Kräuterwanderung in BurscheidWenn die Brennessel zum Superfood wird
Burscheid – „Wir gehen einfach mal los,“ Heidi Neumann hat die Wanderschuhe an und spaziert in Richtung Wald. Eine Gruppe von fünfzehn Wanderfreundinnen und -freunden ist ihr auf den Fersen. Die Grünen-Politikerin führt an einem Freitagnachmittag eine Kräuterwanderung im Rahmen der Interessengemeinschaft „Wir Bergischen“ an. Ehrenämter und Nebenbeschäftigungen hat Heidi Neumann viele, seit einem Jahr darf sie sich auch zertifizierte Naturführerin nennen.
Jene „Feierabendrunde“ startet am Thomashof und führt runter und hoch, durch den Wald und über Wiesen. Zur Abwechslung hat sich „Wanderheidi“, wie sie ihre Mails unterzeichnet, dieses Mal Verstärkung geholt: Naturführerin Thordis Ruppio, die Kräuterfachfrau, ist dabei. Schon während der Bergischen Wanderwochen waren sie im Zweiergespann unterwegs. Nein, eigentlich sind sie ein Dreiergespann, denn Ruppios Hund Snorre ist ihr treuer Begleiter.
Knoblauchrauke mag Schatten
Die muntere Gruppe ist noch nicht weit gegangen, da steht schon der erste Stopp an. Auch am Nachmittag ist es noch heiß. Am Ende des Hammerwegs bietet der Wald endlich Schatten. Und genau hier gefällt es der Knoblauchrauke, dem ersten Un-, nein Beikraut, das Thordis Ruppio vorstellt. Im Frühjahr ernten und zu Pesto verarbeiten kann man es zum Beispiel. Nur abwaschen sollte man es vielleicht, Snorre hat die Knoblauchrauke jedenfalls schon anderweitig genutzt. Die Buchen hoch über den flachen Sträuchern schaffen nicht nur kühleres Klima, sondern bergen auch Geheimnisse. Heidi Neumann, die an diesem Tag für das Geschichtenerzählen und das Verwunschene zuständig ist, reicht ein rundes hölzernes Gebilde herum. Eine Baumperle. Das Zaubermittel der Bäume, um Verletzungen zu umschließen. Und ist die Wunde geheilt, fällt die Perle ab. Heidi Neumann liest sie als Glücksbringer.
Die Hilgenerin ergänzt das Kräuterwissen Ruppios mit liebevollen Märchen. „Früher im Eifgental…“, beginnt sie eine spannende Erzählung über die Zwerge, die hier einst gelebt haben sollen. Die Wandergruppe ist mittlerweile einen steilen Abhang hinuntergekraxelt und hat sich in der Kaltenherberger Hütte niedergelassen. „Das ist zufällig mein Lieblingsweg. Der ist besonders schön, wenn noch nicht so viele Blätter auf den Bäumen sind, dann ist die Aussicht besser“, freut sich Monika Nohl über die Route. Sie lauscht Neumanns Mythen über den Bach, die Burscheider Mühlen und einen Topf voller Gold im Bökershammer. In den Märchen wird der kleine Teich unterhalb der Hütte zum „Düvels Oog“, dem Auge des Teufels, und die alte Eifgenburg zum Schauplatz sagenumwobener Ritter-Abenteuer. Neumann verknüpft die Historie des Bergischen mit fantasievoller Fiktion. „Eins ist sicher, auf der Burg hat es gespukt“, zieht sie die Wandergruppe in ihren Bann.
Mix aus Geschichten und Kräuterwissen
Teilnehmerin Karin Färber hat schon an mehreren Kräuterwanderung in der Region teilgenommen, hier begeistert sie der Mix aus Geschichten und Kräuterwissen, den die zwei Frauen vorbereitet haben. Das ist kein Zufall, beziehen sich doch viele Märchen auf Heilpflanzen. So wird etwa Frau Holle schon seit Jahrhunderten mit dem Holunder verbunden. Nicht weit weg vom „Düvels Oog“ stößt Ruppio auch gleich auf die Rote Variante der beliebten Beeren. Anders als die Schwarze, ist dieses Exemplar giftig. Besser eignet sich da die Brennnessel zur Verarbeitung. Als Snack verteilt Heidi Neumann getrocknete Brennnesselblätter an die Runde. Erstaunlich geschmackvoll knuspern sie wie Chips im Mund.
Aber nicht nur die Wanderer schätzen die Pflanze, deren Blätter gar nicht mehr reizen, wenn sie zum Beispiel mit einem Nudelholz platt gerollt werden. (Sollte es doch zu einem unangenehmen Kontakt mit den Brennhärchen gekommen sein, empfiehlt die Kräuterfachfrau Breit- oder Spitzwegerich über die Stelle zur reiben.) Auch viele Insekten lieben die häufig unerwünschte Pflanze. Thordis Ruppio mahnt: „Wenn wir die Brennnessel im Garten wegschneiden, dann haben wir auch keine Schmetterlinge mehr.“ Sie sei „Superfood“ für das Tagpfauenauge, den Admiral, den Kleinen Fuchs – die Liste der Schmetterlingsarten, die ihre Eier unter die Brennnesselblätter legen, ist lang. Die Stadt Burscheid lässt Ecken mit Brennnesseln, unter denen Raupen leben, sogar stehen, wenn man sie ihr meldet.
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Weiter durch das Eifgental geht es entlang an Johanniskraut, Zunderpilzen und Kletten-Labkraut. Über den mehr als 1000 Jahre alten Weg hoch zur Burg aus dem achten Jahrhundert, die heute nur noch unter der Erde zu finden ist, schlängelt sich die Gruppe zurück zu den Wiesen, die zum Thomashof führen. Eine letzte Überraschung birgt eine Kamillenart, die sich auf trockenen Feldwegen wohlfühlt: Sie riecht intensiv nach Ananas. Nach zweieinhalb Stunden, in denen Bekanntschaften geschlossen und nicht nur Snorre an allen möglichen Pflanzen geschnuppert hat, kehrt die Gruppe noch verdient für eine Mahlzeit auf dem bergischen Bauernhof ein.
Andrea und Martin Söll lasen von der Kräuterführung im „Kölner Stadt-Anzeiger“ und suchten neue Wege für Spaziergänge. Das Interesse, die Heimat durch kleine Ausflüge besser kennenzulernen und mehr über Pflanzen zu erfahren, die man auch nutzen statt wegschneiden kann, wächst. Das merken auch die Naturführerinnen. Während „Wanderheidi“ pragmatisch in einer Gruppe auf ihrem Handy schon die nächste Wanderung koordiniert, verspricht sie in ihrer angenehm lockeren Art: Wer mitkommt, erlebt etwas.
Verbund von Wanderführerinnen und -führern
„Wir Bergischen“ ist eine Interessengemeinschaft von 14 Wander- und Naturführerinnen und -führern, die die Natur, Kultur und Geschichte des Bergischen Landes weitergeben. Die Gruppe ist eng vernetzt mit der Naturarena Bergisches Land und dem Bundesverband der Gästeführer mit dem Ziel ihre „vielschichtige Heimat zugänglicher zu machen“. Heidi Neumann ist seit einem Jahr dabei und vertritt Burscheid. Eigentlich wollte sie Stadtführerin werden, die gibt es noch nicht in Burscheid, doch der „Naturpark Bergisches Land“ bot ihr eine Ausbildung zur Naturführerin an und die bereits geübte Märchenerzählerin sagte zu. „Wir Bergischen“ bietet den Selbstständigen eine Organisationsplattform und den Bergischen einen tieferen Einblick in ihre Umgebung.