Kurios: Glyphosat, das dem Konzern und seinem scheidenden Chef so viel Sorgen macht, hat voriges Jahr die Bilanz kräftig aufpoliert.
Bilanz45.000 Monsanto-Klagen belasten Bayer nach Baumanns Abgang
Werner Baumann bleibt sich treu bei dieser letzten Präsentation der Bayer-Zahlen. Der Vorstandschef weicht am Dienstag allen Fragen aus, die sich auf Monsanto beziehen und seine Verantwortung für den gigantischen Deal, der dem Konzern noch immer so viel Ungemach bereitet: 154.000 Glyphosat-Klagen hat es bisher gegeben, 109.000 davon sind in irgendeiner Weise beigelegt. Milliarden-Rückstellungen belasten weiterhin Bayers Bilanz.
Dass die sieben Baumann-Jahre an der Spitze vom Thema Monsanto geprägt waren, streitet der 60-Jährige schlicht ab: Auf diesem Posten gebe es so viel anderes zu erledigen. Zum Beispiel alles, was mit Nachhaltigkeit zu tun habe. Da sei Bayer jetzt schon auf dem Stand, der ursprünglich 2024 erreicht sein sollte. „Das sind die wirklich wichtigen Dinge“ – und das sähen auch viele Aktionäre so.
Der Aktienkurs fällt mal wieder
Nun, an der Börse geht es auch am Dienstag um den Moment. Der Bayer-Kurs fällt erst einmal wieder, weil der Vorstand für dieses Jahr Bremsspuren einkalkuliert: Die Inflation wird das Geschäft dämpfen, der Umsatz kaum steigen, das Ergebnis sicherlich zurückgehen, so der Ausblick. So etwas überschattet die wirklich guten Zahlen von 2022. Daran hat ausgerechnet Glyphosat einen erheblichen Anteil. Der Preis für den umstrittenen Breitband-Unkrautvernichter ist als Folge des Angriffs auf die Ukraine in ungeahnte Höhen gestiegen. Auch deshalb kann sich Baumanns letzte Lieferung sehen lassen.
Aber das zählt für die Aktionäre mal wieder nicht so richtig. Und die Konzernkritiker von der „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ ergreifen einmal mehr die Gelegenheit, das Unternehmen als Krisengewinnler zu geißeln: „Während die Menschen auf der ganzen Welt unter den Folgen des Ukraine-Krieges leiden, profitiert Bayer von der Situation“, kommentiert Marius Stelzmann die Konzernbilanz: Das deutlich gestiegene Ergebnis dürfe sich nicht in der avisierten, um 20 Prozent auf 2,40 Euro erhöhten Dividende niederschlagen, sondern sei ein Fall für eine Übergewinn-Steuer.
Die Vergütung ist extrem erklärungsbedürftig
Solche Anwürfe haben noch jeden Bayer-Chef kaltgelassen. Ernster muss Baumann Kritiker nehmen, die eine Menge Aktien hinter sich haben. Viele haben sich zuletzt auch daran gestoßen, wie Bayers Manager bezahlt werden. Auf der vorigen Hauptversammlung billigten gerade mal 24 Prozent der Anteilseigner das Vergütungssystem. Darauf habe man reagiert, schreibt Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann im neuen Vergütungsbericht. Der umfasst diesmal 31 Seiten: Es gibt sehr viel zu erklären, wenn es um die Bezahlung von Werner Baumann und Kollegen geht.
Die Erläuterungen zur Bezahlung verraten auch, dass die Konzern-Bilanz keineswegs nur glanzvoll ist: Die Pharma-Sparte hat ihre Ziele nicht erreicht, auch der freie Cashflow bei Bayer war nicht ganz so groß wie erwartet. So etwas drückt die Einkünfte von Baumann und Co. ein wenig. Zur ziemlich komplexen Leistungsmessung gehört zudem ein „Performance-Faktor“, bei dem individuelle Zielvorgaben eine Rolle spielen.
Für den Vorstandschef war das im vorigen Jahr weniger erfreulich: Werner Baumanns „Performance-Faktor“ sei einvernehmlich um 14 Prozentpunkte reduziert worden, steht im Geschäftsbericht. „Damit tragen Aufsichtsrat und Vorstandsvorsitzender dem Aktionärsfeedback aus den Governance-Roadshows des vergangenen Jahres Rechnung.“ Hart getroffen hat Baumann das in seinem 35. Bayer-Jahr allerdings nicht: 2022 wurden ihm gut 7,8 Millionen Euro ausgezahlt. Das sind knapp 400.000 Euro weniger als im Jahr davor.
Anleger-Klagen sind noch nicht abgehandelt
Wie sehr der Kauf von Monsanto Bayer beschäftigt, zeigen weitere Erläuterungen im Geschäftsbericht. In Deutschland und den USA klagen Anleger Schadensersatz wegen der immensen Kursverluste ein. Schuld sei Bayer wegen seiner fehlerhaften Kapitalmarktkommunikation im Zusammenhang mit dem Monsanto-Erwerb. Die Anleger seien nicht ausreichend über die Risiken aufgeklärt worden – vor allem im Hinblick auf Produkthaftungsklagen zu Glyphosat in den USA.
In Deutschland seien Ende vorigen Jahres 31 Klagen von insgesamt etwa 340 Personen anhängig gewesen, heißt es im Geschäftsbericht. Vorigen Juli habe das Landgericht Köln ein Musterverfahren eingeleitet. „Eine Entscheidung in der Sache ist damit nicht verbunden“, betont man an der Kaiser-Wilhelm-Allee. In den USA sei eine Zertifizierung als Sammel-klage beantragt. Im Oktober 2021 sowie im Mai 2022 habe ein Gericht in Kalifornien entschieden, das Verfahren mit einem Teil der Vorwürfe der Klagenden fortzusetzen.
Auch diese Sache ist also noch längst nicht vorbei. Werner Baumann wird sie seinem Nachfolger Bill Anderson vererben. Der kommt am 1. April von Basel nach Leverkusen; erste Gespräche habe es schon gegeben, sagt Baumann am Dienstag. Über den Inhalt kommt von ihm: nichts.