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Leiterin Leverkusener Gesundheitsamt„Für eine neue Pandemie sind wir besser aufgestellt“

Lesezeit 7 Minuten
Dr. Mirja Stevens, Leiterin Gesundheitsamt Leverkusen

Dr. Mirja Stevens, Leiterin des Gesundheitsamtes Leverkusen

Dr. Mirja Stevens spricht im Interview darüber, was sie aus der Corona-Pandemie gelernt hat und wie es um die Gesundheitsversorgung der Leverkusener bestellt ist.

Frau Dr. Stevens, Sie sind seit September Leiterin des städtischen Gesundheitsamtes. Wie ist es Ihrer Meinung nach um die Gesundheit der Leverkusener bestellt?

Stevens: Wir als Gesundheitsamt bekommen keine Diagnosen übermittelt, daher haben wir keinen genauen Überblick wie zum Beispiel die Krankenkassen. Jahreszeitbedingt haben aktuell die Atemwegserkrankungen natürlich deutlich zugenommen. Außerdem lässt sich bundesweit erkennen, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen, gerade Angsterkrankungen und Depressionen, seit der Pandemie stark angestiegen sind. Das ist kein Leverkusen-spezifisches Problem, aber wir registrieren diese Entwicklung auch bei unserer täglichen Arbeit, bei den Begutachtungen und aus den Berichten des sozialpsychiatrischen Dienstes.

Und auch in den Schuleingangsuntersuchungen, die Ihr Amt ebenfalls durchführt?

Hier liegen uns die aktuellen Zahlen noch nicht vor. Aber die Kolleginnen berichten durchaus, dass die Auffälligkeiten zunehmen. Dabei geht es nicht so sehr nur um Verhaltensauffälligkeiten, sondern generell um vermehrten Förderbedarf, der bereits bei den Kindern erkennbar ist.

Sie sind im August 2020, mitten in der Corona-Pandemie, zum medizinischen Dienst der Stadt gewechselt. Warum?

Ich habe nach meiner Facharztweiterbildung zur Internistin erst im Krankenhaus und anschließend in einer hausärztlichen Praxis gearbeitet. Ich hatte schon vor der Pandemie immer wieder das Gefühl, dass ich mich beruflich gerne noch einmal verändern möchte. Dann kam Corona, was für mich eine gute Gelegenheit für eine Neuorientierung war. Der öffentliche Gesundheitsdienst hat mich sehr angesprochen, es ist ein spannendes Feld, sehr vielschichtig und vielseitig. Besonders schön finde ich die Teamarbeit mit den unterschiedlichen medizinischen Fachbereichen. Wir haben hier einen Zahnarzt, Kinderärztinnen, Kolleginnen mit langjähriger Erfahrung in der Sozialmedizin und im Infektionsschutz, aber auch Hygienekontrolleure, eine Apothekerin, medizinische Fachangestellte und Kollegen und Kolleginnen aus der Verwaltung und dem Public Health Bereich. Das macht richtig viel Spaß.

Welche Situation haben Sie im Sommer 2020 hier vorgefunden?

Was mir nachhaltig im Gedächtnis geblieben ist, sind die Menschen, die in dieser Situation hier gearbeitet haben. Die wenigen Menschen musste man zu dem Zeitpunkt ja sagen. Diese haben mit größtem Engagement, weit über die Belastungsgrenze hinaus und mit einem unglaublichen Zusammenhalt versucht, einer Situation gerecht zu werden, auf die sie überhaupt nicht vorbereitet waren, weder personell noch technisch. Das hat mich wirklich sehr beeindruckt. Später kamen Mitarbeitende aus anderen Fachbereichen, aber auch von außen dazu, in der Höchstphase waren wir rund 90 Leute. Es war eine immense Aufgabe, sich immer wieder mit neuen Situationen auseinanderzusetzen, alles umzusetzen und klar zu kommunizieren. Das hat uns zusammengeschweißt.

Was haben Sie persönlich aus der Pandemie gelernt?

