- Im Betrugsprozess gegen einen Leverkusener Clan hat die Kölner Staatsanwaltschaft Revision beantragt.
- Nun soll dem mutmaßlichen Sozialbetrug nachgegangen werden.
- Der Beschuldugte „Don Mikel” soll mit Hilfe seiner Frau illegal Sozialleistungen kassiert haben.
- Gleichzeitig lebte die Familie ein Leben mit Luxus-Artikeln.
- Wir erklären, wie das weit verzweigte Netzwerk funktioniert.
Leverkusen – Die Besucher klingelten morgens um sieben Uhr an der Wohnungstür im ersten Stock. „Aufmachen Polizei“, hallte es durch das Treppenhaus. Verschlafen öffnet David M. (Name geändert). Die Beamten präsentierten einen Durchsuchungsbeschluss.
Nur widerwillig ließ der Hausherr die Beamten hinein. Der Beschuldigte soll zu einem weitverzweigten Familien-Syndikat gehören, das bundesweit als auch in Österreich und der Schweiz die Leute mit dem sogenannten Teppich- oder dem Enkel-Trick übervorteilt. Zugleich aber soll er mit Hilfe seiner Frau illegal bei der Agentur für Arbeit Sozialleistungen abkassieren.
Das Paar ist nach Roma-Art verheiratet
Nach Roma-Art verheiratet, lebte M’s Frau mit den gemeinsamen Kindern offiziell von ihrem Mann getrennt. Als alleinstehende Mutter von vier Kindern bezog sie Hartz-IV-Leistungen für sich und ihre Nachkommen. Im Behördendeutsch ist von einer eigenständigen Bedarfsgemeinschaft die Rede.
Doch der Schein trog. Als die Strafverfolger sich an jenem Morgen Mitte März 2018 umschauten, deutete alles auf einen veritablen Leistungsbetrug hin.
Schwülstige Nippes-Figuren zieren die Wohnung
Tatsächlich lebte David M. gemeinsam mit seiner Familie. Die Wohnung war mit schwülstigen Nippes-Figuren ausgestattet, wuchtige Schränke mit feinem Geschirr standen im Wohnzimmer. Ein halbes Dutzend noble Damenschuhe sowie Einkaufsbelege von Gucci und Versace wurden fotografiert.
Als die Beamten die Kellertür der Familie aufbrachen, entdeckten sie ein Riesenarsenal von Champagnerflaschen Marke Veuve Cliquot zu je 40 Euro das Stück in den Regalen. Welcher Hartz-IV-Empfänger könnte sich solchen Luxus erlauben ?
Familienvater soll zu einem international operierenden Betrüger-Netzwerk gehören
Die Ermittler vermuten, dass das Geld aus anderen Quellen stammt: David M. soll zu einem international operierenden Betrüger-Netzwerk um die Leverkusener Großfamilie gehören. Einer ihrer mutmaßlichen Clanchefs, Spitzname „Don Mikel“, wurde inzwischen zu acht Jahren Haft wegen gewerbsmäßigen Betruges in 21 Fällen und der Geldwäsche verurteilt.
Die Staatsanwaltschaft hat Revision gegen das Urteil eingelegt, da die Strafkammer die beschlagnahmten Immobilien, die der Boss mit Hilfe von Strohleuten für Millionen Euro erworben haben soll, wieder frei gegeben hat.
Strafverfolger wollen Kriminellen das Geld wegnehmen
Sehr zum Unmut der Strafverfolger: Schließlich wollten sie den Clan dort treffen, wo es am meisten weh tut: Am Portemonnaie. Abschöpfung mutmaßlich kriminell erwirtschafteter Gewinne, lautete das Ziel.
Seit Jahrzehnten beschäftigt die weitverzweigte Großfamilie Justiz und Polizei. Der Clan bildet ein schwer durchschaubares Geflecht verwandter und verschwägerter Sippen. Oft heiraten die Angehörigen enge Verwandte nach Roma-Art.
Staatliche Leistungen trotz Luxusheim
Und wie im Fall von Don Mikel auch lebte man zum Schein von seiner Frau getrennt. Diese kassierte dann staatliche Leistungen für sich und ihre Kinder, obschon das Paar tatsächlich gemeinsamen in einem Luxusheim in Leverkusen-Bürrig wohnte.
Gut 104.000 Euro soll die Frau von Don Mikel laut Staatsanwaltschaft beim Jobcenter in Leverkusen zu Unrecht eingestrichen haben. Laut einem Vermerk soll ihr Mann derweil ein Millionen-Vermögen angehäuft haben, ganz zu schweigen von Nobel-Karossen wie einem Porsche 991 oder einem Mercedes SLS.
Autos sollen sein Heiligtum sein
Bei der Razzia vor anderthalb Jahren fand sich auch ein Rolls Roye Phantom mit Schweizer Kennzeichen. „Autos sind sein Heiligtum“, gestand ein Komplize, über den die Fahrzeugbriefe liefen.
In seinem Wohnsitz ließ der Don eine Sauna mit Musikanlage einbauen, goldene Wasserhähne plus hochwertige Marmorausstattung nebst maßangefertigten Möbeln fürs Bad oder das Musikzimmer. Wie sagte der Don so schön: Es sollte alles „vom Feinsten" sein. Ein Hartz-IV-Paradies auf 220 Quadratmetern Wohnfläche, doch niemand im kommunalen Jobcenter fiel etwas auf.
