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Auszeichnung in LeverkusenHugo-Kükelhaus-Schule erhält erstes Move-Siegel in Deutschland

Lesezeit 4 Minuten
Kinder in einem Schlauchboot in einer Turnhalle

Anschub von hinten, Wasser von der Seite: Eine Bootsfahrt durch die Sporthalle der Hugo-Kükelhaus-Schule.

Körperbehinderte Kinder bekommen in Alkenrath eine besondere Förderung, dafür wird die eigentlich auf geistige Einschränkungen spezialisierte Förderschule jetzt ausgezeichnet.

Die Turnhalle ist ein Meer. Möwen kreischen, Wellen rauschen, blaue Bänder flattern entlang der Wände. Dann legt das Schiff ab – es ist ein Mattenwagen mit aufgeschnalltem Schlauchboot und Segel. Erst fährt es durch die Gischt aus Sprühflaschen-Wasser, dann durch Ventilator-Wind, kommt am Eispack-Polarkreis vorbei und in dichten Nebel, bevor es an einer aufgehängten großen Matte anhält, auf der die Matrosen im Wellengang schaukeln können.

Lernen, erleben und aktiv sein mit allen Sinnen, das ist das Motto, unter dem die Hugo-Kükelhaus-Schule zwei Tage lang Olympische Spiele veranstaltet. Ob Hindernislauf über eine mit goldener Folie ausgelegte Strecke, Sägewerkstadt oder Blumengarten: Alle Stationen sind sehr aufwendig und liebevoll gestaltet.

Bunte Luftballons säumen die Boccia-Bahn im Außenbereich.

Bunte Luftballons säumen die Boccia-Bahn im Außenbereich.

Der Anlass der Spiele ist ein erfreulicher: Als erste deutsche Schule erhält die Leverkusener Förderschule ein Qualitätssiegel für ihre herausragende Arbeit mit dem „Move“-Programm. Dabei handelt es sich um ein spezialisiertes Förderkonzept, das seit über einem Jahrzehnt an der Schule eingesetzt wird, um Schülerinnen und Schüler mit erheblichen körperlichen Einschränkungen zu mobilisieren. „Im Zentrum stehen die drei großen Säulen sitzen, stehen und gehen“, erklärt Lehrerin Anne Könyves.

Spielerisch werden strategische Schritte durchlaufen: Nach der Bestandsaufnahme werden Ziele festgelegt, Bewegungsabläufe aufgeschlüsselt, Hilfen reduziert und Fertigkeiten unterrichtet. Dabei geht es oft um konkrete Alltagssituationen, wie etwa eine zu Tür öffnen. „Dafür braucht man verschiedene Fähigkeiten: Man muss stabil stehen, den Arm ausstrecken und einige Schritte rückwärts gehen können“, erklärt Könyves.

Keine isolierte Maßnahme

Das Besondere an Move sei, dass hier alle Beteiligten an einen Tisch kommen: Lehrkräfte, Physio- und Sprachtherapeuten, Integrationshelfer und auch die Eltern. Jeder soll zu jedem Zeitpunkt genau wissen, woran das Kind gerade arbeitet. Jeder Schritt wird dokumentiert, das sei natürlich aufwendig, aber es lohnt sich, sagt Könyves.

Sie denkt dabei etwa an ein Mädchen mit schwerer Gleichgewichtsstörung, das im Rollstuhl in der ersten Klasse ankam und von seiner Mutter überall hin getragen wurde. Heute, als Drittklässlerin, läuft sie frei durch die Schule und ist viel selbstständiger und selbstbewusster. „Man sagt immer, Teilhabe sei, dass auch behinderte Kinder bei allem dabei sein können. Ich denke, es ist unsere Aufgabe, die Kinder so gut es geht dazu zu befähigen, selbst teilhaben zu können“, sagt Könyves.

Drei Menschen stehen vor einer Wand.

Schulleiter Stefan Esser mit den Lehrerinnen Anne Könyves (l) und Michaela Oberhaus (r).

Move steht für „Mobility Opportunities via Education“ – frei übersetzt: Bewegungsmöglichkeiten durch Bildung. Das Programm wurde 1986 in den USA von einer Körperbehindertenlehrerin entwickelt und von dort nach Großbritannien getragen. Heutzutage wird es auch in Österreich großflächig angewendet, in Deutschland ist die Hugo-Kükelhaus-Schule die erste, die alle Nachweise für das offizielle Siegel erbringen konnte. Dazu gehören neben der langjährigen Dokumentation auch ein umfangreiches Fortbildungsprogramm für Lehrkräfte und Therapeuten. Zur feierlichen Übergabe am Freitag reist eigens eine Move-Verantwortliche aus Österreich an.

Zwei Trainingsstunden in der Woche

16 Kinder mit starken körperlichen Beeinträchtigungen aus allen Jahrgangsstufen der Alkenrather Schule nehmen an dem Programm teil, das zwei gesonderte Trainingsstunden in der Woche plus das regelmäßige Üben im Schulalltag beinhaltet. Natürlich profitieren davon zuerst einmal die Kinder selbst. „Aber auch uns als Schulgemeinschaft und die Eltern entlastet es natürlich enorm, wenn die Kinder selbstständiger sind“, sagt Schulleiter Stefan Esser. Sei es, um Toilettengänge alleine zu erledigen, oder auch nur das Glas Wasser beim Essen selbstständig zum Mund führen.

Die Schule sieht Move nicht als isolierte Bewegungstherapie, sondern als Teil des Unterrichts. „Bevor man einem Kind den ersten Buchstaben beibringt, sollte es sitzen können, ohne ständig damit beschäftigt zu sein, sich abzustützen“, sagt Könyves. Dann sei der Kopf auch viel freier für Lerninhalte.


Festakt mit Bewegungsstationen

Am Freitag, 3. Mai, findet um 11 Uhr der Festakt zur Verleihung des Move-Siegels statt. Bereits ab 8.30 Uhr startet das Rahmenprogramm mit Bewegungsstationen. Um 9.30 Uhr erfolgt der Startschuss für den Sponsorenlauf, dessen Einnahmen einem Jungen im Westjordanland zugutekommen sollen, der seit einem Luftangriff behindert ist. Interessierte sind auf dem Schulgelände an der Elisabeth-von-Thadden Str. 16 herzlich willkommen.