Wie wichtig strukturierte Prozesse sind, auf die man zurückgreifen kann. Ich persönlich habe auch gelernt, wie wichtig Kommunikation und Transparenz sind, sowohl nach innen, als auch nach außen. Denn es schafft Vertrauen und Sicherheit, wenn man wichtige Aspekte aktiv kommuniziert. Fachlich war es natürlich auch eine sehr spannende Zeit. Ich habe die Pandemie auf allen Ebenen erlebt: Am Anfang habe ich noch als Ärztin gearbeitet, danach war ich in der Kontaktpersonennachverfolgung tätig. Später habe ich Corona-Patienten ärztlich am Telefon betreut, was sehr intensiv war. Und teilweise war ich auch im Krisenstab der Stadt vertreten. Das waren unglaubliche Erfahrungen, ich habe sehr viel gelernt in dieser Zeit.

Wie wäre Leverkusen für eine neue Pandemie gerüstet?

Auf jeden Fall besser. Das Gesundheitsamt war vor Corona sehr klein geworden. Am 1. Januar 2020 haben hier 21 Personen gearbeitet, aktuell sind wir 48. Wir haben das Amt ganz neu strukturiert, neben dem zahnärztlichen und dem kinderärztlichen Dienst gibt es jetzt auch den ärztlichen Dienst. In dieser Abteilung sind der Infektionsschutz, die Apothekenaufsicht und die Sozialmedizin verankert. Außerdem haben wir einen Verwaltungsbereich geschaffen, in dem es Stellen für die Medizinalaufsicht und das Haushalts-Controlling gibt, Stellen für IT und Präventionsprojekte. Erst kürzlich haben wir eine eigene Abteilung für Prävention und Pandemiemanagement eingerichtet. Diese wird jetzt Prozesse implementieren, die dazu führen sollen, dass wir für die nächste Pandemie besser aufgestellt sind. Dort werden Pläne erarbeitet, die man im Krisenfall aus der Schublade holen kann: zum Beispiel, wie viel Personal für welche Aufgaben benötigt wird, welche Schritte einzuleiten sind, wenn dieser oder jener Fall eintritt. Derzeit, wo wir uns nicht in einer Pandemie befinden, gehört zu den Aufgaben auch, den Infektionsschutz zu unterstützen und sich um ein Reporting für bestimmte Infektionszahlen zu kümmern. Insgesamt sind wir jetzt also viel strukturierter aufgestellt.

Ihr Vorgänger, Dr. Matin Oehler, ist in Leverkusen zum Gesicht der Pandemiebekämpfung geworden. Sind sie froh, dass sie in ruhigeren Zeiten das Amt übernommen haben?

Die ganze mediale Aufmerksamkeit hat dazu geführt, dass der medizinische Dienst mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist. Dadurch konnte der Veränderungsprozess schneller angestoßen werden, als es sonst der Fall gewesen wäre. Von daher ist uns das schon zugutegekommen. Ich habe jetzt die Aufgabe, die Veränderungen, die angestoßen wurden, auch umzusetzen. Es ist natürlich schön, wenn man das mit ein bisschen mehr Ruhe tun kann.

Wie bringt man so ein Amt jetzt aus dem Ausnahmezustand in einen Regelbetrieb?

Es war nicht so, dass die WHO gesagt hat: „Wir haben jetzt kein Corona mehr“, woraufhin wir gesagt haben: „Dann haben wir jetzt wieder Normalbetrieb.“ Wir haben schon im Herbst 2021 angefangen, den gesamten Bereich, der die Pandemie betraf, in die Verwaltung zu verlegen. Das hat es uns ermöglicht, dass der kinderärztliche Dienst wieder mit den Schuleingangsuntersuchungen starten konnte. Auch andere Bereiche haben ihre normale Arbeit wiederaufgenommen: Die Sozialmedizin konnte Gutachten erstellen, auch die anonyme HIV-Beratung, Beratungen nach dem Prostitutionsschutzgesetz oder zu sexuell übertragbaren Infektionen haben wir frühzeitig wieder durchführen können. Parallel dazu wurden wir fließend in die Flüchtlingskrise eingebunden. Hier war der Sozialmedizinische Dienst stark gefragt, bei der Erstinaugenscheinahme der Geflüchteten, unterstützend bei der Suche nach Ärzten oder auch, um Medikamente zur Verfügung zu stellen. Eigentlich sind wir erst jetzt, mit Beginn meiner Amtszeit, an dem Punkt angelangt, an dem wir keine Krise mehr zu bewältigen haben. Aber viele Bereiche sind bereits vorher im Normalbetrieb angekommen.

