Kölner Firma ArmedangelsWarum Corona Modelabels zu mehr Nachhaltigkeit zwingen könnte
- Die Maßnahmen im Kampf gegen den Virus bedeuten für die Textil- und Modeindustrie ein Desaster.
- Die Kölner Firma Armedangels hat nach eigenen Angaben aber auch während des Lockdowns an ihren Prinzipien festgehalten.
- Warum sich das nun als Vorteil herausstellt, erklärt Geschäftsführer Martin Höfeler.
Köln – Martin Höfeler nimmt sein Krisen-Fazit vorweg, kühn und ohne zu zögern: „Das Gute gewinnt am Ende“, sagt der Geschäftsführer von Armedangels. Was das sein soll, das Gute, ist für ihn völlig klar.
„Durch die Krise schafft man es nur mit Solidarität.“ Menschen, die zusammenhalten, würden eher als Gewinner aus der Situation gehen, als Menschen, die allein auf ihren eigenen Vorteil bedacht seien. Das sind zwar keine überraschenden Töne eines Modelabels, das seit seiner Gründung vor 13 Jahren auf Fairness und Ökologie setzt. Aber sie werden mit neuer Bestimmtheit vorgetragen. Die Kölner Firma hat nach eigenen Angaben auch während des Lockdowns an ihren Prinzipien festgehalten. Das stellt sich nun als Vorteil heraus und könnte als eine der Lehren bleiben.
Die Maßnahmen im Kampf gegen den Virus bedeuten für die Textil- und Modeindustrie ein Desaster. Der Umsatzrückgang stellt Händler, Lieferanten und Marken vor immense Schwierigkeiten. In der Branche arbeiteten zuletzt 135 000 Mitarbeiter in 1400 Unternehmen, rund 40 Prozent im Bekleidungsbereich, der stark mittelständisch geprägt ist. 80 Prozent der Firmen haben Kurzarbeit angemeldet, ein Drittel befürchtet bis zum Sommer Pleite zu gehen, wenn die Wirtschaft nicht wieder angefahren wird.
Auch Armedangels hat es hart getroffen, wenngleich das Unternehmen einen beachtlichen Teil, rund 40 Prozent des Umsatzes, online generiert. Doch auch das digitale Geschäft brach ein. Zwischenzeitlich verzeichnete das Unternehmen mehr Retouren als neue Bestellungen. „Da kann man schnell panisch werden“, sagt Höferle. Das Unternehmen meldete Kurzarbeit für alle seine 90 Mitarbeiter an, die seither vom Homeoffice aus agieren.
Von Anfang an zukunftsfähigen Kurs eingeschlagen
Trotzdem zeigt sich der CEO zuversichtlich, weil er sich darin bestätigt fühlt, schon vor der Pandemie, eigentlich von Anfang an, einen zukunftsfähigen Kurs eingeschlagen zu haben, das heißt: weit an der Fast Fashion vorbei. Damit ist der Teil der Branche gemeint, der in den vergangenen 20 Jahren den Markt mit kurzlebigen Produkten aus billiger Herstellung überwältigt hat – mit teilweise irrwitzigen Auswüchsen: Mit bis zu 24 Kollektionen im Jahr haben Textildiscounter die Gebrauchs- und Verbrauchsware Kleidung längst zu einem Wegwerfprodukt degradiert. Jetzt in der Krise zeigen sich deren Lieferketten als besonders anfällig. Einige Produzenten in den Billiglohnländern bleiben auf der Strecke. Überdies türmen sich Tonnen kurzlebiger Trendware.
Armedangels wie andere nachhaltige Labels haben mit viel geringeren Überschüssen zu kämpfen, weil sie prinzipiell weniger trendorientiert arbeiten. Sie produzieren möglichst zeitlose Entwürfe, die deswegen und auch aufgrund der Qualität länger tragbar sein sollen. Eine Jacke für den März 2020 könnte auch im kommenden Frühling verkauft werden.
Die Kölner pflegen außerdem seit Jahren eine feste Lieferkette
Die Kölner pflegen außerdem seit Jahren eine feste Lieferkette. Nur so sei nachzuvollziehen, woher das Rohmaterial stammt, wer was unter welchen Bedingungen herstellt. Das ist die Voraussetzung, um den gesamten Prozess verlässlich zertifizieren zu können. Auch jetzt zeigt sich die Armedangels solidarisch: „Wenn man das gegenwärtige Problem auf mehrere Schultern verteilt, kann man das Aus des Einzelnen vielleicht verhindern“, sagt Höferle.
