75 Ukrainer in LeichlingenDankbarkeit mischt sich mit Kritik am Flüchtlingstransport
Leichlingen – Als der Bus mit der Aufschrift „Hilfe für die Ukraine“ einfährt, werden die Handys gezückt, Fotos gemacht, Videos gedreht. Dann steigen die ersten Menschen aus, alte Frauen, jüngere Frauen, viele Kinder. Sie haben Decken und kleine Taschen in der Hand, eine hat einen Welpen an der Leine. Sie bleiben nahe an der Bustür stehen.
Die Helfer mit Bratwurst, Pommes, Kaffee und Keksen stehen auf der anderen Seite des großen Betriebsgeländes des Leichlinger Busunternehmens Hüttebräucker, bestimmt 50 Meter entfernt. Man schaut sich an, keiner weiß so recht, was nun zu tun ist. Eine seltsame Situation.
Der Wunsch zu helfen
Die unsichtbare Grenze überwinden zunächst diejenigen, die von der weiten Reise zurück nach Hause gekommen sind. Die Helfer rund um den Leichlinger Chris Smith, die spontan die Initiative „humanitycare“ gegründet haben. „Meine Frau ist Ukrainerin, ihrer Familie können wir nicht helfen, sie sind eingeschlossen. Aber wir wollen helfen.“ Also sammelte er Hilfsgüter und fand in dem Schlebuscher Michael Giering einen Partner, der ebenfalls Spenden sammelte und als gebürtiger Pole die Möglichkeit hatte, Kontakt zu Hilfsorganisationen aufzubauen, die an der polnischen Grenze ukrainische Flüchtlinge aufnehmen.
„Dann haben sie bei mir angerufen und wollten einen Bus für den Transport mieten“, erzählt Unternehmer Rainer Hüttebräucker. „Nix mieten, habe ich da gesagt, den stelle ich so zur Verfügung, inklusive zwei Fahrern.“ So brach ein Konvoi mit einem Bus und mehreren Kleintransportern am vergangenen Samstag Richtung Polen auf. Und zurückkommen sollte er nicht leer, sondern mit 75 Menschen, die Zuflucht suchen.
Christiane August und Sophia Schremmer warten gespannt auf die Ankunft. Beide sind einem Aufruf der Waldorfschule Bergisch Gladbach gefolgt, die nach Unterkünften für Kriegsflüchtlinge suchte. „Meine beiden Kinder sind groß, wir haben Platz“, sagt August, die als Musikpädagogin an der Schule arbeitet. Sophia Schremmer hat drei kleine Kinder zu Hause, sieben Jahre, vier Jahre und neun Monate alt.
Dennoch ist ein Zimmer frei und sie habe nicht gezögert, es zur Verfügung zu stellen. „Ich bin überzeugt davon, dass jemand das gleiche für uns tun würde, wenn wir mit unseren Kinder auf der Flucht wären“, sagt die junge Mutter. Ihr siebenjähriger Sohn sei ganz aufgeregt und habe schon Willkommensschilder gebastelt.
Die Hilfsbereitschaft ist überwältigend, doch Ingeborg Schmidt beobachtet das Geschehen mit großer Sorge. „Was hier passiert, ist unmöglich“, sagt die Kreisverbandsvorsitzende des Deutschen Roten Kreuzes im Rheinisch-Bergischen Kreis. Es gehe nicht, dass Menschen einfach aufgesammelt und an den bestehenden Strukturen vorbei ins Land gebracht und verteilt werden.
„Der richtige Weg wäre gewesen, den Bus in die zuständige Erstaufnahmestelle in Heinsberg zu fahren“, erläutert sie. Dort würden die Menschen registriert, ärztlich versorgt, auf Corona getestet und mit allem Nötigen ausgestattet, bevor sie auf die von den Kommunen gemeldeten Unterkünfte verteilt werden.
Die Stadt Leichlingen hat versucht, in der Kürze der Zeit die Hilfsangebote mit dem Bedarf in Einklang zu bringen. Städtsche Flüchtlingsunterkünfte sind dem Hochwasser zum Opfer gefallen.
Eigentlich war für jeden eine private Unterbringung gefunden, doch kurzfristig fallen wieder Wohnungen aus, weil die Anbieter Corona-positiv sind. Zwei Mitarbeiter des Sozialamtes führen Helfer und Geflüchtete zusammen, telefonieren, informieren und verabschieden jeden mit „alles Gute und schön, dass Sie hier sind.“
Tränen nach der Trennung
Bei einer Frau laufen Tränen, weil ihre Schwester mit zwei Kindern in eine andere Unterkunft soll, als sie mit ihren Kindern. Eine Unterkunft für sechs gebe es nun mal nicht. „Die Häuser sind nur zwei Kilometer auseinander, wir tauschen die Telefonnummern aus, sie können sich jeder Zeit sehen“ versucht ein Mitarbeiter zu beruhigen. Doch die Frau ist verzweifelt, sie steht in einem fremden Land und ihre einzige Bezugsperson, ihre Schwester, ist in ein anderes Auto gestiegen.
Menschen schlafen auf Müllsäcken
Auch wenn es etwas chaotisch zugeht, alles ist besser, als das, was sie an der polnischen Grenze erlebt haben, sagt Chris Smith. „Da haben die Menschen übereinander gestapelt auf Müllsäcken geschlafen, weil einfach kein Platz mehr war.“ Auch Hüttebräucker nimmt die Kritik gelassen. „Unser Grundgedanke ist, Mütter und Kinder aus der Gefahrenzone zu holen. Unser Terrain ist der Transport von Gütern und die Beförderung von Menschen, das haben wir geleistet und die Lösung, dass sich das Sozialamt um die Unterbringung kümmert, ist eine gute Arbeitsteilung.“
Fieberndes Kind verschwindet
Schmidt bleibt besorgt, vor allem, als eine Familie mit fieberndem Kind plötzlich verschwindet. Später heißt es, jemand würde sie in ein Krankenhaus fahren. „Die Helfer wissen doch auch gar nicht, auf was sie sich einlassen, ob sie jetzt Corona mit in ihre Häuser bringen, in denen vielleicht noch die alte Mutter wohnt.“ Sie habe in Rösrath auch schon erlebt, dass Flüchtlinge nach einigen Tagen vor dem Rathaus abgesetzt wurden, weil es den Helfern zu viel wurde. Eine schlimme Situation für die alle.
Der Platz leert sich langsam. Hüttebräucker ist optimistisch, dass um 17 Uhr die Busse wieder einfahren können. Und jeder einen sicheren Platz zum Schlafen gefunden hat.