Leverkusen – Sie habe gedacht, berichtet eine Anwohnerin aus Leverkusen-Bürrig am Mittwoch, da fallen tote Vögel aus der Wolke. Schwarze, zum Teil münzgroße, rußige Taler regneten aus der Rauchwolke, die am Dienstagvormittag nach der Explosion in der Sondermüll-Verbrennungsanlage des Chemparks über Teile der Stadt zog. Nun bedecken die dunklen Partikel Gärten, Spielplätze, Straßen, mal in Form von rußigen Flocken, mal in Form von Staub.
Es ist ein gespenstisches Katastrophenszenario, dem sich die Anwohner des Chemparkes ausgesetzt sehen. Wie gefährlich waren der Rauch und der Niederschlag? Warum ist es zu dieser gewaltigen Explosion gekommen, die bis an die Hänge des Bergischen Landes spürbar war? Viele Antworten fehlen noch. Wir stellen die wichtigsten Fragen.
Wie steht es um die Opfer?
Zwei Männer wurden bereits tot geborgen. Es gibt 31 Verletzte, einer davon schwebt in Lebensgefahr. Fünf Mitarbeiter gelten noch als vermisst. Bereits am Dienstagabend sagte Chempark-Leiter Friedrich jedoch: „Leider schwindet die Hoffnung, sie lebend zu finden, zusehends“. Frank Hyldmar, Chef der Betreiberfirma Currenta, bestätigte das am Mittwochmittag: „Wir müssen leider davon ausgehen, dass wir die fünf weiteren Vermissten nicht finden werden.“ Einer von ihnen war für eine Fremdfirma im Einsatz, die anderen vier für Currenta. „Es hat sich um eine heftige Detonation gehandelt, die zu einer großen Schadenslage geführt hat“, betonte ein Sprecher des Unternehmens. Beim Löschen sei zudem eine große Menge Schaum zum Einsatz gekommen. Deshalb sei dieser Bereich unübersichtlich. Das erschwere die Suche nach den Vermissten. Dafür wurden auch Drohnen eingesetzt.
Wer untersucht die Rußpartikel und wann besteht Klarheit über die Zusammensetzung – wurde zum Beispiel Dioxin freigesetzt?
„Wir hoffen, dass wir die Ergebnisse bis zum Wochenende haben“, sagt Wilhelm Deitermann vom „Landesamt für Natur, Umwelt- und Verbraucherschutz“ (Lanuv) NRW. Da beim Großfeuer auch chlorhaltige Lösungsmittel verbrannt seien, „ist die Schlussfolgerung naheliegend, dass über die Rauchwolke vermehrt Dioxine und PCB-Verbindungen entstanden sein könnten.“ PCB, Furane und Dioxine seien extrem krebserregend, wenn sie sich im Körper anreichern. „Deshalb sollte man nichts Kontaminiertes anfassen, damit über die Haut keine Schadstoffe in den Körper gelangen können.“
Die Frage nach der Konzentration sei entscheidend, sagte Daniel Dietrich, Leiter der Arbeitsgruppe Human- und Umwelttoxikologie an der Universität Konstanz. „Nur in hohen Konzentrationen“, seien die Stoffe gefährlich. „Und die liegen nicht vor, wenn das entsprechende Gebiet im Laufe der Zeit gereinigt und dekontaminiert wird“, so Dietrich.
Die „Feststoffanalytik“ werde derzeit in einem Essener Labor des Amtes durchgeführt. Vor allem werde geschaut, wie hoch die Dioxin-, PCB-und Furan-Konzentrationen in den Rußpartikeln sind. „Derartige Untersuchungen sind kompliziert, aufwändig und langwierig“, erklärt Deitermann. Zeitraubend sei bereits die dafür notwendige Aufbereitung der gesammelten Partikel. „Wenn wir das bis Freitag nicht schaffen, arbeiten wir auch am Samstag und Sonntag“, so der Sprecher. Der in Essen stationierte Sondereinsatzwagen des Amtes sei am Dienstag um 11.10 Uhr angefordert worden. Spätestens ab 12 Uhr hätten die Lanuv-Mitarbeiter in Leverkusen dann Rußemissionen gesammelt.
Ist sicher, dass es keine besonders gefährlichen Giftstoffe im Rauch gab?
„Rauch ist immer gefährlich und schädlich und sollte deshalb niemals eingeatmet werden“, betont Lanuv-Sprecher Deitermann. Der Sondereinsatzwagen der Behörde habe die Feuerwehr am Dienstag bei ihren umfänglichen Messungen unterstützt. Bei derartigen Untersuchungen werde grundsätzlich geprüft, ob ein für die Lunge besonders gefährlicher Stoff in der Luft sei – im Leverkusener Fall hätte dies beispielsweise Chlor sein können. „Von solchen Dingen aber ist nichts gefunden wurde, deshalb wurde Entwarnung gegeben“, betont Deitermann. Mit seiner technischen Ausstattung könne der Messwagen des Amtes mehr Giftstoffe in der Luft entdecken als die Feuerwehr.
