Zweimal wurde er gewalttätig, einmal war es nur Diebstahl. Ein 48-Jähriger hat einiges auf dem Kerbholz – und will in die Forensik.
ProzessLeverkusener stahl 14 Tafeln Schokolade aus dem Edeka – aber das ist nicht alles
Dass jemand in die geschlossene Psychiatrie will, ist eher selten vor Gericht. Dass er sich wortreich entschuldigt, vor allem aber ungefragt seine Sicht der Geschehnisse darlegt, auch. Jussuf L. (Name geändert) ist ein bisschen besonders. Der 48 Jahre alte Leverkusener ist im Moment in Untersuchungshaft, und das gefällt ihm gar nicht. Im Gefängnis bekomme er „irgendwas, was mir nicht gut tut“, sagt der Mann, der schon seit vielen Jahren unter Schizophrenie leidet. In seinem Fall kann diese Krankheit zum Problem auch für Leute werden, die ihm begegnen. Deshalb steht er vor einer Großen Strafkammer des Kölner Landgerichts.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm drei Taten binnen kurzer Zeit vor. Am Vormittag des 25. April wollte er im Edeka an der Pommernstraße 14 Tafeln Ritter Sport nebst drei elektrischen Haarschneidern stehlen. Weil er sich im ziemlich leeren Laden immer wieder umschaute, fiel er einer Verkäuferin auf. Die folgte ihm in den Gang mit Süßwaren. Als er auch dort zugriff, sei sie auf die Suche nach einer Kollegin gegangen. Unterdessen hätten sich andere Mitarbeiter den Mann gegriffen, nachdem er durch die Tür war. Im Büro der Marktleitung kamen dann die Schokolade und die Rasierer zum Vorschein. Weil der Ladendieb sich nicht ausweisen konnte, musste die Polizei kommen. Die Beamtinnen förderten dann etwas zutage, was strafrechtlich einen großen Unterschied machte: ein Brotmesser.
Problem: das Brotmesser im Turnbeutel
Das habe er auf keinen Fall als Waffe benutzen wollen, beteuert Jussuf L. – das Messer diene ihm, der längst seine Familie und inzwischen seine Wohnung verloren hat, zum Brotschneiden. In seinem Turnbeutel habe das Messer unter allerhand Krimskrams ganz unten gelegen, eingewickelt in einen Pullover, sagt er.
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Eine Polizistin hat das anders in Erinnerung, die Marktleiterin allerdings bestätigt die Aussage des Angeklagten. Aus ihrer Sicht ist der Mann ein harmloser Geselle, der den Diebstahl auch sofort zugab. Dass überhaupt die Polizei in den Opladener Supermarkt gerufen werden musste, habe nur an den fehlenden Papieren gelegen.
Im zweiten Fall war allerdings Gewalt im Spiel: Auf Gleis 1 des Opladener Bahnhofs hat Jussuf L. laut Anklage am Vormittag des 9. Juni eine Frau von hinten in den Rücken getreten, so dass sie hinfiel. Nicht schön, so an der Bahnsteigkante. Der Angeklagte verharmlost: Er habe die Frau gar nicht getroffen, sondern nur den Rucksack, den sie abgestellt hatte. Wie das Opfer das erlebt hat, soll am Donnerstag geklärt werden.
Ein Tritt mit fatalen Folgen
Die Folgen der zeitlich gesehen ersten Tat vom 9. Februar sind allerdings viel schlimmer als vermutet, stellt sich am Mittwoch heraus. An dem Abend hat Jussuf L. – das gibt er zu – auf dem Hildener Bahnhof einen Mann niedergeschlagen, ihm Handy und Portemonnaie abgenommen, mit seiner Bankkarte das Taxi nach Hause bezahlt. Was er nicht einräumt: dass er seinem Opfer ein Messer an die Kehle hielt. Das aber sagt der 44 Jahre alte Solinger. Daraufhin habe er seine Wertsachen abgegeben. Zuvor hätten sich die beiden in der S1 von Düsseldorf Richtung Solingen noch unterhalten. Der etwas verwahrlost wirkende Mann habe wohl auch unter Drogen gestanden, „ich tippe auf Heroin“. Der Solinger kann das beurteilen. Er hat selbst Erfahrung mit harten Substanzen, räumt er ein. Unterwegs habe er der Bahnhofs-Bekanntschaft schon Geld gegeben.
Umso schlimmer findet er, was dann auf dem Hildener Bahnhof geschah, wo die S1 Endstation machte an jenem Freitagabend kurz vor Mitternacht – mal wieder außerplanmäßig. Der Bahn gibt der Mann aus Solingen allerdings keine Schuld an dem Martyrium, das sich aus dem Überfall ergab: Er hatte sich zuvor bei einem Unfall zahlreiche Brüche zugezogen, unter anderem Wirbel. Um ihn für weitere Operationen zu stabilisieren, war ihm eine umlaufende Titanschiene in den Rücken gebaut worden. Die sei durch den Aufprall am Hildener Bahnhof gebrochen. Zu jener Zeit habe er auch eine Krücke gebraucht. Auch die habe ihm Jussuf L. abgenommen – wohl, um nicht verfolgt werden zu können. Mit größter Mühe habe er sich damals aufgerappelt, bis er Hilfe bekam.
Drei Wochen sei er nach dem Überfall mit unfassbaren Schmerzen herumgelaufen, berichtet der Mann; die Operation habe fünf Monate vorgezogen werden müssen. Die Folge: Über Wochen habe er sich praktisch gar nicht bewegen können. Auch jetzt bewegt sich der schmale Mann nur unsicher. Als er das so schildert und den Angeklagten ansieht, wird er ein bisschen wütend: „Du Arsch, hättest mir wenigstens den Stock da lassen können!“
An eine eigene Anzeige habe er von vornherein nicht gedacht, berichtet das Opfer. Zu holen sei bei dem Leverkusener sowieso nichts. Und: „Von Schmerzensgeld geht es mir auch nicht besser.“