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Gewalt gegen Rettungskräfte„Wir fragen uns, ob eine Bewaffnung nötig wird“

Lesezeit 5 Minuten

Leverkusens Feuerwehrchef Hermann Greven berichtet von zunehmenden Handgreiflichkeiten.

  1. Rettungskräfte kommen, um zu helfen. Gedankt wird ihnen das längst nicht immer.
  2. Wir haben uns mit Vertretern von Feuerwehr und Maltesern in Leverkusen unterhalten – über lebensbedrohliche Pöbeleien, gesunkene Hemmschwellen und traumatische Erlebnisse.
  3. Auch aktuelle Statistiken belegen eine zunehmende Gewaltbereitschaft gegen Rettungskräfte. Woran liegt das? Und wie können politische Antworten aussehen?

Leverkusen – Seit 40 Jahren arbeitet er bei der Feuerwehr, zu tausenden Einsätzen wurde er gerufen. Heute ist Hermann Greven Feuerwehrchef in Leverkusen. „Manchmal muss ich mich mittlerweile wirklich zusammenreißen. Es ärgert mich kolossal“, erklärt er uns. Es geht um Gewalt. Gewalt gegen Einsatzkräfte, die kommen, um zu helfen. Es ist ein Thema, das erst seit wenigen Jahren öffentlich stattfindet. Warum ist das so? War früher alles besser?

„Die Gewalt gab es schon immer“, entschärft Greven: „Zumindest verbal.“ Erschreckend und beruhigend zugleich. Doch es gibt eine besondere Dringlichkeit: „Ich habe das starke Gefühl, dass Handgreiflichkeiten zunehmen. Vor zehn Jahren ist sowas vielleicht einmal im Jahr bei uns vorgekommen. In den letzten Jahren wurden es immer mehr Fälle.“

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Ulrich Fucks von den Maltesern in Leverkusen arbeitete knapp 30 Jahre im Rettungsdienst, bevor er im Juni des vergangenen Jahres eine Führungsposition übernahm. „Dass Handgreiflichkeiten zugenommen haben, glaube ich nicht. Die gab es schon immer“, meint er. Fucks allerdings ist sich sicher, „dass die Hemmschwelle insgesamt niedriger ist. Heute werden wir deutlich öfter beschimpft.“ Zwei unterschiedliche Beobachtungen also, beide aber machen deutlich: Rettungskräfte laufen zunehmend Gefahr, selbst in Not zu geraten.

Herbert Reul will gegen die Gewalt vorgehen

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat sich das Thema vor zwei Jahren auf die Fahnen geschrieben: „Wir müssen gerade diejenigen schützen, die täglich für uns den Kopf hinhalten.“ Eingeführt wurde im Mai 2018 eine Meldepflicht, die Feuerwehren und Rettungsdiensten verpflichtet, Bescheid zu geben, wenn Einsatzkräfte attackiert werden. Der Hintergrund: Man fand im Rahmen einer Studie unter Rettungskräften heraus, dass jeder Achte Opfer von körperlicher Gewalt geworden ist.

Die vorläufige Bilanz fällt ernüchternd aus: In siebeneinhalb Monaten des Jahres 2018 wurden 127 Fälle gemeldet, im Jahr 2019 waren es bereits 322. Eine Steigerung, die deutlich macht, dass Greven nicht falsch liegt mit seiner Einschätzung. Pia Leson, Sprecherin des Ministeriums, stellt klar, dass „nur strafrechtlich relevante Delikte“ erfasst werden. „An Verbalattacken oder fliegende Bierflaschen gewöhnt man sich leider“, so Greven. Worum also geht es bei den 322 Fällen? „Wenn Patienten um sich schlagen, wenn Verwandte handgreiflich werden, wenn Silvesterraketen beim Einsatz quer geschossen werden, dann melden wir das.“ Extreme Fälle also, von denen fünf im vergangenen Jahr zu Verletzungen bei Einsatzkräften geführt haben – alleine in Leverkusen.