Welche Handlungsempfehlungen gelten für die Anwohner?
Wer hört, welche Vorsichtsmaßnahmen empfohlen werden, der bekommt ein beklemmendes Gefühl dafür, wie sich die betroffenen Menschen fühlen müssen. Chempark-Leiter Lars Friedrich jedenfalls rät, Abstand zu halten, wenn man Rußpartikel entdeckt. Wer „verdächtige Partikel oder Niederschläge“ finde, solle diese bei einer extra dafür eingerichteten Hotline melden (Currenta-Hotline: 0214-260599333; Stadt Leverkusen: 0214-4063333). „Als Vorsichtsmaßnahme, um eine Eigengefährdung zu verhindern.“ Da noch nicht genau klar sei, wie die Zusammensetzung der Stoffe ist, könne auch noch nichts ausgeschlossen werden. „Spekulationen müssen zu diesem Zeitpunkt unterlassen werden“, betont Friedrich.
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Vorsorglich sollten Nahrungsmittel aus dem Garten nicht verzehrt werden. Spielgeräte, Gartenmöbel oder Pools, auf denen Ruß niedergegangen ist, sollten nicht genutzt werden. Verschmutzte Gegenstände sollten nicht angefasst, also auch nicht gereinigt werden, so Friedrich. Dies würden Mitarbeiter des Chempark übernehmen, die über die Hotline angefordert werden könnten. Die Spielplätze in den am stärksten betroffenen Leverkusener Stadtteilen Bürrig und Opladen blieben auch am Tag nach dem Unglück gesperrt.
Hat die Alarmkette funktioniert? Wurde rechtzeitig informiert?
Um 9.37 Uhr erreichten die ersten Notrufe über die 112 die Leverkusener Feuerwehr. Um 9.49 Uhr sei am Dienstag die erste Sirene in Bürrig ausgelöst worden. Also dort, wo der Tank explodiert und danach das Feuer ausgebrochen war, sagte eine Stadt-Sprecherin auf Anfrage. Zwei Minuten später habe die Feuerwehr die Warn-App Nina auslösen lassen, sechs Minuten später seien alle noch in der Stadt installierten Sirenen ausgelöst worden.
Die zwölf Anlagen deckten einen Bereich von etwa zwei Kilometern Tiefe um den Chempark, das Industriegebiet Fixheide sowie die Stadtteile Schlebusch, Quettingen sowie den Bereich der Rheinanlieger in Rheindorf und Hitdorf ab. Um flächendeckend mit Sirenen warnen zu können, müssten in Leverkusen weitere 16 Sirenen installiert werden. Das sei geplant.
Wann soll die Ursache der Explosion geklärt werden?
Die Polizei will erst am Donnerstag mit den Untersuchungen zur Ursache des Unglücks beginnen. Geplant sei eine erste Begehung gemeinsam mit einem Sachverständigen und Verantwortlichen des betroffenen Leverkusener Chempark, sagte ein Polizeisprecher. Aktuell stehe noch die Suche nach den vermissten Mitarbeitern im Vordergrund. Bisher ist unklar, wodurch die Explosion am Dienstagvormittag in dem Entsorgungszentrum für Chemieabfälle aus der etwa zwei Kilometer entfernten Produktion im früheren Bayerwerk ausgelöst wurde.
Welche Rolle spielt die Chemische Industrie in der Kölner Region?
Das Rheinland, insbesondere im Großraum Köln, zählt zu den führenden Chemie-Regionen in Europa. Über 260 Unternehmen aller Größen und Sparten mit insgesamt mehr als 70000 Mitarbeitern sind nach Angaben der Organisation „Chem-Cologne“ hier angesiedelt. Mit knapp 32 Milliarden Euro haben diese im Jahr 2019 fast ein Viertel des gesamten deutschen Chemieumsatzes erwirtschaftet. Zu den zahlreichen Unternehmen, die teilweise bereits im 19. Jahrhundert entstanden sind, kamen nach dem zweiten Weltkrieg noch Joint Ventures mit ausländischen Firmen – etwa im Bereich der Petrochemie.
Prominente Beispiele dafür sind der Erdölverarbeiter Ineos in Köln-Worringen oder das Lyondell-Basell-Werk in Köln-Wesseling. Im Leverkusener Chempark werden nach eigenen Angaben mehr als 5000 Chemikalien hergestellt. Schwerpunkte liegen dabei auf Nitrier- und Chlorierprodukten, Aromaten, Feinchemikalien und der Siliziumchemie.