Zeiten ohne Krise sind die, in denen man eigene Ziele verfolgen kann. Welche sind Ihre?

Wir wollen vor Ort da sein für die zentralen Fragen der Gesundheitsversorgung der Leverkusenerinnen und Leverkusener, das ist das Ziel. Erreichen können wir das, indem wir das Gesundheitsamt auf eine solide Basis stellen. Der Fachbereich hat sich personell mehr als verdoppelt, wir haben eine neue Abteilungsstruktur aufgestellt und digitale Prozesse eingeführt. Als Nächstes wollen wir uns besser mit anderen Fachbereichen vernetzen. Außerdem möchte ich mehr niederschwellige Angebote etablieren, um die Gesundheitskompetenz für bestimmte Zielgruppen zu stärken. Zum Beispiel haben wir eine aufsuchende medizinische Sprechstunde für Wohnungslose eingerichtet. Wenn ich in diesen Interviews nach den größten Baustellen frage, höre ich immer: das Personal! Das scheint bei Ihnen aber nicht das Problem zu sein.

Nein, das haben wir tatsächlich nicht. Wir haben in allen Bereichen fachlich sehr gut qualifiziertes und auch sehr engagiertes Personal. Dafür bin ich dankbar. Von daher ist Personal nicht unser Problem, was sehr angenehm ist. Wenn Sie mich vor zwei Jahren gefragt hätten, was unsere größten Baustellen sind, hätte ich wahrscheinlich gesagt: alles. Aber wir haben so vieles schon erledigt und sind auf einem richtig guten Weg. Den weiterzugehen, ist unsere Hauptaufgabe.

Die Lage der Krankenhäuser in Deutschland ist aktuell ein großes Thema, besorgt sie die Situation?

Ich denke, wir sind in Leverkusen regional und auch überregional aktuell gut aufgestellt. Natürlich ist es so, dass in der Region Kliniken schließen, hier sehen wir auch einen Zusammenhang mit zuletzt steigenden Zahlen in der Zentral-Ambulanz des Klinikums. Aber grundsätzlich bin ich überzeugt, dass wir hier mit dem Klinikum und dem St.-Remigius-Krankenhaus sehr gut aufgestellt sind. Die Krankenhausversorgung der Leverkusenerinnen und Leverkusener ist aktuell gewährleistet. Man muss die weitere Entwicklung natürlich im Blick haben, das ist wichtig. Aber gerade im Vergleich zu ländlichen Strukturen müssen wir uns erstmal keine Sorgen machen.

Zum Abschluss haben Sie einen Wunsch für das Jahr 2024 frei.

Ich wünsche mir, dass die Menschen in Leverkusen sich mehr mit ihrer Gesundheit und der Prävention beschäftigen. Ich habe mir Folgendes überlegt: Wenn sich jede und jeder im Jahr 2024 an einem Tag eine Stunde Zeit nehmen würde, um einfach mal in das eigene Impfbuch zu schauen und zu überlegen, welche Impfungen vielleicht noch fehlen oder welche Vorsorgeuntersuchungen sinnvoll wären – wäre schon ein erster Schritt gemacht.


Zur Person

Dr. Mirja Stevens hat an der Universität zu Köln Medizin studiert. Nach der Facharztweiterbildung zur Internistin hat die 46-Jährige zunächst im Krankenhaus und anschließend in einer Hausarztpraxis gearbeitet. 2020 ist sie zum Gesundheitsamt der Stadt Leverkusen gewechselt. Seit September 2023 leitet sie den Fachbereich.