„Man hat den Feind im eigenen Bett“Wie Nicole B. ihrem prügelnden Partner entkam
Burscheid – Er schlug sie im Flur zusammen. Boxte ihr gegen Körper und Kopf. Trat ihr in den Magen und bespuckte sie. Nicole B.s Ohr war blau, sie hatte multiple Prellungen und schleppte sich ins Krankenhaus. Ihr damaliger Freund, der ihr all die Verletzungen hinzugefügt hatte, ging währenddessen ein Bier trinken. Das war im August 2020.
Nicole B.s Stimme klingt resolut aus dem Telefon. Die 48-Jährige ist keine graue Maus, hat sieben Jahre bei einer Sat.1-Serie vor der Kamera gestanden, es ging ihr zwischenzeitlich beruflich sehr gut. Doch das, was ihr passiert ist, passiert auch gestandenen Frauen: Sie werden Opfer einer emotional abhängigen, einer toxischen Beziehung.
B. konnte sich aus dieser Spirale befreien, auch dank des Frauen-Zimmers in Burscheid, einer Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt. An deren Beraterinnen wurde sie, nachdem ihr damaliger Freund sie verprügelt hat, von der Telefonseelsorge vermittelt: „Anja Haussels vom Frauen-Zimmer ist die einzige Person, die wusste, wovon ich spreche“, sagt B.. „Von da an ging es aufwärts.“
Rückblick: Nicole B. hat zwei Beziehungen hinter sich, eine zum Vater ihrer drei Kinder, der nach der Trennung in sein Heimatland Niederlande „abgehauen“ ist, wie B. es schildert, und eine zu ihrer Jugendliebe, die sie auch geheiratet hat. Beide Beziehungen gingen in die Brüche, dann lernt sie Ende 2014 übers Internet Jens (Name von der Redaktion geändert) kennen.
Er drängte sie, schnell zu ihm zu ziehen
Er drängte sie, nach Wermelskirchen zu ziehen, sprach sofort von einer gemeinsamen Wohnung. Es sei ganz schnell gegangen, sagt sie hinterher, sie habe schon „ein seltsames Gefühl“ gehabt. Zwischendurch sei es aber auch eine „harmonische Beziehung“ gewesen, räumt sie ein. Knapp ein halbes Jahr später besorgte er ihr eine eigene Wohnung in Wermelskirchen, er wohnte im selben Mietshaus – und wohnt dort immer noch.
Nicole B. zog für ihn vom Niederrhein um, ab da änderte sich ein Verhalten schlagartig: „Jedes Wochenende hatte er etwas anderes zu tun“, sei nur sporadisch vorbeigekommen. Gefühlskalt gewesen. Seelenlos. „Es war wie mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, erklärt die 48-Jährige. Es sei kein Verlass auf Jens gewesen: Hatten die beiden Konzertkarten, meldete er sich nicht mehr, fand er einen Rock schön, zog er in der darauffolgenden Woche über ihn her.
Die Trennung folgte, das Paar kam wieder zusammen – mehrfach. „Er hat mir erzählt, dass er mich braucht, dass er so gerne möchte, dass es funktioniert“, erzählt B. Zwischen Ignorieren und Liebesschwüren lag nicht viel Zeit. Wenn Dr. Jekyll weg war, kam Mr. Hyde wieder – und umgekehrt.
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Besuche bei Psychologen brachten keine Hilfe, dort wurde sie als „schwer depressiv“ eingeschätzt, sie solle das „Borderline“-Syndrom haben, hieß es. Auch beruflich machte sie eine schwere Zeit durch: Sie wollte hinter statt vor die Kamera. Nach einer Umschulung zur Tonmeisterin verlor sie aber ihren Job, bekam Lähmungserscheinungen durch kaputte Halswirbel, wurde krank geschrieben, musste Privatinsolvenz anmelden.
