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Großtagespflege in LeverkusenIn der „Kintawelt“ wird vegetarisch gekocht

Lesezeit 7 Minuten
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Kathrin Mantke (hinten) leitet die musikalische Früherziehung im Wolkenhaus.

Leverkusen – Hedi Licz lässt sich in der Kinderküche bekochen, Hasiba Imankaaf-Houlliich liest mit Evelyn in der Bücherecke, Betül Deniz liegt mit Niko auf dem Boden und begutachtet die spiegelnden Deckenstreben, in denen Niko sich selbst entdeckt hat. Es ist friedlich im Wolkenhaus, einem von acht Standorten der Großtagespflege „Kintawelt“ in Leverkusen.

Hohe Nachfrage, wenig Plätze

„Ich würde mir wünschen, dass jedes Kind die Chance hat, so wachsen zu dürfen“, sagt Betül Deniz später. Sie meint damit die individuelle Betreuung in kleiner Gruppe, maximal neun Kinder werden hier gleichzeitig aufgenommen. Natürlich wollen nicht alle Eltern für ihre kleinen Kinder zwischen ein und drei Jahren einen Platz in einer Großtagespflege: Einige betreuen lieber zu Hause, andere bevorzugen die kleinere Tagespflege von maximal fünf Kindern pro Gruppe, andere steigen direkt in Kindertagesstätten ein, wo die Kinder bis zum Schulstart bleiben können.

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Die Schwestern Tünde Licz-Egharevba (l) und Hedi Licz

Und dennoch gibt es viel mehr Nachfrage als Angebot. „Für das nächste Kita-Jahr habe ich bereits rund 150 Anfragen und das nur offiziell über den Kita-Planer der Stadt“, sagt Tünde Licz-Egharevba, Geschäftsführerin von „Kintawelt“. Dazu kommen telefonische Anfragen. Und es werden noch deutlich mehr werden, bis im Januar nach der Freigabe der Jugendhilfeplanung die Plätze vergeben werden. „Und frei werden normalerweise rund 40 Plätze“, sagt Licz-Egharevba. Schon nach jetzigem Stand könnte sie also nicht mal jeder dritten Anfrage nachkommen.

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Der Tag beginnt früh im Wolkenhaus. Um 7.30 Uhr treffen die ersten Kinder ein. Noch läuft die Eingewöhnung, dazu kommen Krankheit und Urlaub, deswegen sind heute nur vier der neun Kinder da. „Ich kann mich aber an kaum einen Tag erinnern, an dem wir mal alle Kinder da hatten“, sagt Hedi Licz. Irgendwas ist immer. Christian ist erst die zweite Woche da, er bewegt sich aber schon ganz selbstverständlich durch die große, helle Wohnung. Die Spielküche hat er direkt für sich entdeckt. Vom gemeinsamen Frühstück hält er dagegen noch nicht so viel. Als Hasiba Imankaaf-Houlliich um 8.30 Uhr ruft: „Frühstück ist fertig“, kommt er zwar mit in den einige Stufen tiefer liegenden Bereich, an den gedeckten Tisch setzt er sich aber nicht, sondern fährt lieber Auto.

Rein vegetarisches Essen

„Das ist normal, dass sich Kinder erst einmal in neue Situationen einfinden müssen, wir zwingen ihn nicht dazu“, sagt Licz-Egharevba. Wenn Christian sich an die Routine gewöhnt hat, wird er sicher auch mit am Tisch sitzen wollen. Es gibt Brot, gekochtes Ei, Avocado und Paprika. „Wir sind seit zwei Jahren rein vegetarisch“, erklärt Licz-Egharevba. Das hat nicht nur gesundheitliche, sondern auch praktische Gründe. „Wir sind hier multikulti. Auf Schweinfleisch hatten wir daher schon lange verzichtet, aber dann kam der Wunsch nach Halal auf und dann indische Kinder, die kein Rind essen durften. Da dachten wir uns: Gemüse wird in allen Kulturen gegessen.“ Und das bisschen Fleisch, das Ernährungsexperten für Kinder empfehlen, könnten sie dann zu Hause bekommen, so, wie es für die Familie passt. „Das war am Anfang eine Umstellung, Kolleginnen haben gefragt, was sie denn dann zum Frühstück machen sollen. Aber jetzt haben wir einen Rührei-Tag, Bananen-Pancakes und Porridge, das lieben die Kinder.“

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Betül Deniz im Wolkenhaus

Tünde Licz-Egharevba hat Kintawelt 2010 gegründet, die gelernte Erzieherin wollte nach der Geburt ihres ersten Kindes nicht zurück in die Kita und bot zunächst Tagespflege bei sich zu Hause an. Dann stieg ihre Schwester Hedi mit ein – der Zuspruch war groß und so eröffneten sie das „Elfenhaus“ in Küppersteg, dann kamen im Zwei-Jahres-Rhythmus weitere dazu, das „Wolkenhaus“ und die benachbarte Gruppe „Wirbelwind“ sind seit November 2020 die jüngsten Mitglieder. Und immer noch reicht die Kapazität nicht für die riesige Nachfrage. Kann sie sich vorstellen, weitere Einrichtungen aufzubauen? „So wie jetzt gerade die Situation ist, nicht“, sagt Licz-Egharevba. Seit einem Jahr sucht sie nach einem Ausweichquartier für ein Haus, das dringend saniert werden muss. Sie findet nichts. „Ich hatte schon etwas, da habe ich dem Vermieter zugesagt. Aber dann muss noch das Jugendamt rauskommen und sein Okay geben und der Architekt, um alle Auflagen zu erfüllen. Und in der Zwischenzeit hat schon jemand anderes unterschrieben.“ Dazu kommt der Fachkräftemangel.

