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Bayer AG gibt Gemälde zurückVon „entarteter Kunst“ zum symbolträchtigen Geschenk

Lesezeit 4 Minuten

Thomas Helfrich und Andrea Peters übergeben das Original von Oskar Molls Stillleben heute dem Museum in Leipzig.

Leverkusen – Es ist eine außergewöhnliche Geschichte, die nur möglich wurde, weil Bayer-Kulturchef Thomas Helfrich bei der Auswahl von Praktikanten stets der Frage folgt: „Bringen die Kandidaten eine Expertise ein, die wir so noch nicht haben?“ Und Amelie Peters brachte genau die ein, als sie Anfang 2019 in Leverkusen anheuerte. Die Studentin der Kunstgeschichte beschäftigte sich seinerzeit mit Provenienzforschung, sprich: der Forschung nach der Herkunft von Kunstwerken. Sie spielt vor allem dann eine Rolle, wenn es um Arbeiten geht, die zur Zeit des Dritten Reiches als so genannte „Entartete Kunst“ aus Museums- und Privatsammlungen geräumt und von den Nazis beschlagnahmt worden waren. Im Januar 2019 also kam Amelie Peters zu Bayer. Im März begann sie damit, die werkseigene Sammlung auf solche Kunstwerke hin zu durchstöbern. Und im April – wurde sie fündig.

Eine Liste mit 126 Kunstwerken

Bei der Bearbeitung einer Liste von 126 Arbeiten - sie umfasste Zeichnungen oder Gemälde, die ob ihrer Entstehung vor 1945 in Frage kamen für eine solche Provenienzrecherche - stieß sie gemeinsam mit Bayer-Kuratorin Andrea Peters auf das „Stillleben mit Mohn und schwarzer Kann“, das der Künstler Oskar Moll 1916 gemalt und 1920 an das Museum der Bildenden Künste in Leipzig verkauft hatte.

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Die Nazis hatten es 1937 als eines von reichsweit etwa 16 000 Kunstwerken beschlagnahmt. 1951 war es dann unter anderem über den Kölnischen Kunstverein von der Bayer AG erworben worden.

Teil der ersten Kunstankäufe

Das Stillleben gehörte somit zu den ersten Kunstankäufen des Unternehmens nach Kriegsende und war seitdem eine Arbeit von vielen im Depot gewesen– bis Amelie Peters kam und nach Eingabe des Titels und des Künstlernamens in eine am kunsthistorischen Institut der FU Berlin gepflegte Datenbank auf dessen Geschichte stieß. Bei den anderen überprüften Arbeiten sei die Suche im Nichts verlaufen – weil frühere Händler tot oder keine Dokumente mehr zu finden seien. „Aber als ich den Namen „Oskar Moll“ eingab, bekam ich sofort Informationen.“

Geschenk, das „Brücken baut“

Die Suche endet quasi ein knappes Jahr später – am heutigen Dienstag, 21. Januar 2020, denn: Heute übergeben Thomas Helfrich und Andrea Peters das Bild dem Team des Leipziger Museums. Als Schenkung.

Komplizierte Provenienzforschung

Oskar Moll (1875-1947) hatte bei Lovis Corinth und Henri Matisse Kunst studiert und lieferte nach Meinung vieler Experten mit seinen Bildern hervorragende Beispiele für die Matisse-Rezeption im deutschen Expressionismus.

Keine Hinweise gibt es laut Andrea Peters, Amelie Peters und Thomas Helfrich darauf, dass sich weitere Kunstwerke in der Bayer-Sammlung befinden, die seinerzeit von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden. Das liege auch daran, dass sich unter den in Frage kommenden Arbeiten viele Zeichnungen befänden. „Und deren Herkunft zu bestimmen, ist nahezu unmöglich“, sagt Andrea Peters. Viele seien nicht signiert und in mehrfacher Ausfertigung auf den Markt gekommen.-

Was die Recherche zusätzlich erschwert, ist nach Aussage von Amelie Peters der Umstand, dass die meisten Provenienzforscher für sich arbeiteten. Thomas Helfrich betont zudem, diese Art der Forschung sei stets mit einem hohen Aufwand an Personal, Zeit und Kosten verbunden. (frw)

Da es sich um ein städtisches Museum handele, sei so ein Überlassen zwar immer mit enormem Verwaltungsaufwand zu tun , sagt Thomas Helfrich. Unter anderem müsse der jeweilige Stadtrat erst zustimmen und viel Papier gewälzt werden. In derlei Fällen sei auch niemand dazu verpflichtet, ein Kunstwerk zurückzugeben, da es sich nach immer noch geltendem Recht nicht um unrechtmäßig erworbene Kunst handele. Indes: „Wir hoffen, dass andere unserem Beispiel folgen und eine Diskussion angestoßen wird. Solche Rückgaben bauen Brücken in der Gesellschaft und sind ein Zeichen für den Alltag.“ Man könne schließlich auch Fehler rückgängig machen, die man selber nicht begangen habe – so wie der Bayer-Konzern, der Oskar Molls Bild nachweislich im „guten Glauben“ erwarb. Und: „Ich weiß nicht, ob jemand Spaß daran hat, ein Bild zu besitzen, das unter dem Unrechtssystem des NS-Regimes beschlagnahmt wurde.“