Fan-Forscher über Bayer 04 Leverkusen„Das ist anders als bei Leipzig oder Hoffenheim“
Leverkusen – Der Soziologe und Fanforscher Gunter A. Pilz, Mitglied der Deutschen Akademie für Fußballkultur, hat 2020 im Interview mit dem „Leverkusener Anzeiger“ über Bayer 04 Leverkusen und das Besondere an der Fanszene bei Werksklubs gesprochen.
Herr Pilz, Waren Sie je beim Fußball in Leverkusen?
Gunter A. Pilz: Ja, bei einem Europacupspiel. Ich weiß nicht mehr, wer damals als Gegner auf dem Platz stand. Aber im Rahmen der Partie nahm der DFB Fair-Play-Ehrungen vor. Und ich war eingeladen.
Haben Sie irgendwelche besonderen Erinnerungen an die Begegnung – oder die Fans?
Nein. Ehrlich gesagt nicht. Einerseits saßen wir ja leider auf der VIP-Tribüne. Andererseits aber haben sich die Bayer-Fans demnach wohl so verhalten wie alle anderen Fans auch.
Sie sagen: „Wie alle anderen Fans auch.“ Ein wichtiger Punkt, denn trotzdem scheinen die Leverkusener Fans ja eine Sonderrolle inne zu haben ob des Vereines, den sie unterstützen: Sie sind – aus Sicht anderer Fans – Anhänger eines Werksvereines. Gerne auch Plastikclub genannt.
Man muss da schon unterscheiden: Bayer hat eine große Tradition und wurde vom Werk gegründet. Und das ist etwas Anderes, als wenn ein Verein von einem Wirtschaftskonzern aufgekauft wird. Etwas Anderes als bei Leipzig oder Hoffenheim. Dennoch führt diese Verbindung zu einem Unternehmen wie Bayer zu Sozialneid. Andere Fans sagen dann: Egal wie viele Leute da in Leverkusen ins Stadion kommen oder wie die finanzielle Lage des Vereines ist: Da steckt ein Weltkonzern dahinter. Und das ermöglicht es denen, mehr Geld zu investieren als andere Clubs, die dann irgendwann nicht mehr mithalten können.
Ist diese Haltung verständlich?
Einerseits schon. Zumal bei Fans, die sich gegen Kommerz richten. Aber: Bayer 04 wurde ja vom Unternehmen gegründet. Sprich: Dahinter steckte die Idee, den Mitarbeitern Sport zu ermöglichen. Da ging es auch darum, dass gesunde Arbeitnehmer leistungsfähiger sind als Arbeitnehmer, die sich nicht sportlich betätigen, die also nicht so gesund leben. Aber man muss vor allem den sozialen Aspekt sehen. Das Miteinander. Und so etwas ist löblich.
Was würden Sie denn Fans anderer Vereine entgegnen, die sich entsprechend abfällig oder kritisch gegenüber Bayer 04 äußern?
Ich würde erstens sagen: In den 80er und 90er Jahren hat man Leverkusen vielleicht immer vorgeworfen, dass der Verein keine richtige Fanstruktur habe. Aber das hat sich ja mittlerweile völlig gewandelt. Das stimmt einfach nicht mehr. Zweitens würde ich sagen: Man kann das – wie erwähnt – nicht mit Leipzig oder Hoffenheim vergleichen. Und drittens: Welcher Fan eines anderen Vereines würde sich denn beklagen, wenn sein Club in einer ähnlichen Situation wäre und über die gleichen Ressourcen wie Leverkusen verfügen könnte?
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Die Ultras zum Beispiel, die es auch in Leverkusen gibt.
Ja. Aber das ist ja der Widerspruch schlechthin in deren Handeln: Sie sind gegen den modernen und kommerziellen Fußball – und wollen gleichzeitig, dass ihr Verein in der Champions League spielt. Beides geht nicht. Ohne Kommerz ist weder national noch international etwas zu gewinnen. Wer „Ja“ zum Profifußball sagt, der kann sich nicht gegen Kommerz aussprechen. Das ist scheinheilig. Wo ich den Ultras – und somit auch denen in Leverkusen – hingegen recht gebe: Wenn sie sich gegen aberwitzige Profigehälter und Ablösesummen zur Wehr setzen.
In Leverkusen wurde irgendwann die Marke „Werkself“ erfunden. Charmant?
Ja. Denn das weist ja durchaus noch einmal auf den angesprochenen Sozialcharakter der Werksvereinsgründung hin. Natürlich: Es gibt in Leverkusen wohl keinen Profi mehr, der mal bei Bayer gearbeitet hat. Aber sicher tun das noch jede Menge Amateurfußballer. Und: Fans.
Was in Leverkusen auffällt: Viele Fans kommen aus der Stadt. Und nicht aus dem Umland wie im Falle anderer Clubs. Sprich, sie unterstützen den Club vor ihrer Haustüre. Ist das etwas Besonderes?
Ja. Wenn man sich Leverkusen anschaut, dann sieht man: Drumherum sind Köln, Mönchengladbach, Düsseldorf. Große, traditionsreiche Vereine, die ihre Anhänger überall haben. Auch in Leverkusen. Im Gegensatz dazu würde es kaum einem Fußballfan in diesen Städten einfallen, nach Leverkusen zu gehen. Allein deshalb ist solch eine Konzentration auf den Club in der Stadt in Leverkusen wohl ausgeprägter als anderswo.
Macht so etwas eine Fanszene auch besonders stark?
Mit Sicherheit. Das weiß man ja aus der Gruppenpsychologie: Solche Phänomene schweißen zusammen. Und viele Fans haben genau dieses ausgeprägte Verständnis einer Familie, zu der sie gehören.