Zwei Beraterinnen des Frauen-Zimmers Burscheid berichten im Interview über ihre Arbeit.
Frauen-Zimmer Burscheid„Sexualisierte Gewalt kann jede Form von Grenzüberschreitung sein“
Anja Haussels und Christine Warning sind Beraterinnen beim Frauen-Zimmer Burscheid. Sie kümmern sich um Opfer von sexualisierter Gewalt und beraten Frauen und Mädchen ab 14 Jahren.
Wer kommt zu Ihnen ins Frauen-Zimmer und wie sieht ihr Alltag aus?
Anja Haussels: Der Verein Frauen-Zimmer unterhält die Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt für den Rheinisch-Bergischen Kreis, der acht Städte und Gemeinden umfasst. Wir beraten Frauen und Mädchen ab 14 Jahren kostenlos und anonym, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind oder waren.
Christine Warning: Zu uns kommen Frauen, die alle Arten von sexualisierter Gewalt in verschiedenen Formen erlebt haben oder erleben. Klassische Beispiele sind Vergewaltigungen oder K.-o.-Tropfen auf Partys und Veranstaltungen. Sexualisierte Gewalt kann jede Form von Grenzüberschreitung sein. Das geht los bei Blicken und Kommentaren, sowohl in der Beziehung, in der Familie am Arbeitsplatz oder dem sozialen Umfeld. Vor allem in Partnerschaften wird sexualisierte Gewalt häufig nicht als solche identifiziert.
Wie läuft so eine Beratung ab?
Haussels: Das ist immer individuell, je nachdem, was die Frau gerade durchmacht. Es kann beispielsweise sein, dass die Frau mit der Fragestellung kommt, ob es sinnvoll wäre, eine Anzeige zu erstatten. Dann schalten wir in der Regel den Opferschutz aus Bergisch Gladbach mit ein und beraten gemeinsam. Es wird geschaut, welche nächsten Schritte in der Situation sinnvoll sind. Welche Hilfestellen für die Frau unter Umständen noch infrage kommen, ob sie eine Begleitung zur Anwältin, Ärztin oder zur Polizei braucht. Es kann sein, dass die Betroffene Gespräche und Unterstützung benötigt, um sich zu stabilisieren oder sie wartet auf einen Therapieplatz, dann wird sie so lange von uns begleitet wie nötig. In der Regel wissen die Betroffenen selbst, was sie in den jeweiligen Situationen brauchen.
Angehörige sollen hinschauen
Auf Ihrer Website steht, dass Sie auch Beratung für Angehörige anbieten. Wie sieht das aus?
Haussels: Wenn eine Frau sexualisierte Gewalt erlebt hat, betrifft das meistens das gesamte familiäre und soziale System, da das Erlebte ein massiver Einschnitt in die Persönlichkeit und Selbstbestimmung der Betroffenen ist. Es kann für das Umfeld der Frau oder des Mädchens überfordernd sein, mit der Situation umzugehen. Eine solche Gewalterfahrung bedeutet eine Veränderung im Verhalten oder in der Wahrnehmung. Wir beraten Angehörige, Freunde oder Partner der Betroffenen, um aufzuklären, die nächsten Schritte zu planen und, um zu unterstützen.
Woran erkennt man, dass jemand sexualisierte Gewalt erlebt, und wie sollten sich Angehörige verhalten?
Haussels: Sozialer Rückzug ist immer ein Warnsignal – ob das jetzt sexualisierte, häusliche Gewalt oder Psychoterror durch den Partner ist. Die Frauen sind weniger erreichbar. Natürlich sollten auch sichtbare Verletzungen und eingeschüchtertes Verhalten alarmieren – man merkt meistens eine Verhaltensänderung bei den Betroffenen. Das ist aber sehr pauschal dargestellt, weil natürlich jede Frau individuell auf derartige Grenzüberschreitungen reagiert.
Warning: Angehörige sollten auf jeden Fall hinschauen und sensibel sein. Nicht schweigen, sondern die Person offen darauf ansprechen. Das Problem ist, dass die meisten die Augen verschlossen halten und nicht nachfragen, weil das Thema in der Öffentlichkeit immer noch tabuisiert wird.
