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TMD FrictionHerzstück des Leverkusener Bremsbelag-Werks geht nach Rumänien

Lesezeit 5 Minuten
Blick auf die Zentrale von TMD-Friction an der Schlebuscher Straße.

Im alten Textar-Werk an der Schlebuscher Straße soll nun auch noch die wichtige Entwicklungsabteilung geschlossen werden.

Die Geschäftsführung will das Technikum, in dem neue Bremsbeläge getestet und Innovationen gemacht werden, binnen eines Jahres abziehen.

Neuer Schlag für das Textar-Stammwerk in der Fixheide: Das Technikum, also ein Herzstück des Standorts, soll geschlossen und nach Rumänien verlagert werden. Durchsetzen wollen das die Geschäftsführer David Baines, Robert Roiger und Sebastian Despineux bis nächsten Herbst, angedacht ist der Umzug für das dritte Quartal 2025. Das geht aus einem für den internen Gebrauch gedachten Schreiben der Geschäftsleitung an die Mitarbeiter in Schlebusch hervor, das dem „Leverkusener Anzeiger“ vorliegt. Weitere Details nannte das Unternehmen am Mittwoch auf Anfrage zunächst nicht.

Damit ist ein Jahr nach Vollzug des erneuten Verkaufs eine Zusicherung von Baines hinfällig. Als Ende August 2023 bekannt wurde, dass der in München ansässige Finanzinvestor Aequita einen der weltgrößten Bremsbelag-Hersteller vom japanischen Reibbelag-Spezialisten Nisshinbo übernimmt, hatte der TMD-Chef gesagt: „Derzeit gibt es keine Pläne für Veränderungen an unseren Standorten durch diese Übernahme.“

Leverkusen ist zu teuer

Dem Umzugsbeschluss seien „intensive Analysen und Überlegungen“ vorausgegangen, schreiben Baines, Roiger und Despineux nun. Die Führung sieht „akuten Handlungsbedarf“: Die baulichen, aber auch die wirtschaftlichen Bedingungen in Leverkusen stimmten nicht mehr. Der Umzug ins Niedriglohnland Rumänien soll der „Steigerung und Wettbewerbsfähigkeit unseres Unternehmens“ dienen. „Das ist eine schwierige, aber notwendige Entscheidung, um die Zukunft des gesamten Unternehmens zu sichern“, unterstreichen die Geschäftsführer. Anders gesagt: Leverkusen ist zu teuer.

Der Umzug des Technikums und weiterer Abteilungen, die der Entwicklungseinheit zuarbeiten, „ermöglicht es uns, bestimmte Prozesse effizienter zu gestalten und gleichzeitig weiterhin hohe Qualitätsstandards zu gewährleisten“. Bei TMD Friction müsse man sich darauf konzentrieren, „unser Business zu verbessern und nachhaltig erfolgreich zu gestalten. Gleichzeitig müssen wir den Erwartungen unserer Kunden mit der gewohnten Qualität gerecht werden und sie in der gewohnten Art und Weise unterstützen“, heißt es im Brief an die Belegschaft.

Jetzt wird über einen Sozialplan verhandelt

„Wir verstehen, dass diese Veränderung viele von Ihnen betrifft und Fragen aufwirft“, schreiben die Geschäftsführer. Tatsächlich muss ein Sozialplan und ein Interessenausgleich her. Denn es werden viele, vor allem auch strategisch wichtige Arbeitsplätze in Leverkusen wegfallen. Über einen Ausgleich wollen die TMD-Friction-Geschäftsführer nun mit dem Betriebsrat verhandeln.

Für die Vertreter der Belegschaft ist das Thema offenkundig nicht neu. „Bereits in den vergangenen Wochen standen wir mit dem Wirtschaftsausschuss und Betriebsrat zur Zukunft des Technikums im Austausch“, heißt es von der Geschäftsleitung. Ziel der Verhandlungen sei, „die Interessen der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so gut wie möglich zu berücksichtigen und gemeinsam sozialverträgliche Lösungen zu entwickeln“. Das soll, so wünschen es sich Baines, Roiger und Despineux, möglichst schnell gehen. Der Vorteil aus Sicht der Chefs: „Sicherheit und Klarheit“ für die Betroffenen.

Über die Verhandlungen wollen die TMD-Chefs „regelmäßig und aktuell informieren. Wir sind uns bewusst, wie wichtig Transparenz in dieser Phase ist.“ Zusätzlich soll an der Schlebuscher Straße eine Kontaktstelle für diejenigen eingerichtet werden, deren Jobs bald wegfallen.

