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Explosion in LeverkusenGroße Sorge vor möglicherweise giftigen Rußablagerungen

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Rußpartikel, die in Bürrig aus der Rauchwolke gefallen sind.

Leverkusen – Currenta hat die fünf Vermissten am Tag nach der Katastrophe aufgegeben. „Wir müssen davon ausgehen, dass wir sie nicht mehr lebend finden“, sagte am Mittwoch Frank Hyldmar, Chef des Chempark-Betreibers. Vier von ihnen waren für Currenta am Unglücksort, der fünfte für eine Fremdfirma. Damit beklagt allein der Chempark-Betreiber nun fünf Menschenleben, zwei der Opfer gehörten nicht zum Unternehmen.

Am Mittwoch war die Unglücksstelle in der Anlage, in der feste wie flüssige Chemieabfälle verbrannt werden, immer noch „ein Einsatzort“ und damit weitgehend unzugänglich. Deshalb hätten die Feuerwehren der Stadt und des Chempark mit Drohnen nach den Vermissten gesucht, hieß es von Hermann Greven und Stephan Hummel, den Chefs der beiden Wehren. Es sei schlicht „zu riskant“, den Ort zu betreten, ergänzte Hyldmar.

Entsorgung vorerst in Dormagen

Nach dem kurzen Shutdown am Dienstag, als die Stromversorgung im Chempark nicht mehr sicher war, sei am Mittwoch die Produktion wieder komplett aufgenommen worden, hieß es auf Anfrage aus der Geschäftsführung von Currenta. Damit entstehen auch im gewohnten Maß Chemieabfälle, die allerdings nicht mehr in Bürrig behandelt werden können. Deshalb würden jetzt Kapazitäten in Dormagen aufgebaut. Bürrig wird nach Explosion und Brand noch länger nicht in Betrieb sein. Über die Höhe des Sachschadens im Entsorgungszentrum könne man derzeit keinerlei Angaben machen. (tk)

Wolfgang Horney, sein Kollege in der Currenta-Geschäftsführung, die am Tag nach der Katastrophe Chempark-Chef Lars Friedrich in der Kommunikation ablöste, erklärte mit Blick auf die Opfer: „Wir können nur in Ansätzen ermessen, was die Angehörigen durchmachen.“ Unter den 31 Verletzten ist nach jüngsten Angaben einer schwer verletzt. Allerdings ist bei der Explosion und dem nachfolgenden Brand am Dienstag die Hälfte der gesamten Belegschaft in Bürrig verletzt worden.

Große Verunsicherung in der Nachbarschaft

Vor allem in der Nachbarschaft hat das Geschehen Angst und Schrecken verursacht. Peter Odenthal hat drei Jahrzehnte Luftanalytik gemacht für Bayer, also den heutigen Chempark. Er wohnt in Bürrig unweit der Reuschenberger Mühle. Er bekennt trotz seiner Fachkenntnisse: „Ich habe erstmal Angst gehabt.“ Die gigantische schwarze Wolke, die nur ein par hundert Meter entfernt aufstieg, habe seine Nachbarn noch mehr besorgt. Erst recht, nachdem über WhatsApp die Falschmeldung verbreitet wurde, dass mit einer zweiten Explosion gerechnet werde. Sein Ratschlag: Fenster zu, Rollladen ’runter, zur Not ein feuchtes Tuch bereitlegen. Nichts davon war am Ende notwendig, aber selbst ein so erfahrener Mann wie Odenthal hat seinen „biologischen Indikator nicht aus den Augen gelassen: Ich habe Finken und Sittiche in einer Voliere draußen. Wären die ’runtergefallen, wäre es ernst geworden.“

Was er gemacht hat: die Rußplättchen aufgesammelt, die in Massen auf seiner Straße Alte Garten, „aber auch in der ganzen Nachbarschaft niedergegangen waren“. Er hat sich Handschuhe übergestreift, eine Pinzette und ein Glas ohne Deckel gegriffen. Verschlossen hat er seine Funde mit Folie: „Vom Deckel könnten ja auch Metalle hineingeraten. Die Pinzette habe ich dazu gelegt.“ Abgeholt waren die Proben am Mittwoch noch nicht. Dabei hatte Odenthal im Rathaus Bescheid gesagt und dem Chef der Currenta-Analytik.

Analyse der Rußpartikel steht noch aus

Aus Sicht des Spezialisten sind die „Heiermann-großen“ Rußplättchen „schon kritisch“. Dass bei der unkontrollierten Verbrennung der Chlorkohlenwasserstoffe und anderer Substanzen aus dem Chempark Dioxin entstanden ist, das an den Plättchen haftet, sei wahrscheinlich, die am Mittwoch weiterhin geltende Warnung der Stadtverwaltung berechtigt: kein Obst oder Gemüse aus dem Garten essen, betroffene Gartenmöbel oder Pools meiden, Schuhe aus am Hauseingang, um die Partikel nicht in die Wohnung zu tragen. Wer dringend im Garten arbeiten müsse, sollte dabei Handschuhe tragen.

