Interview mit Regisseur Uwe Boll zu Hanau„Solche Sachen müssen verfilmt werden“
- Der Burscheider Uwe Boll ist als Regisseur seit jeher umstritten.
- Nach einer Auszeit dreht er nun einen Film über das rassistisch motivierte Attentat von Hanau.
- Die Folge: Entsetzen bei den Angehörigen der Mordopfer und Aufruhr in den überregionalen Medien.
Leverkusen/Burscheid – Der Burscheider Regisseur Uwe Boll ist zurück. Nach fünf Jahren in Kanada ohne Filmdrehs kehrte er zurück nach Deutschland, setzte sich wieder hinter die Kamera – und landete umgehend in sämtlichen überregionalen Medien, weil er das rassistisch motivierte Attentat von Hanau verfilmte. Im Interview mit unserer Zeitung versucht Boll, seine Beweggründe zu erklären – und spricht über die alte Heimat Burscheid und Leverkusen.Herr Boll, gut fünf Jahre waren Sie weg. In Kanada. Jetzt sind Sie zurück in Deutschland, in Mainz, und drehen wieder Filme. Wie kommt’s?
Ich habe gemerkt, dass ich wieder zurück in dieses Feld will. Ich fühle mich mit 55 noch nicht zu alt dafür.
Als Wiedereinstieg suchten Sie sich ausgerechnet das sehr sensible Thema Hanau aus. Dort brachte am 19. Februar 2020 ein Mann neun Menschen mit Migrationshintergrund sowie seine Mutter um, ehe er sich das Leben nahm. Warum Hanau?
Da ich ein politischer Mensch bin, interessiert mich schon seit Längerem der Rechtsruck in Deutschland. Das Erstarken der AfD. Das Handeln rechtsmotivierter Täter wie in diesem Fall oder wie im Mordfall Lübcke etwa. Und wenn man diesbezüglich auch noch die Historie um die NSU-Morde sorgsam verfolgt, erkennt man: Viele Rechtsradikale haben eine große Unterstützung in der Bevölkerung – und im Staat selbst. Im Verfassungsschutz. Im Staatsschutz. Auch in der Polizei. Und da muss man realistisch sein: Wenn es in Deutschland wieder Richtung Faschismus geht, dann bestimmt nicht von Links. Man sieht das ja auch an anderen Ländern, an Ungarn, Polen, Frankreich. Ich versuche Filme zu machen, die jetzt noch aktiv eingreifen können in das, was passiert.
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Unter anderem die Angehörigen der Mordopfer sehen das anders. Sie werfen Ihnen Pietätlosigkeit vor.Mein Wissenstand war immer, dass die Angehörigen sehr aggressiv – wohlgemerkt: positiv aggressiv – Aufklärung verlangt haben von den Behörden. Es ging um Fragen wie: Wieso etwa hatte der Täter von Hanau trotz seiner psychischen Situation überhaupt noch Waffen? Warum war die Polizei, die nachts trotz Notrufen nicht kam, unterbesetzt? Wo sitzen die Versager in den Behörden? Und genau wie sie will ich nicht, dass diese Sache ausgesessen wird.
Mit Verlaub: Dennoch kann man den Dreh des Films ein Jahr nach der Tat zumindest als unsensibel ansehen.
Ich habe nicht in Hanau gedreht, damit dort das Trauma nicht wieder aufbricht, wenn da plötzlich Schüsse zu hören sind. Das wäre tatsächlich pietätlos. Wir nennen nicht die Namen der Opfer. Sie sind zudem im positiven Licht dargestellt. Niemand wird diskreditiert. Überhaupt ist der Film vor allem ein Psychogramm des Täters. Er war ein einsamer Rechtsradikaler, der keine Freunde hatte, nie verheiratet war, immer bei den Eltern lebte. Und er wurde als solcher ein Opfer der Q-Anon-Bewegung. Er wurde komplett durch Fehl-Informationen von Fake News und Trolls gesteuert. Und genau das ist das große Problem, das ich als politischer Mensch aufzeigen will: Die Menschen holen sich heutzutage keine Informationen mehr aus Zeitungen und Büchern, sondern werden nur noch von Social Media gefüttert. Sie werden gefüttert durch Algorithmen – und zwar mit totalem Blödsinn. Der Täter von Hanau hatte geglaubt, er müsse gegen eine große Verschwörung angehen. Er dachte, er würde für das Beste eintreten, indem er Muslime tötet.
