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In der EU verbotenProfitiert Leverkusener Bayer-Konzern von giftigen Pestiziden?

Lesezeit 4 Minuten

4,2 Millionen Tonnen Pflanzenschutzmittel wurden 2019 verspritzt.

Leverkusen – Insgesamt 1,6 Milliarden Hektar der Erde werden als Anbaufläche genutzt. Die Landwirtschaft ist im Wortsinn ein großes Geschäft – nicht nur für Supermarktketten, Großproduzenten oder Chemiekonzerne, die Pflanzenschutzmittel vertreiben.

Im Schatten der Globalisierung gelangen tonnenweise in der EU verbotene Substanzen über die See-, Luft- und Landwege auf den europäischen Binnenmarkt, der Handel mit illegalen Pestiziden floriert weltweit.

458 olympische Schwimmbecken würde der Fund füllen

1346 Tonnen illegale Pestizide stellte Europol voriges Jahr sicher. Es ist der bisher größte Fund der Polizeibehörde, die seit sechs Jahren jährlich die Operation „Silver Axe“ (deutsch: Silberne Axt) durchführt, um illegalen Substanzen auf die Spur zu kommen.

Mit dem Fund von 2020 könnte man alle deutschen Äcker besprühen und hätte noch etwas übrig. Oder 458 olympische Schwimmbecken füllen. In diesem Jahr wurden bisher 1200 Tonnen verbotener Pestizide sichergestellt. Zum großen Teil seien sie aus asiatischen Ländern importiert worden, teilt Europol mit.

Die Geschädigten sind die Verbraucher, Landwirte und die Umwelt, denn in den illegalen Pestiziden sind häufig unbekannte Kombinationen von Substanzen enthalten, deren Schaden für die Gesundheit der Menschen und der Umwelt nicht abzuschätzen ist.

Immer mehr Pflanzenschutzmittel

Eine Studie des Amts der Europäischen Union für Geistiges Eigentum ergab, dass zwischen zehn und 14 Prozent des europäischen Pestizidmarkts von dem illegalen Handel betroffen sind. Eine Zahl, die trotz ihrer Höhe nicht überrascht, führt man sich die Ausmaße des Gebrauchs von Pestiziden vor Augen: Knapp 4,2 Millionen Tonnen Pflanzenschutzmittel wurden 2019 weltweit verspritzt, Tendenz steigend. Ein Grund: Die Zahl der zu ernährenden Menschen wächst stetig, fruchtbarer Boden wird immer knapper. Ein Markt dieser Größe ist dementsprechend lukrativ für kriminelle Machenschaften.

Bayer schätzt den dadurch entstehenden Schaden für die Pflanzenschutzindustrie auf 7,5 Milliarden US-Dollar und hat eine eigene Abteilung eingerichtet, die gegen Produktfälschungen der Marke Bayer vorgeht. Gefälschte Produkte seien oft nicht als solche zu erkennen, heißt es: Sie werden auf dem Transportweg mehrere Male neu verpackt und mit neuen Dokumenten versehen. So wird die Herkunft verschleiert, und die Verpackung wirkt täuschend echt.

Bayer empfiehlt dagegen die Nutzung eines Sicherheitssystems per App, womit sich Produktcodes scannen lassen und authentifiziert werden können. Auch BASF greift auf eine ähnliche Technologie zurück.

In der EU nicht zugelassen

Allerdings verdienten Bayer, BASF oder Syngenta auch am Vertrieb von Pestiziden, die auf ihren Heimatmärkten nicht zugelassen sind, heißt es in einer Studie, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und weiteren Organisationen beauftragt wurde.

Der Vorwurf: Die Konzerne bedienten sich Doppelstandards, indem sie Produkte und Stoffe exportieren, die in der EU verboten sind, da sie für Mensch und Umwelt als zu schädlich eingestuft werden. Im Gegensatz zu unbekannten, illegalen Produktfälschungen handelt es sich hierbei jedoch um bereits bekannte Stoffe, die durch die Weltgesundheitsorganisation WHO als „extrem giftig“ und „sehr giftig“ klassifiziert wurden.

Bayer selbst hatte sich gemeinsam mit anderen Unternehmen 2013 dazu verpflichtet solche Wirkstoffe nicht mehr zu vermarkten.

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Den Vorwurf in der Studie, weiterhin Chemikalien dieser Klassifizierung, darunter Beta-Cyfluthrin, zu vertreiben, weist der Konzern zurück. Beta Cyfluthrin findet sich in Produkten wieder, die Bayer in Brasilien, den USA und Indien verkauft und ist als sehr giftig eingestuft.

Auf Anfrage hieß es, dass ein Produkt, das sehr giftige Stoffe beinhalte, nicht automatisch auch als solches eingestuft wird. Das gelte etwa bei Produkten mit dem Wirkstoff Beta-Cyfluthrin – das Endprodukt sei damit weniger toxisch als der Wirkstoff selbst.

Bayer: „Robuste Regulierungssysteme“

Die Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen ist, sage zudem nichts über seine Sicherheit aus: Viele andere Zulassungsbehörden auf der Welt verfügten über „robuste Regulierungssysteme“, die den dortigen klimatischen Bedingungen gerecht werden, so ein Bayer-Sprecher.

Er verwies außerdem auf „zahlreiche Trainings zum sicheren Gebrauch von Pflanzenschutzmitteln in den Ländern des globalen Südens“ und versicherte, dass alle zugelassenen und von Bayer verkauften Wirkstoffe sicher für Mensch und Umwelt sind, „wenn sie gemäß der Anwendungshinweise verwendet werden“.

Eine im Juni veröffentlichte Reportage der „Zeit“ zu Pestizid-Vergiftungen und -Toden in Nigeria zeigt etwas anderes: Die Anwendungshinweise und Vorgaben gehen oft an der Lebensrealität vieler Bauern und Landwirte in Ländern wie Nigeria vorbei. Wissenschaftler schätzen, dass jährlich rund 385 Millionen Menschen weltweit eine Pestizidvergiftung erleiden, das entspricht etwa 44 Prozent aller Landwirte.

EU will mit gutem Beispiel vorangehen

Inzwischen hat auch die Europäische Kommission das Problem erkannt. In der „Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit“ vom vorigen Oktober heißt es, dass die EU „mit gutem Beispiel vorangehen und im Einklang mit internationalen Verpflichtungen sicherstellen will, dass gefährliche Chemikalien, die in der Europäischen Union verboten sind, nicht für den Export hergestellt werden“.

Damit geht auch der Gedanke einher, dass bestimmte Pestizide in Europa zwar verboten sind, viele der importierten landwirtschaftlichen Produkte jedoch aus Ländern stammen, in denen diese Regelungen nicht gelten.