Eine Nachbarin von Odenthal dachte, „da fallen tote Vögel aus der Wolke“. Wie gefährlich die Plättchen sind, wird frühestens am Freitag feststehen. Mitarbeiter des Landesamtes für Natur, Umwelt- und Verbraucherschutz (Lanuv) haben Proben genommen, diese müssten nun analysiert werden, sagte Wilhelm Deitermann vom Lanuv. Es gehe vor allem darum, festzustellen, wie hoch die Dioxin- und PCB-Konzentrationen sind. Dioxine seien zunächst nichts ungewöhnliches, „sie entstehen bei jedem Brand“. Da jedoch ein chlorhaltiges Lösungsmittel verbrannt sei, müsse davon ausgegangen werden, dass vermehrt Dioxine und PCB-Verbindungen entstanden seien, „denn Chlor ist der Ausgangsstoff für viele dieser Dioxin-ähnlichen Stoffe.“ PCB und Dioxine sind extrem krebserregend, wenn sie sich im Körper anreichern. Die Stoffe können durch die Lunge, die Haut oder den Mund aufgenommen werden.

Für die Luft hat das Lanuv bereits Entwarnung gegeben. Vorsicht sei hingegen bei Kontakt über die Hände geboten, unter anderem besonders dort, „wo Kinder im Sand wühlen“, so Deitermann. Die Stoffe könnten auch dort vorliegen, wo Ruß- oder Staubpartikel mit dem bloßen Auge nicht erkennbar seien.

Kita-Kinder dürfen vorerst nur drinnen spielen

So wie in der Kindertagesstätte St. Remigius in der Fürstenbergstraße in Opladen. Deren Leiter Günther Olbert saß an seinem Schreibtisch als er plötzlich einen enormen Knall hörte. Im ersten Moment „habe ich gedacht, auf der Baustelle, die wegen der Flutkatastrophe gerade in unmittelbarer Nähe ist, sei eine Eisenplatte umgefallen.“ Als im nächsten Augenblick, als die Warn-App Nina auslöste, wurde ihm die Ursache des Knalls klar. Am Himmel stieg im Westen die schwarze Rauchsäule auf.

Der Wind stand aber günstig, auf dem Gelände der Kita habe sich nichts sichtbares abgelagert. Die Kinder dürfen trotzdem bis auf weiteres nicht mehr draußen spielen: Auf Informationen, was zu tun, was zu beachten sei, wartete Olbert auch am Mittwochmittag noch vergeblich. Handlungsempfehlungen suchte er sich selber im Netz und über das Radio zusammen, doch wie es nun weitergeht, weiß er nicht. Deitermann vom Lanuv empfiehlt, den Sand in den Sandkästen auszutauschen, bevor Kinder dort wieder spielen dürfen – in allen Sandkästen, ob Partikel erkennbar seien oder nicht. Einrichtungen, die Partikel in ihren Außenbereichen feststellen, sollen den Verdacht der Stadt Leverkusen melden. Dann müsse analysiert werden.

Fachmann Peter Odenthal findet es nicht so gut, dass sein früherer Arbeitgeber die Ergebnisse der Luftmessungen nicht im Detail veröffentlicht, sondern es bei der pauschalen Aussage belässt, dass keine Gefahr mehr bestehe. Ansonsten findet er, dass die Bevölkerung in der Katastrophe gut informiert wurde. Das sei besser gewesen als jüngst beim Hochwasser.

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Das sieht nicht jeder in Bürrig so. Heike Hinderks-Fischer wohnt in der Kämpenwiese. Nachdem Dienstagabend der Regen aufgehört hatte, fand auch sie beim Rundgang ums Haus jene Rußpartikel, vor denen die Behörden immer noch warnen. „Wir haben sofort – wie auch der Oberbürgermeister im Fernsehen sagte – beim Bürgertelefon angerufen. Weder bei der Stadt Leverkusen noch bei Currenta waren um 20.30 Uhr die Telefone noch besetzt.“ Erst am Mittwochmorgen „haben wir dann jemanden erreicht“. Auf ihrem Band nenne die Stadtverwaltung eine falsche Nummer von Currenta. Der Chempark-Betreiber hatte seine Anschlüsse vor ein paar Monaten geändert; die seit jeher geläufige Nummer mit der 30 am Anfang gilt nicht mehr, sondern die 2605. Wie viele Leverkusener am Dienstag aus alter Gewohnheit die traditionelle Bayer-Nummer angerufen hatten, um zu hören, was da in Bürrig passiert ist, konnte man beim Chempark-Betreiber nicht sagen. Laut Sprecher Jürgen Gemke habe es rund 1500 Anrufe gegeben; die Kommunikation habe auch unter der neuen Nummer funktioniert.

Für die Einsatzkräfte war und ist die Lage außergewöhnlich. Hermann Greven sprach von einem „Einsatz, der auch erfahrenen Berufsfeuerwehrleuten die Schuhe auszieht, wie man bei uns sagt“. Der Ursache wird man erst ab Donnerstag näher kommen können. Dann sollen Brandermittler der Polizei auf das Gelände. Über den Inhalt der drei Tanks werden sie nicht rätseln müssen, unterstrich Currentas Technik-Chef Hans Gennen: „Natürlich wissen wir, was da drin ist.“ Hyldmar versprach: „Wir werden alles tun, um dieses schreckliche Ereignis aufzuklären.“ Die Polizei ermittelt wegen des Anfangsverdachts des fahrlässigen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion und fahrlässiger Tötung. Die beiden bisher gefundenen Toten werden obduziert.