Deshalb habe er schon vor Wochen seinen Lieferanten zugesichert, keine Bestellungen zu stornieren, die Ware nicht gleich an Händler weiterzugeben und ihnen in Rechnung zu stellen. In der Zwischenzeit stieg die Nachfrage nach Alltagsmasken und Armedangels konnte seine Lieferanten dafür gewinnen, das Accessoire der Stunde zu produzieren. Diese hätten sich auch für andere lukrativere Deals entscheiden können. „Aber Haltung siegt“, glaubt er. Inzwischen ist die dritte Version des neuen Produktes auf dem Markt und zwei Euro jeder verkauften Maske fließen als Spende an „Ärzte ohne Grenzen“. Das Ziel: Eine Million Euro für die Organisation. „Das ist ungeheuer motivierend“, sagt Höferle. Und es sei ungewohnt, gezielt auf einen realen Bedarf zu reagieren, räumt er ein. In der Mode, die sonst gewohnt ist von oben herab zu diktieren, was wir glauben sollen unbedingt haben zu müssen.
Großteil der Branche hat mit Masken-Produktion nachgezogen
Ein Großteil der Branche hat inzwischen nachgezogen und produziert nun 22 Millionen Masken pro Woche, teilt der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie mit. Seine mehr als tausend Mitglieder grenzen sich als klare Konkurrenz zu den Fast-Fashion-Unternehmen ab. Sollte sich tatsächlich eine Wertedebatte anschließen, zeigt sich der Verband bereit dafür. Grundlegende Voraussetzung für einen Wandel sei allerdings, dass der Verbraucher künftig mehr nachhaltige Mode und Textilien nachfragt. Dann wäre „die deutsche Textil- und Modeindustrie gut gerüstet. Das betrifft sowohl den Einsatz nachhaltiger Rohstoffe wie auch die Lieferketten oder eine kluge Kreislaufwirtschaft“, sagt Maria Rost, die als CSR-Leiterin des Verbandes die Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung im Blick hat. Das hohe Niveau der Textilforschung in Deutschland trage dazu bei, dass die deutsche Textilindustrie weltweit führend ist, wenn es um innovative Materialien, Produkte und Verfahren gehe. Das hat natürlich seinen Preis, den nicht jeder Verbraucher zahlen will und kann. Zumal nach der Krise. Rost greift in diesem Zusammenhang einen Aspekt der aktuellen Debatte auf: „Wenn Lieferketten wieder nach Europa zurückgeholt werden sollen, müssen die Rahmenbedingungen stimmen, sonst geht das Nachhaltigkeitskonzept nicht auf“, sagt sie und kritisiert beispielsweise viel zu hohe Energiekosten.
Wir der Saisonrhythmus überdacht?
Debattiert wird auch, ob der Saisonrhythmus überdacht werden sollte. Claudia Lanius, Gründerin des gleichnamigen Fair-Fashion-Labels in Köln, spricht sich dafür aus, Order und Lieferung um einen Monat dauerhaft zu verschieben. Der künstliche Rhythmus führe zu verfrühten Preisnachlässen und Flächen, die mit Ware bestückt sind, die gar nicht zum Wetter passt. „Es ist einfach nicht bedarfsgerecht. Ich sehe hier nun zum ersten Mal, dass auch die konventionelle Textilwelt den Wunsch hegt, die Saisons zeitlich anzugleichen.“
Lanius ist außerdem Teil der aktuellen #FairFashionSolidarity-Allianz, die das Unternehmen gemeinsam mit der nachhaltigen Modemarke LangerChen, Loveco und dem Avocado Store ins Leben gerufen hat. Ihr Appell, der über die Pandemie hinzuwirken soll: „Wir können und dürfen die Krise als Chance begreifen, indem wir als Branche zusammenhalten und der Welt zeigen, warum der nachhaltige Weg der bessere Weg ist.“ Nachhaltigkeit und der verantwortliche Umgang mit Rohstoffen werde künftig den Unterschied machen – auch im wirtschaftlichen Erfolg. Das sei auch schon vor der Krise ernsthaft diskutiert worden, sagt Höferle.
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Einen wichtigen Beitrag könne auch die Digitalisierung leisten, die einen Schub erfahren hat. Armedangels testet gerade die virtuelle Prototypenentwicklung. Dabei werden Schnittteile des Modelles auf ein Avatar projiziert. Zudem würden Vertriebsmeetings häufiger online stattfinden, Kosten und Ressourcen durch Einsätze im Homeoffice gespart. „Wie die Welt danach aussehen wird, weiß natürlich niemand“, sagt Höferle. „Einiges ändert sich aber ganz sicher, weil wir in kurzer Zeit gelernt haben, was alles möglich ist.“