„Nächstenliebe war mal wichtiger“

Bei den Maltesern ist der Ablauf etwas komplizierter: Sie sollen Straftaten an die Feuerwehr melden, von dort aus landen sie gegebenenfalls beim Innenministerium. „Wenn bei uns jemand einen Ellbogenschlag auf die Nase bekommt, kurz zum Klinikum fährt und nach einer Behandlung weiterarbeiten kann, dann fragt die Feuerwehr keinen Bericht an. Und wir haben auch nicht immer Lust, uns später noch mal damit zu beschäftigen“, erklärt Fucks.

Die Meldungen also bilden die Spitze eines Eisberges, dessen gewaltige Masse – davon ist Fucks überzeugt – gesellschaftliche Entwicklungen darstellen: „Dass Leute glotzen und filmen, wenn jemand halb tot in der Stadt liegt, oder sich beschweren, wenn der Rettungswagen während einer lebensrettenden Behandlung ihren Parkplatz versperrt, ist schade. Die meisten denken heutzutage nur an sich. Wir merken das auch daran, dass wir nicht mehr so viel Nachwuchs finden. Nächstenliebe war mal wichtiger.“

Unmittelbar Betroffenen lässt Fucks seit jeher vieles durchgehen: „Wenn ein Patient versucht, uns mit einem Messer anzugreifen, wissen wir, dass es für ihn eine Ausnahmesituation ist.“ Anders sei das mit Todesdrohungen von Betrunkenen. Auch Greven kategorisiert die Attacken unterschiedlich: „Für Angehörige, die von der Situation – wie wir – stark gestresst sind, habe ich immer ein gewisses Verständnis. Aber warum uns Außenstehende beleidigen, attackieren oder aus wenigen Zentimetern filmen, wenn sie meinen Leuten keinen Platz machen wollen oder sie mit Steinen bewerfen, dann begreife ich das nicht.“

Als echte Unterstützung nimmt Fucks die Maßnahmen des Innenministeriums nicht wahr: „Das ist vor allem Symbolpolitik, wir merken davon im Alltag nichts. Ich würde mir einen echten Dialog mit der Politik wünschen. Oder dass Mitarbeitern, die Traumatisches erlebt haben, in eine längere Behandlung ermöglicht wird – und wir Ersatzpersonal gestellt bekommen.“

Ist doch nicht alles schlimmer geworden?

Vielleicht aber, vermutet Greven, ist gar nicht alles schlimmer geworden: „Die Sensibilität ist höher. Früher haben wir einfach alles geschluckt. Heute arbeitet hier auch ein anderer Schlag Mitarbeiter.“ Das Thema ist groß. Weil die Gewalt zunimmt. Und weil sie nicht mehr toleriert, nicht mehr einfach hingenommen wird.

Auch bei den Maltesern, die seit rund zehn Jahren ein Team zur psychologischen Unterstützung haben, ist das so: „Heute wird viel mehr geredet. Als einige meiner Kollegen im Kessel der Loveparade in Duisburg standen, wurde uns spätestens deutlich, wie wichtig psychologische Aufarbeitung ist.“ Man müsse zwar stressresistent sein, „aber echte Traumata, die auch durch Gewalt ausgelöst werden, kann man nicht einfach verschweigen. Davon geht man kaputt.“#

Von Angst bei seinen Mitarbeitern will Greven nicht sprechen, aber: „Wir haben bei vielen Einsätzen schon ein großen Interesse daran, dass die Polizei mitkommt. Die Belastung bei der Feuerwehr ist ohnehin sehr hoch, viele müssen aus gesundheitlichen Gründen den Job irgendwann aufgeben.“ Die zunehmende Gewalt kommt da noch oben drauf.

Echte politische Lösungen scheinen nicht in Sicht, Bedrohungen und körperliche Gewalt werden vorerst Alltag bleiben bei Rettungskräften – auch in Leverkusen.

Mit einem Blick in die Zukunft bringt Feuerwehrchef Greven seine Ernüchterung auf den Punkt: „Manchmal fragen wir uns schon, ob irgendwann eine Bewaffnung nötig sein wird. Ich hoffe es nicht.“