Verzicht auf mehr Gehalt

Tagespflegepersonen werden nach einem festen Satz der Stadt bezahlt, der noch unter dem für Kita-Erzieherinnen liegt. „Wir haben viele Mitarbeiterinnen, die aus Kitas kommen und auf Geld verzichten, weil sie hier das ruhigere und angenehmere Arbeitsumfeld haben.“ Dennoch sind aktuell zwei Teilzeitstellen unbesetzt. Und eine Reform des Kibiz-Gesetzes macht es nicht einfacher, an Nachwuchs zu kommen. Die Ausbildung ist umfangreicher geworden, die Anerkennung von Ausbildungen etwa von Erzieherinnen oder Kinderpflegern geringer. Aktuell fordere die Stadt auch den Nachweis von vorhandenen Räumlichkeiten oder einer Anstellungszusage vor Ausbildungsbeginn. „Das ist nicht machbar“, sagt Licz-Egharevba. Natürlich könnte sie einer Interessentin einen Arbeitsplatz zusagen. Dann dauere es aber noch mindestens ein Jahr und so lange müsse sie diesen Platz freihalten. „Das ist ein Problem, aber wir arbeiten daran“, sagt die Geschäftsführerin optimistisch. Sie befinde sich dazu in guten Gesprächen mit der Stadt. Dennoch versteht nicht, warum es einer so wichtigen und dringend benötigten Branche so schwer gemacht wird. „Ein Wettbüro zu öffnen, ist einfacher.“

Mit sieben Monaten in der Betreuung

Daniel Kehr ist glücklich, nicht nur einen, sondern gleich zwei Plätze im „Wirbelwind“ ergattert zu haben. Seine beiden Söhne werden gerade eingewöhnt, Jonas ist zwei Jahre alt, Fiete gerade erst sieben Monate. „Meine Frau arbeitet Vollzeit, ich in Teilzeit“, sagt der junge Vater. Fiete quietscht vergnügt und strahlt, er findet es toll im „Wirbelwind“. Natürlich habe es Bedenken gegeben, die Kinder in diesem jungen Alter schon abzugeben. „Aber hier sind wir total offen und freundlich empfangen worden.“ In zwei verschiedenen Einrichtungen hätten sie die Jungs nicht gebracht, aber dass sie hier gemeinsam hingehen können, eröffnet den Eltern mehr beruflichen Spielraum.

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Glücklich im Wirbelwind: Daniel Kehr mit Fiete und Jonas.

Kinder unter einem Jahr nehme sie nur selten auf und wenn dann nur eins pro Gruppe und in Absprache mit den Betreuerinnen, sagt Licz-Egharevba. Aber der fröhliche Fiete hat alle direkt begeistert. Generell verzeichnet die Erzieherin in den vergangenen Monaten eine deutlich höhere Nachfrage nach Plätzen für kleine Kinder. „Wir kriegen ganz viele Anrufe von Eltern die sagen: Wir wollten die Kinder noch länger zu Hause lassen, aber die Situation hat sich verändert.“ Alles wird teurer und so können sich es viele Familien nicht mehr leisten, dass ein Elternteil auf bezahlte Berufstätigkeit verzichtet.

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Tanz mit Tüchern in der musikalischen Früherziehung.

Im „Wolkenhaus“ ist mittlerweile Kathrin Mantke eingetroffen, sie hat Sopran studiert, ist nicht nur für die musikalische Früherziehung zuständig, sondern hat gleichzeitig als ausgebildete Ergotherapeutin ein Auge auf die Entwicklung der Kinder. Jede Gruppe besucht sie einmal die Woche, es wird gesungen, getanzt, geklatscht, gerasselt. Als sie eigene Kinder bekommen hat, hat sie gemerkt: „Musik und Kinder, das gehört zusammen.“ Und dass sie in der Kintawelt auch noch die Ergotherapie mit einbringen kann, ist für sie der perfekte Mix.

Nie genug von Kindern

„Wir haben hier alle viel Spaß zusammen, wir lachen viel mit den Kindern und auch untereinander“, sagt Hedi Licz. Natürlich habe jeder Mal einen schlechten Tag. „Aber wenn man hier reinkommt, dann sind die Probleme von Zuhause vergessen. Und wenn ein Kind einen anlächelt, dann kann man gar nicht keine Lust haben.“ Das bestätigt auch Betül Deniz, die von ihren eigenen vier Kindern häufig gefragt wird, ob sie nicht irgendwann genug von Kindern habe. Hat sie nicht. „Kinder zu begleiten, zu sehen, wie sie aufwachsen und sich jedes individuell ganz anders entwickelt, das ist einfach das Schönste.“

Karrieretag für Interessierte

Davon wollen sie nun auch möglichst viele andere überzeugen: Am 8. September veranstaltet Kintawelt zum ersten Mal einen „Karrieretag“. Von 17bis 19 Uhr können Interessierte in das Wolkenhaus, Windthorststrasse 46/47, kommen und sich zu allen Fragen rund um den Beruf und die Ausbildung beraten lassen. Anmeldung unter info@kintawelt.de.