AboAbonnieren

Chemie-Explosion in LeverkusenDas minutengenaue Protokoll einer Katastrophe

Lesezeit 3 Minuten
EXPLOSION_SONDERMUELLVERBRENNUNG_RLE_Leverkusen07272021ALF_6150

Bei der Aufarbeitung der Chemie-Explosion am 27. Juli 2021 in Leverkusen hakt es. Die Stadt hat sich nach der Katastrophe mit sieben Toten verändert.

Leverkusen – Der eigentliche Beginn des Brandes war ein Kesselzerknall. Ein Video aus dem Navigationsgerät eines Lkw, der auf das Tor des Entsorgungszentrums zurollt, hat den Augenblick aufgezeichnet, als der Kessel dem Druck nicht mehr standhielt.

Um 9.36 Uhr und 59 Sekunden fliegt ein schweres Anlagenteil von Tank 3 in hohem Bogen 400 Meter weit über das Werksgelände. Es prallt auf ein Dach der Kläranlage. Die Chemikalien am Tank zerstäuben und entzünden sich – die chemische Explosion. Aus dem Feuerball, der schnell in den blaugrauen Himmel steigt, wird ein Rauchpilz. Erst ist der Rauch schmutzig weiß, dann färbt er sich binnen Sekunden tiefschwarz und wird zu jener Wolke, an die sich wohl alle Leverkusener erinnern.

9.45 Uhr: Durch einen Zufall ist Stadtbrandmeister Hermann Greven als erster Feuerwehrmann vor Ort. Er berichtet später, er habe einen Schwerstverbrannten gesehen. Ein Mitarbeiter sei in Flammen stehend gelaufen. Er sagt: Unverletzte Betriebsangehörige hätten sehr nah an der Einsatzstelle gestanden; die wurden weggeschickt.

9.49 Uhr: Die Sirenen heulen. Es gibt mehrere Folge-Explosionen. Aber: Man kann nicht mit dem Löschen beginnen. Über der Unglücksstelle ist eine Hochspannungsleitung gespannt. Das obere Kabel ist abgerissen und hängt herab, verbindet eine 110.000-Volt-Leitung mit der Erde. Da kann man nicht mit Wasser oder Schaum spritzen.

10.21 Uhr: Die Rauchwolke zieht über Bürrig und Opladen. Zwei Polizeihubschrauber schweben über der Stadt, in einem sitzt ein Feuerwehrmann, der die Kollegen unten mit Informationen versorgt. Psychosozial geschulte Betreuer für die Mitarbeiter sind da. Jetzt heulen alle Sirenen in der Stadt.

10.48 Uhr: Weitere Tanks fangen Feuer. Die Feuerwehr kann wegen der Hochspannungsleitung immer noch nicht von allen Seiten ran.

10.50 Uhr: Zwar zieht der Qualm nach Osten, aber die Polizei sperrt vorsichtshalber die Autobahnen 59 und 1. Die Folge: Autofahrer weichen über den Westring aus, fahren durch die Wolke. Die Elektriker, die die Hochspannungsleitung abschalten sollen, damit der Brand richtig bekämpft werden kann, stehen auf der Autobahn im Stau, die Polizei eskortiert sie.

10.57 Uhr: Der Luftraum wird gesperrt.

11.06 Uhr: Zwei weitere Tanks brennen, die Feuerwehr muss zusehen.

11.11 Uhr: Es wird klar, dass die Wolke zwar über die Stadt zieht, aber keinen Bodenkontakt hat: eine gute Nachricht.

11.32 Uhr: Fünf Personen werden vermisst. Die Hochspannungsleitung ist zwar abgeschaltet, aber immer noch nicht geerdet. Trotzdem nimmt die Feuerwehr das Risiko auf sich und beginnt mit dem Löschen.

12.15 Uhr: Die Tanks sind zwar gelöscht, es bleiben aber massive Nachlöscharbeiten.

12.17 Uhr: Fachleute vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz treffen ein, sie sammeln drei Materialproben und eine Wischprobe.

14.30 Uhr: Für die Behörden steht fest, dass es keine Gefährdung durch Luftschadstoffe gegeben hat. Die Aussage gilt bis heute. Greenpeace sieht das nach der Analyse eigener Proben differenzierter. Auch das gilt bis zum heutigen Tag.

Das könnte Sie auch interessieren:

Was folgt, sind Pressekonferenzen von Currenta und Stadtverwaltung. Klar ist nur, dass chlorierte und nicht chlorierte Lösungsmittel verbrannt sind. Noch ist von einem Toten und vier Vermissten die Rede. Die Zahl der Todesopfer erhöht sich später auf sieben; 31 Verletzte werden gezählt. Ob sich mit der Rauchwolke Giftstoffe in der Stadt und Nachbarkommunen verbreitet haben, weiß man noch nicht. Die Stadt sperrt vorsorglich Spielplätze.