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Leverkusener vor Gericht71-Jähriger wird aggressiv, tobt und entblößt sich

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Wie verantwortlich ist ein psychisch gestörter und mit falschen Medikamenten behandelter Mann für seine Straftaten? Im Amtsgericht Opladen fällt das Urteil übernächste Woche.

Leverkusen – „Er war extrem aggressiv.“ Die Frau, die vor bald zwei Jahren nachmittags plötzlich einem Mann gegenüber stand, der sich entblößt hatte und forderte, ihn oral zu befriedigen, kennt sich in gewisser Weise aus: Die 50-Jährige ist Sozialpädagogin und arbeitet nebenbei als Anti-Gewalt-Trainerin. Kenntnisse, die sie an jenem November-Nachmittag in der Augustastraße einsetzte, um ihren viel älteren Kontrahenten zur Räson zu bringen.

Was aber nicht recht gelang: Zuerst versuchte sie, den Mann zu ignorieren, setzte sich mit der gerade abgeholten Pizza ins Auto und wollte weiter nach Hause. Dann aber habe der Unbekannte auf die Motorhaube eingedroschen und gegen den Außenspiegel getreten, berichtete sie jetzt vor Gericht: Also stieg sie wieder aus, es kam zu einem sehr robusten Handgemenge.

Passanten riefen die Polizei – doch erst eine zweite Streifenwagenbesatzung war in der Lage, den tobenden Mann zu bändigen. Rettungssanitäter stießen dazu; dann ging’s ins Sankt-Remigius-Krankenhaus, später in die Landesklinik nach Langenfeld.

Segensreiche Reise nach Langenfeld

Das war sehr gut für den Täter. Denn Erwin H. (Name geändert) leidet nach Diagnose der Fachleute in der Psychiatrischen Klinik an einer bipolaren Störung. Die stürzt ihn in Phasen großer Euphorie – und völliger Niedergeschlagenheit. Wird das richtig behandelt, bekommt man es in den Griff. Das Problem: Diese Diagnose war in Jahren zuvor nicht gestellt, der heute 71 Jahre alte Mann als depressiv angesehen und mit dafür passenden Medikamenten behandelt worden. Nebeneffekt davon: Der Opladener Rentner griff gerne und regelmäßig zur Flasche, weil er sich dann besser fühlte. So ging das viele Jahre lang.

In echte Schwierigkeiten brachte das ihn – vor allem aber seine Umwelt – offenbar nur zwei Mal, das aber im Abstand von nur gut einem halben Jahr: Am Abend des 25. April 2019 war er auf der Kölner Straße erst mit Rettungssanitätern, danach mit Polizisten zusammengestoßen: „Der hat total Gas gegeben. Außergewöhnlich für so ’nen alten Mann“, beschrieb ein Streifenbeamter die Szene kurz vor Mitternacht. Die Sanitäter hatten dem offenbar angetrunkenen H. helfen wollen. Der reagierte aber äußerst aggressiv. Die Polizisten fanden einen Mann vor, der mit dem Gesicht zur Hauswand stand.

Eine Nacht in der Zelle

Als die Retter die Arme des Widerspenstigen losließen, sei es zur Sache gegangen, sagte der Polizist. Der „brüllende Mann“ habe um sich geschlagen und getreten. Auch als er an Händen und Füßen gefesselt am Boden lag, habe Erwin H. weiter randaliert. Ganz abgesehen von den Beschimpfungen der Polizisten: In diesem Zustand sei der Mann eine Gefahr für seine Umwelt gewesen, war die Einschätzung. Also musste er mit auf die Wache – und schließlich die Nacht in der Ausnüchterungszelle verbringen. Man ging davon aus, dass es nur Alkohol war.

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An all das kann sich der Angeklagte nicht mehr erinnern. Die Blackouts seien aber erklärlich aus der Kombination falsches Psychopharmakon/Alkohol, so die Gutachterin Elena Erwin. Sie hält Erwin H. für nur vermindert schuldfähig. Reue schließt das aber nicht aus: Jeden Zeugen bat der Angeklagte um Entschuldigung und versuchte in kurzen Worten seine Situation vor zwei Jahren zu erklären.

Entschuldigungen an jeden

Inzwischen glaubt er sich von den Psychiatern medikamentös richtig eingestellt, eine ambulante Therapie komme dazu. Und Alkohol habe er seit jenem 17. November 2019 nicht mehr angerührt. Wie das Gericht den Fall bewertet, zeigt sich erst in der übernächsten Woche. Ein, zwei Zeugen sollen gehört werden; dann fällt das Urteil in Opladen.