Gauner erhöhten die Miete auf Kosten der Steuerzahler
Im Gegenteil: So ließ sich eine Verwandte des Don, die ebenfalls im selben Haus komfortabel untergebracht war, von ihrer ARGE-Sachbearbeiterin einen guten Rat geben. Die Frau aus dem Jobcenter wies die Hartz-IV-Empfängerin daraufhin, dass ihre Miete unter dem staatlichen Höchstsatz liege und sie ruhig mehr beantragen könne. Daraufhin erhöhten die Gauner die Miete - auf Kosten der Steuerzahler.
Sozialleistungsbetrug scheint bei dem Clannetzwerk eine häufige Masche zu sein. Dutzende Verfahren führt die Staatsanwaltschaft Köln in dem Mammutkomplex mit mehr als 40 Beschuldigten um Clanboss Don Mikel.In dem Zusammenhang hatte die Kölner Kripo im November 2019 erneut bei vier Familien aus dem Clan nach Hinweisen zum Leistungsmissbrauch gesucht.
Ermittlungsgruppe geht gezielt Sozialleistungsbetrug nach
Inzwischen hat das Kölner Polizeipräsidium eine Ermittlungsgruppe (EG) Sozialleistungsbetrug eingerichtet, die gezielt die schwer durchschaubaren partnerschaftlichen Verflechtungen der kriminellen Familienzweige aufhellen soll.
Martha M. (Name geändert) etwa wird des gewerbsmäßigen Leistungsbetruges verdächtigt. Als die Kölner Fahnder bei der Mutter von drei Kindern in Wuppertal klingelten, erlebten sie eine Überraschung. Die blonde Frau empfing in einer komfortablen Wohnung mit elf Zimmern. Zwei Bäder, zwei Kinderzimmer, ein Raum zum Ankleiden, neben einer bestens eingerichteten Küche plus Esszimmer.
Fakten dem Jobcenter nicht gesagt
Seit Jahren kassierte Martha M. pro Kind 133 Euro vom Staat. Die Behörden sprechen von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch II. Die Ermittler erkundigen sich nach Marthas Mann Marcel. Sie wussten, dass die beiden nach Roma-Art verheiratet waren. Diesen Fakt hatte die Beschuldigte allerdings gegenüber dem Jobcenter verschwiegen. Genauso wie den Umstand, dass ihrem Gatten eine Immobilie in Wuppertal gehörte.
Auf Nachfragen der Strafverfolger begann Martha dreist zu lügen. Nein, einen Mann namens Marcel kenne sie nicht. Dabei fanden sich diverse Ordner mit Marcels Unterlagen in den Schränken. In einem Herrensakko entdeckten die Beamten einen 1000er Schweizer Frankenschein.
Clanmitglieder protzen ungeniert via Facebook
Im Ankleidezimmer hing ein Safe: Dort lagerten ein KFZ-Brief von einem Ferrari, sowie Verträge über zwei geleaste Sportwagen vom Typ Porsche.Viele Clanmitglieder protzen ungeniert via Facebook mit ihrem Reichtum. Mal filmt die Handykamera eine Champagnersause, mal brüsten sich die Protagonisten mit teuren Reisen nach Übersee, mal postet man eine neue Nobel-Armbanduhr in den sozialen Netzwerken, stolz posieren die Söhne in den Spitzenkarossen ihrer Väter. So etwa einer der Nachkommen von Don Mikel im Porsche-Cabriolet.
Dabei hatte der Clanchef 2013 in einer eidesstattlichen Versicherung gegenüber einem Gerichtsvollzieher sein Mini-Einkommen auf 560 Euro brutto beziffert. Die Bundesagentur für Arbeit (ARGE) hat für das Jahr 2017 den Schaden von durch kriminelle Banden auf 50 Millionen Euro beziffert. Aktuellere Zahlen fehlen.
Scheinarbeitskräfte kassieren staatliche Stütze
Insbesondere osteuropäische Kriminelle kassieren den Angaben zufolge über Scheinarbeitskräfte staatliche Stütze ab. Das System funktioniert folgendermaßen: Die Geschäftemacher heuern etwa Bulgaren oder Rumänen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten an, stellen sie für kurze Zeit an. Um sie dann wieder zu entlassen. Die Beschäftigten erwerben auf diese Weise einen Anspruch auf Hartz-IV-Zuwendungen. Die Bezüge streichen dann die Banden ein. Oft sind die wahren Empfänger längst wieder in die Heimat zurückgekehrt.
Für geraume Zeit fällt der Schwindel nicht auf
Im vergangenen Jahr hatten die Jobcenter, die von Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit (ARGE) gemeinsam betrieben werde, 144.000 Untersuchungen eingeleitet. In 8823 Fälle waren die Verfehlungen so massiv, dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde.
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Seit Jahren sind die Zahlen rückläufig. Das liegt allerdings eher daran, dass die ARGE personell kaum in der Lage ist, per Ortstermin etwaigen Sozialbetrügern nachzuspüren. Im Raum Köln/Leverkusen soll sich dies nun durch die Arbeit der EG Sozialleistungsbetrug ändern.