Hat sich die Arbeit bei Ihnen in der Beratungsstell in den letzten Jahren verändert?
Warning: Durch die sozialen Medien hat die sexualisierte Gewalt im Internet zugenommen. Beispiele für digitale Gewalt sind: versenden anstößiger Bilder oder ungefragt Gruppen zugeordnet werden, in denen dann pornografische Inhalte gezeigt werden. Ein weiteres großes Thema ist „Cybergrooming“, das bedeutet, dass insbesondere Mädchen und junge Frauen auf sozialen Netzwerken angeschrieben und manipuliert werden. Diese Cybergroomer sind meist ältere Männer, die sich beispielsweise als Schüler ausgeben. Durch ständiges Chatten und große Aufmerksamkeit wird eine Beziehung zu den Betroffenen aufgebaut. In der Folge werden Fotos gefordert, die dann als Druckmittel oder Erpressungsmaterial dienen, wenn die Betroffenen aus dieser „Beziehung“ aussteigen möchten. Häufig erkennen die betroffenen Mädchen und Frauen erst sehr spät, dass der Mann, mit dem sie in Kontakt sind, nicht der ist, für den er sich ausgibt.
Wie erkennt man einen Cybergroomer?
Haussels: Diese Männer sind sehr präsent. Es besteht ein unnatürlich häufiger Kontakt zum Opfer, mit auffällig vielen Komplimenten. Männer, die gefährliche Absichten haben, sind sehr fokussiert auf ihr Opfer und lassen auch nicht so schnell los. Man kann es teilweise an der Aufforderung, Fotos zu schicken, erkennen. Und daran, dass schnell von Liebe gesprochen wird, ohne, dass man sich im realen Leben jemals gesehen hat.
Auf Ihrer Website sieht man einen Appell an Männer. Was können Männer tun, um ein sichereres Umfeld für Frauen zu schaffen?
Haussels: Wir halten es für sehr wichtig, dass Männer eine klare Haltung an den Tag legen und diese nach außen vertreten. Dazu gehört, auch in der Öffentlichkeit benennen und bekennen, dass es sexualisierte Gewalt gibt und diese nicht toleriert oder ignoriert wird. Das ist ein Zeichen von Männern, die sich dagegen stark machen und klar positionieren.
Warning: Man sollte beobachtete sexualisierte Gewalt nicht einfach geschehen lassen, sondern eingreifen. Bei einem Kneipengespräch mit sexualisierten Witzen oder einer blöden Anmache, wäre es wünschenswert, den Mund aufmachen und sagen „Hör mal, das war nicht in Ordnung“. Wichtig ist, darauf zu achten, frauenfeindliches und grenzüberschreitendes Verhalten nicht einfach wegzulachen.
Präventionsarbeit: Das Hilfsangebot „Ist Luisa Hier?“
Der Frauen-Notruf Münster hat 2018 ein Projekt ins Leben gerufen, um Frauen und Mädchen dabei zu helfen, aus unangenehmen Situationen in der Partyszene, bei Großveranstaltungen und in der Gastronomie im Allgemeinen, zu entkommen. In teilnehmenden Gastronomiebetrieben oder auf Veranstaltungen können Frauen und Mädchen an die Theke gehen und fragen „Ist Luisa hier?“. Das geschulte Personal bringt die Frau dann an einen sicheren Ort und fragt sie, wie man ihr helfen kann. Beispielsweise wird der Frau angeboten, für sie ein Taxi zu rufen, ihre Klamotten aus dem Lokal zu holen oder eine Freundin ausfindig zu machen. Vorbild ist die Aktion „Ask for Angela“ aus Großbritannien. Der Name wurde im Deutschen zu Luisa geändert, da man bei der Aussprache einen Kopflaut von sich gibt, der auch in lauten Umgebungen gut zu verstehen ist. Das Frauen-Zimmer Burscheid schult Personal in Kneipen und Veranstaltungsorten des Rheinisch Bergischen Kreises. Teilnehmende Lokale erkennt man an Postern des Projektes und Aufklebern auf der Damentoilette. (lh)