„Schleichende Schwächung des gesamten Standorts Deutschland“

In der Belegschaft zeigt man sich „tief getroffen“ von der Entscheidung. Die Verlagerung sorge „nicht nur für Trauer und Frustration“, sondern für weitergehende Befürchtungen. Ein Beschäftigter, der sich an den „Leverkusener Anzeiger“ gewandt hat, sieht eine „schleichende Schwächung des gesamten Standorts Deutschland“. Er geht davon aus, dass die Schließung des Technikums in Leverkusen nur der Auftakt ist für eine Entwicklung, „die langfristig auch das Werk in Essen und weitere Standorte bedrohen wird. Sobald bestehende Projekte auslaufen, wird das Werk Essen ohne neue Projekte ebenfalls ins Abseits geraten.“ Dorthin war die Leverkusener Produktion verlagert worden. Bau und Inbetriebnahme des seinerzeit mit einer geplanten Kapazität von jährlich 65 Millionen Stück weltgrößten Werks für Bremsbeläge am Standort der Textar-Schwester Rüttgers hatte sehr viel länger gedauert als geplant.

Die Verlagerung des Technikums und der Prototypenentwicklung nach Rumänien werde „hohe Schulungs- und Anlaufkosten verursachen“. Und das werde auch nicht reichen: „Das Know-how, das wir hier in Deutschland aufgebaut haben, lässt sich nicht einfach übertragen. Es wird Jahre dauern, bis der neue Standort effizient arbeiten kann“, prognostiziert der Mitarbeiter. Auch logistisch werde die Verlagerung „zusätzliche Kosten und Herausforderungen mit sich bringen“; der Mitarbeiter beziffert sie auf bis zu 30 Prozent.

Dazu komme: Mit dem Plan, das Technikum nach Rumänien zu verlagern, habe die Geschäftsführung dem Leverkusener Werk schon geschadet: „Die Verunsicherung der Belegschaft hat bereits begonnen. Ein demotiviertes Team kann nicht die gewohnte Leistung erbringen, was die Effizienz weiter senkt.“

Man müsse sich fragen, warum für Leverkusen nicht rechtzeitig neue Projekte gesichert würden, was die Wettbewerbsfähigkeit stärke. Das Potenzial sei ja da: „Wir alle sind überzeugt, dass TMD Friction in Deutschland profitabel bleiben kann – wenn wir als Belegschaft mit der Geschäftsführung gemeinsam an einem Strang ziehen und entschlossen um die Zukunft unseres Standorts kämpfen.“


Knapp 1000 Beschäftigte hatte das alte Textar-Werk an der Schlebuscher Straße, als die Verlegung der Produktion zur Konzernschwester Rüttgers in ein neues Werk am Essener Stadthafen begann. Von den rund 500 Verbliebenen in der Fixheide haben weitere in Hitdorf einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Dort betreibt TMD Friction sein Ersatzteillager in der ehemaligen Rossmann-Halle. Auch Teile der Verwaltung des traditionsreichen Herstellers von Brems- und anderen Belägen für Autos und viele andere Anwendungen sind dort angesiedelt.

Der weltweit aktive Konzern hat nach eigenen Angaben insgesamt rund 4200 Beschäftigte in den USA, Brasilien, Mexiko, China, Japan und Europa. Leverkusen, Essen, Hamm an der Sieg und Coswig bei Dresden sind die deutschen Standorte. Rumänien ist mit drei Sitzen ein weiterer Schwerpunkt im Konzern. Vertrieben werden die Beläge, die auch im Automobil-Rennsport eingesetzt werden, unter den Markennamen Textar, Pagid, Mintex, Don, Bendix, Cobreq und Cosid für Industrieanwendungen.

Die jüngere Geschichte des Unternehmens verlief äußerst unruhig. 2008 ging der Konzern in die Insolvenz. Die enormen Zinslasten, die ihm vom Finanzinvestor Montagu aufgebürdet worden waren, konnte TMD Fricton nicht mehr erwirtschaften. 2009 folgte die Übernahme durch das Management, bei dem der Fonds Pamplona Capital Management half. Im September 2011 kaufte mit der japanischen Nisshinbo nach langer Zeit wieder ein Unternehmen aus der Reibbelag-Branche. Im August 2023 wurde die Übernahme durch die Finanzholding Aequita bekanntgegeben und im Dezember vorigen Jahres vollzogen. Aequita stellt mit Robert Roiger einen der Geschäftsführer in der Leverkusener TMD-Zentrale.