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Atlas 2023Wo Leverkusener die Schulden drücken – und wo nicht

Lesezeit 4 Minuten
Wiesdorf mit dem Wasserturm und der Bayer-Kolonie II aus der Luft

In Wiesdorf und drumherum sind am meisten Haushalte überschuldet.

Der neue Schuldneratlas zeigt enorme Unterschiede zwischen den Stadtteilen sowie Leichlingen und Burscheid.

Leverkusen galt einmal als reiche Stadt. Die Chemieindustrie sorgte für hohe Gehälter und wenig Geldsorgen. Das hat sich geändert, zeigt der neue Schuldneratlas, den die Wirtschaftsstatistiker von Creditreform jetzt vorgelegt haben. Er zeigt, dass sich die Verhältnisse in Leverkusen denen annähern, die allgemein in Großstädten herrschen. Allerdings ist die Quote der überschuldeten Haushalte mit gut 9,4 Prozent bei weitem nicht so hoch wie in den vergleichbar großen Nachbarstädten Solingen (13,7 Prozent) und Remscheid mit 12,1 Prozent.

Jedoch gibt es in Leverkusen gewaltige Unterschiede, schreibt Ole Kirschner, Chef von Creditreform Solingen: In Wiesdorf und Küppersteg sind mit Abstand am meisten Haushalte überschuldet. Gut 12,3 Prozent bedeuten indes einen Rückgang von fast einem Prozentpunkt gegenüber 2022. Auch das ist ein Spitzenwert in der Stadt. Verbreitet sind Geldprobleme auch in Alkenrath und Manfort (gut 11,3 Prozent) sowie in Opladen, wo laut Schuldneratlas 10,8 Prozent der Haushalte überschuldet sind. Bergisch Neukirchen, Quettingen und Lützenkirchen weisen eine Quote von reichlich 8,9 Prozent auf, Bürrig, Hitdorf und Rheindorf folgen mit einer zusammengefassten Überschuldungsquote von knapp 8,6 Prozent, was auch noch überdurchschnittlich ist.

Ganz anders sieht die Welt in und um Schlebusch aus. Dort sind nicht einmal 5,5 Prozent der Haushalte finanziell in der Klemme. Damit liegt Leverkusens Südosten noch vor der offenbar wohlhabendsten Stadt im bergischen Städtedreieck: In Leichlingen liegt die Schuldnerquote knapp über 5,9 Prozent. Für das benachbarte Burscheid verzeichnet der Schuldneratlas knapp über acht Prozent.

Warum die „harte Überschuldung“ weiter zurückgegangen ist? Creditreform hat dafür mehrere Erklärungsansätze. Einer sei die zeitversetzte Wirkung der Corona-Pandemie: Unterm Strich sei weniger konsumiert worden, womit auch Urlaubsreisen gemeint sind, die in den Lockdowns kaum möglich waren. Dazu komme ein genereller Trend: Seit Jahren gebe es weniger Privatinsolvenzen und weniger Menschen, die sehr lange keine Arbeit haben. Auch die staatlichen Corona-Hilfs- und Unterstützungsprogramme hätten wirtschaftliche Notlagen gemildert oder verhindert.

Die Inflation zwingt zum Sparen

Einen wesentlichen Effekt sieht Ole Kirschner auch in der wirtschaftlichen Unsicherheit, der Energiekrise und der Inflation. Der Chef von Creditreform Solingen führt dazu das Vermögensbarometer 2023 an, das ist eine repräsentative Umfrage des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands von Ende Oktober. Sie zeige, dass „die steigenden Preise die Menschen dazu zwingen, sich einzuschränken“. 71 Prozent der Befragten verzichteten auf Dinge des täglichen Bedarfs. 61 Prozent hätten ihren Konsum eingeschränkt, zeigt die Umfrage.

Das sei „der höchste Wert seit Beginn des Vermögensbarometers im Jahr 2005“. Um die steigenden Preise zu bewältigen, griffen 62 Prozent auf preisgünstigere Alternativen zurück, 40 Prozent verreisten seltener und 52 Prozent heizten weniger.

Ob das so bleibt, bezweifelt man bei Creditreform: Die Nachfrage nach Ratenkrediten steige, allein für das vergangene Jahr um rund 30 Prozent von sieben auf gut neun Millionen. Kleine Darlehen seien besonders gefragt: Rund 42 Prozent lägen unter 1000 Euro. Voriges Jahr habe ihre Zahl von zwei auf 3,8 Millionen zugenommen. Die Erklärung sieht Ole Kirschner im Internethandel, wo die Devise heiße: „Buy now, pay later“. Das spreche offenbar vor allem junge Kunden an.

Ungezügelter Konsum, niedrige Einkommen

Wer aber ist typischerweise überschuldet? Eine Untersuchung des Statistischen Bundesamts zeigt, dass ein „längerfristiges Niedrigeinkommen“ oft und zunehmend die Ursache ist. Dazu kommt „unwirtschaftliche Haushaltsführung“. Der Begriff werde von den Statistikern meist synonym mit dem Begriff „irrationales Konsumverhalten“ verwendet, erläutert Kirschner. Auf längere Sicht seien zudem „Erkrankung, Sucht, Unfall“ häufige Ursachen für Überschuldung.

Im Vergleich mit dem ganzen Land nehmen sich aber selbst die ungünstigsten Zahlen der Region noch recht gut aus. Schlusslichter, also die Städte mit der höchsten Überschuldungsquote, sind Bremerhaven mit gut 19 Prozent, das saarländische Pirmasens mit 16,7 und Gelsenkirchen, wo 16,6 Prozent der Haushalte überschuldet sind.

Die bergische Metropole Wuppertal allerdings ist mit einer Quote von 14,8 Prozent auf den neuntletzten Platz in Deutschland abgerutscht. Nordrhein-Westfalen liegt mit 9,7 Prozent im Vergleich der 16 Bundesländer auf dem 13. Platz. Im Bundesdurchschnitt liegt die Schuldnerquote bei 8,15 Prozent. Das entspricht knapp 2,8 Millionen Haushalten oder rund 5,7 Millionen Personen – betroffen sein können nur Menschen, die 18 Jahre oder älter sind.