentlich ideal“, findet Brigitte Klein. Sie ist 44 und damit alt genug, um sich an die Zeiten zu erinnern, als Langel noch einen Bäcker hatte. Gut 15 Jahre ist das her.

Ihre Heimat im Jahr 2030? Bestenfalls, sagt sie, gebe es nicht nur wieder einen Bäcker, sondern auch einen Discounter, für den sich die Einwohnerzahl fast verdoppeln müsste, einen Arzt, eine Apotheke und einen Bahnanschluss. Für ihre Familie hofft Klein, dann endlich ein Eigenheim in ihrer Heimat gefunden zu haben. Dafür müsste es freilich erstmal Bauland geben.