Anzeige erstattet
Dann kam der Sommer 2020 und die Attacke – und Nicole B. beschloss, Anzeige zu erstatten. Jens bekam Post vom Gericht: 1500 Euro sollte der 52-Jährige bezahlen. Auf einmal ging es wieder los: „Er wollte eine Paartherapie, schlug ein Anti-Aggressionstraining vor“, erinnert sie sich. Sie wurde schwach, nahm die Anzeige zurück, beschloss sogar, ihn bei den Anwaltskosten finanziell zu unterstützen. Als sie es nicht sofort machte, kamen prompt Vorwürfe, „ich würde mich nicht darum kümmern“, sagt die 48-Jährige. „Dann bin ich gegangen.“
Sie bereut heute durchaus, die Anzeige damals zurückgezogen zu haben, sie weiß, dass sie nicht die erste Frau ist, die ihr Ex-Freund verprügelt hat. Nicole B. hat sich seitdem viel mit dem Thema beschäftigt, hat die Berichterstattung um die Vorwürfe gegen Luke Mockridge und Jérôme Boateng verschlungen – und das Muster wiedererkannt. Hilfe brachten die regelmäßigen Gespräche mit Anja Haussels vom Burscheider Frauen-Zimmer.
Mittlerweile ist sie sich sicher, dass Kindheitserfahrungen damit zu tun haben. Ihre Eltern seien „Hippies“ gewesen, beschreibt B. Freie Liebe. Prügeleien. Drogenexzesse. Hunger. Wohnungen, in die es hineingetropft hat. Das, was man heute klassisch als Vernachlässigung bezeichnen würde. Ihre Mutter war 17, als sie Nicole bekommen hat: „Sie hat mich wissen lassen, dass sie ihr Leben nicht so leben konnte, wie sie es wollte.“
Ihre Mutter sei „ein krankhafter Narzisst“ gewesen, sagt sie, dieses Muster, das sie aus ihrer Kindheit kannte, habe sie auf ihre Beziehungen zu Männern übertragen, glaubt sie. Da wieder rauszukommen, ist nicht einfach. „Man hat den Feind im eigenen Bett.“ Kontakt hat sie zu ihrem Ex-Freund nicht mehr, obwohl sie noch im selben Haus wohnen.
Neben den Gesprächen im Frauen-Zimmer hat sich Nicole B. auch der neuen Selbsthilfegruppe für Frauen in emotional abhängigen Beziehungen in Burscheid angeschlossen. Sie ist nicht allein: Knapp 40 Frauen werden aktuell bei der Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt in der Höhestraße betreut, Beraterin Anja Haussels schätzt, dass knapp 80 bis 90 Prozent von ihnen in so einer emotionalen Abhängigkeit sind. Ein Teufelskreislauf, betont Haussels. „Das ist wie eine Heroin-Sucht“, die Frauen seien dann „auf Entzug“.
Wie viele Frauen tatsächlich in Burscheid und im Rheinisch-Bergischen Kreis von einer solchen emotionalen Abhängigkeit betroffen sind, kann sie nicht sagen. Die Dunkelziffer sei „unglaublich hoch“, sagt die Beraterin. Es gebe auch keine Statistiken, „das Thema ist viel zu wenig in der Öffentlichkeit oder in Fachkreisen präsent“, kritisiert Anja Haussels.
Nicole B. hat es geschafft. Sie will nun vielen Frauen davon erzählen, dass man nicht die Schuld bei sich suchen soll, dass man „fehlgeleitet“ ist. Ob sie eine neue Beziehung eingehen möchte? Aktuell brauche sie keinen Freund. Und irgendwann? „Weiß ich nicht.“ Berufliche Pläne schmiedet sie allerdings, sie möchte sich im Bereich psychologische Beratung und Mediation weiterbilden. Denn wer könnte Frauen besser helfen als sie, die den Teufelskreislauf schon einmal durchgemacht hat?
Hier gibt es Hilfe:
Die Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt „Frauen-Zimmer e.V.“ bietet eine Selbsthilfegruppe für Frauen an, die sich in einer emotional abhängigen Beziehung befinden oder diese bereits verlassen haben. Das Angebot richtet sich an Frauen, die Gewalt in ihrer Liebesbeziehung erleiden, sich von ihrem Partner entwertet, kontrolliert und manipuliert fühlen. An Frauen, die sich aus einer solchen Partnerschaft nicht lösen können, sozial isoliert oder finanziell abhängig sind und auch an Frauen, die Angst vor ihrem Partner haben. Den Betroffenen soll die Möglichkeit gegeben werden, miteinander über das Erlebte zu sprechen, sich auszutauschen und über eine gemeinsame Bewältigung wieder in ein selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben zu finden. Die Gruppe trifft sich regelmäßig in den Räumlichkeiten der Beratungsstelle in Burscheid. Anmeldung und Termine unter: 02174/1047 oder per Mail an team@frauenberatung-burscheid.de.