Und es liegt an Ihnen als Filmemacher, der mitunter schon recht blutige Videospielverfilmungen drehte, darüber aufzuklären?
Vorab: Auf Videospielverfilmungen habe ich ohnehin keine Lust mehr. Aber natürlich werden in „Hanau“ keine unrealistischen Knallplättchen-Pistolen verwendet. Es muss schon realistisch sein. Man muss zeigen, wie es abgelaufen ist. Warum die Betroffenen ein Trauma durchmachen. Durch den Schock setzt man ja gerade den Punkt des: „Das darf nicht noch einmal passieren“! Ich war nie der Familienfilm-Regisseur. Ich möchte Sachen machen, die politisch wichtig sind. John F. Kennedy, Anders Breivik in Norwegen, Mogadischu: Es gibt Filme über alles. Natürlich: Dass Angehörige diese Filme nicht ansehen können und wollen, verstehe ich absolut. Aber man kann doch nicht einen Film wegen einiger Menschen nicht drehen, während Millionen andere ein Interesse daran haben. Es geht darum, dass man in Zukunft solche Dinge verhindert. Ich bin der Meinung: Solche Sachen müssen verfilmt werden. Denn wir müssen jetzt handeln. Mit diesem Wischiwaschi von „Heute nicht, aber morgen“ werden wie die Welt nicht mehr retten. Das ist wie mit der Klimaerwärmung: Es wird zu wenig getan. Ich bin oft zu Besuch in Burscheid und Leverkusen bei Freunden und Verwandten. Und wenn ich dann mit meinem Bruder an der Sengbachtalsperre entlangwandere oder fahre, fällt mir auf: So viele tote Bäume habe ich noch nie gesehen! Das können wir doch nicht leugnen! Da müssen wir doch handeln!
Dennoch: Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, PR in eigener Sache zu machen und vom Aufruhr um den Film zu profitieren.
Ich hatte gar kein Interesse daran, PR zu machen und wollte den Film ohne Aufsehen abdrehen. Das ganze Bohei, das zuletzt etwa der Bürgermeister Hanaus machte, der mir einen geradezu unverschämten Brief schrieb, ohne den Film gesehen oder mit mir gesprochen zu haben, geht doch vollkommen am Thema vorbei. Er hatte ein Foto in der „Bild“-Zeitung gesehen, auf dem die beteiligte und recht bekannte Schauspielerin Radost Bokel zu sehen ist, wie sie auf dem Boden liegt. Und schon springen alle auf und es ist klar: Der Uwe Boll will nur Geld verdienen und interessiert sich für sonst nichts! Dabei bin ich seit 25 Jahren einer der wenigen, die Privatgeld in Filme investieren und ins Risiko gehen. Trotzdem wird immer ins alte Horn gestoßen. Trotzdem beginnt jeder Artikel über mich mit: „Der hat die Goldene Himbeere“ gewonnen.“ Entschuldigung, aber: Das ist doch lachhaft! Ich habe den Doktor in Germanistik, habe fünf Bücher veröffentlicht, 32 Filme gemacht, mit Oscar-Preisträgern gedreht, war an der Börse. Mich da als einen kleinen Mitläufer im Genre zu bezeichnen, hat mit der Realität nichts zu tun. Das ist eine bodenlose Frechheit. Zumal die meisten, die mich kritisieren oder über mich schreiben, meine Filme doch nie gesehen haben!
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Wie geht es denn nun mit „Hanau“ weiter?
Der Film ist jetzt in der Postproduktion. Vor Herbst kommt er nirgendwo raus. Es ist auch noch nicht klar, wo er gezeigt wird.
Und was ist mit Ihrer alten Heimat? Wann besuchen Sie die wieder?
Sobald das alles erledigt ist und wir alle geimpft sind, werde ich wieder häufiger dort aufschlagen. Vor Corona war ich immer mindestens einmal im Monat dort. Aber derzeit geht das eben nicht. Die Kontakte zu Familie und Freunden – unter anderem Reiner Hilken vom Bunker in Manfort, wo ich ja früher häufig war und zu dem ich eine enge Verbindung habe – laufen ja auch so weiter. Mit Reiner sprach ich übrigens neulich noch länger für den You-Tube-Kanal „Bunker TV“.