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Erlösung ohne DogmaHändels „Messiah“ als Klangraum der Gegenwart im Forum Leverkusen

Lesezeit 3 Minuten
Der städtische Chor Leverkusen, Mitglieder des Abteichores Brauweiler und das Neue Rheinische Kammerorchester Köln bringen Händels „Messiah“unter der Leitung von Michael Utz eindrucksvoll zum Leuchten.

Der städtische Chor Leverkusen, Mitglieder des Abteichores Brauweiler und das Neue Rheinische Kammerorchester Köln bringen Händels „Messiah“unter der Leitung von Michael Utz eindrucksvoll zum Leuchten.

Können 250 Jahre alte Töne noch ins Heute sprechen – jenseits von Kirchenbank und Halleluja?

Wer am Sonntagabend zu Händels „Messiah“ ins Forum kommt, will wohl nicht bloß Tradition erleben – er oder sie will sich berühren lassen. Vielleicht sogar verändern. Michael Utz gelingt es gemeinsam mit einem inspirierten Solistenquartett, zwei engagierten Chören und einem Orchester, das Werk aus dem religiösen Schatten zu holen – ohne seine spirituelle Tiefe zu verlieren. Das neue Rheinische Kammerorchester Köln empfängt das Publikum mit einem Klang, der aufhorchen lässt: transparent, warm, fast körperlos. Schon in der Ouvertüre ergibt sich eine Einladung zum Dialog.

Schritte nach vorn, ein klarer Blick: Henning Jendritza, der Tenor, singt die eröffnenden Worte „Comfort ye, my people“ nicht wie ein Verkünder, sondern wie ein sensibler Erzähler. Seine Stimme ist klar und so glaubwürdig. Der Trost, den Händel vertont hat, wirkt echt. Nicht als Versprechen aus einer anderen Zeit, sondern als Angebot für das Jetzt. Schon hier lässt Dirigent Michael Utz seine Handschrift erkennen: Er legt den Fokus auf feine dynamische Abstufungen, auf emotionale Wahrheit – nicht auf barocke Effekte. Der Klang bleibt schlank, atmend, durchlässig. So gewinnt das Werk Raum – und wir gewinnen Nähe.

Händel im Forum: Wie ein moderner Kommentar zur Weltlage

Händel war ein Meister des musikalischen Theaters. Und das zeigt sich besonders eindrücklich in der Alt-Arie „He was despised“. Elvira Bill, mit dunklem, resonanzreichem Mezzo, gestaltet diesen Moment als Zentrum. Kein larmoyantes Leiden, kein melodramatisches Pathos – sondern ein aufrichtiges Portrait von Ausgrenzung, Schmerz und Würde. Wie ein moderner Kommentar zur Weltlage. Neben ihr brilliert Helena Bickel, die Sopranistin, mit einer glasklaren, mühelos leuchtenden Höhe. Ihre Arien „Rejoice greatly“ und „I know that my Redeemer liveth“ funkeln wie Lichtpunkte zwischen den Schatten des Oratoriums. Sie klingt, als sei sie selbst voller Fragen. Einmal mehr nahbar.

Auch die Solisten begeisterten mit ihren Interpretationen.

Auch die Solisten begeisterten mit ihren Interpretationen.

Der große Chor, bestehend aus dem städtischen Chor Leverkusen und Mitgliedern des Abteichores Brauweiler, verschmilzt klanglich zu einer geschlossenen Einheit. Was sofort auffällt: Hier wird nicht bloß korrekt gesungen – hier wird gestaltet. Artikulation, Phrasierung, Text – alles greift ineinander. In „And with his stripes we are healed“ entwickeln die Stimmen eine Energie, die beinahe architektonisch wirkt. Und dann, endlich: das „Hallelujah“. Die Zeilen „The kingdom of this world is become the kingdom of our Lord“ klingen hier wie eine Utopie, nicht wie eine biblische Bestätigung. Bassbariton Benjamin Hewat-Craw bringt mit „The trumpet shall sound“ ein Glanzlicht des dritten Teils. Seine Stimme: warm, geerdet, mit leuchtenden Höhen. Hier wird kein Held gefeiert, sondern eine Hoffnung: Dass Wandel möglich ist.

Dass der „Messiah“ in dieser Interpretation kein dogmatisches Glaubensbekenntnis, sondern ein musikalisches Menschenbild zeichnet, wird gerade in der zweiten Hälfte spürbar. Es geht nicht darum, wer erlöst – sondern dass Erlösung möglich ist: durch Liebe, Mitgefühl, Kunst. Im „Worthy is the Lamb“ wirkt der Chor wie eine Gemeinschaft – nicht wie ein Kollektiv. Die Stimmen verschränken sich, atmen miteinander, bauen eine Klangwelt, die groß ist und doch intim. Die Musik steigert sich nicht in Ekstase – sie versöhnt. Ein letztes Verklingen. Kein sofortiger Applaus, erst Stille. Und diese Stille sagt: Wir waren gerade irgendwo, wo Worte nicht mehr reichen. In dieser Lesart wird der „Messiah“ zum Raum für alle: Gläubige, Zweifelnde, Suchende. Wer hier nur ein barockes Monument erwartet hat, wird überrascht. Wer bereit war, zuzuhören, wurde vielleicht verwandelt.