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„Himmelfahrtskommando“Leverkusener will nach schlimmem Unfall bei Dynamit Nobel raus

Lesezeit 4 Minuten
Das Leverkusener Werk von Dynamit Nobel, aus der Luft gesehen

Aus gutem Grund liegt das Sprengstoffwerk von Dynamit Nobel im Wald.

Ein Leverkusener Facharbeiter erlitt bei einem Unfall schwere Verbrennungen. Zuvor hatte er von einem „Himmelfahrtskommando“ gesprochen.

Den 15. September 2020 wird Achim Cladders nie wieder vergessen. Es ist der Tag, an dem er auf Geheiß seiner Vorgesetzten bei Dynamit Nobel drei Glasflaschen sprengt. Darin sind jeweils zwei Liter des hochexplosiven Stoffs CHS Hexan. Cladders ist gerade in einem Bunker über eine provisorische Brandmauer aus Eisenbahnschwellen geklettert, als eine der drei Flaschen platzt und sich entzündet. Er erleidet schwerste Verbrennungen; acht Tage lang geht es um Leben und Tod in der Spezialklinik für Verbrennungsopfer in Köln-Merheim.

Erst nach zwei Monaten kann er das Krankenhaus verlassen. Aber bis heute lässt ihn das Geschehen nicht mehr los. Mehr als ein Jahr war Cladders krankgeschrieben – und nicht lang, nachdem die schrittweise Wiedereingliederung an seinem Arbeitsplatz im Sprengstoffwerk einigermaßen gelungen war, passierte wieder etwas. Ein Kollege sei bei einem Einsatz verletzt worden; „der stand zwei Meter neben ihm“, berichtet am Freitag seine Frau Sabine.

Deshalb sieht sich der Facharbeiter nicht mehr in der Lage, seinen Job zu machen. Er will 'raus, aber Dynamit Nobel sperrt sich. Deshalb geht es am Freitag vor das Arbeitsgericht in Opladen. Zum Gütetermin, bei dem Richterin Annegret Haves viel Verständnis für die Forderungen von Rechtsanwalt Peter Orlowski erkennen lässt, der Cladders vertritt und für seinen Mandanten mindestens 50.000 Euro Schmerzensgeld fordert. Und eine Regelung, die ihn einigermaßen schadlos zum Rentner werden lässt.

„Werden Sie bitte wach und lassen Sie das sein mit der zweiten Sprengung!“
Achim Cladders zum Sicherheitschef von Dynamit Nobel

Das Schlimme aus Cladders’ Sicht: Die Katastrophe, die den heute 60-Jährigen bis an sein Lebensende zeichnen wird, war eine mit Ansage. Schon einen Tag zuvor war er gegen schwerste Bedenken gedrängt worden, einen großen Kanister mit sechs Litern derselben selbstentzündlichen Substanz zu sprengen. Das machte er schließlich.

Die Reaktion sei gewaltig gewesen: „Eine bestialische Explosion“, wie er sie in 30 Jahren Umgang mit Sprengstoff „noch nie erlebt“ habe, so seine Schilderung. In einer E-Mail spricht der Sicherheitsexperte später sogar von einem „Himmelfahrtskommando“. Deshalb habe er dem damaligen Sicherheitschef gesagt: „Werden Sie bitte wach und lassen Sie das sein mit der zweiten Sprengung!“ Gehört wurde er nicht.

Das Problem: Der Stoff war offenbar 15 Monate lang vorschriftswidrig am falschen Ort gelagert worden. Doch die insgesamt vier Behälter mit zwölf Litern CHS Hexan wurden dann nicht auf dem dafür vorgesehenen Brandplatz gesprengt und somit unschädlich gemacht. So hatte es laut Aussage von Achim Cladders ein fachkundiger Kollege vorgeschlagen.

Eine Katastrophe mit Ansage

Auch der sei nicht gehört worden. In der hochrangig besetzten Runde, die eilends nach der Entdeckung der vier überlagerten Behälter bei Dynamit Nobel einberufen wurde, sei die Sorge geäußert worden, dass der unvermeidliche Knall und der Rauch „negative Aufmerksamkeit in der Nachbarschaft hervorruft“: Das Wohngebiet auf der Bullenwiese ist nicht weit entfernt. So fasst Cladders’ Anwalt Orlowski die Erinnerung seines Mandanten zusammen.

Stattdessen wurde die hochgefährliche Substanz zu einem näher gelegenen Sprengbunker gebracht. Obwohl es erhebliche Sicherheitsbedenken gab. Cladders, der einen Sprengstoff-Befähigungsschein hat, hält diese Lösung sogar für verboten. Aber er sei genauso wenig gehört worden wie der Leiter der Werksfeuerwehr bei Dynamit Nobel: Dieser soll gesagt haben, die Entsorgung der vier offenbar im Lösungsmittellager vergessenen Behältnisse sei Sache des Kampfmittelräumdienstes.

Das aber hätte bedeutet, die benachbarte Bahnstrecke zu sperren und das Gewerbegebiet am Hornpottweg zu evakuieren. Einschließlich des Gartencenters. Zu teuer habe das der Leiter des Forschungsprojekts gefunden, in dessen Rahmen das Hexan offenbar vergessen wurde.

Sein Mandant sei „das schwächste Glied in einer Organisationskette, der seinen Kopf hinhalten musste. Die Verantwortlichen der Beklagten haben in Kauf genommen, dass die Sprengung misslingen und der Kläger dabei verletzt werden kann“. So fasst es Anwalt Orlowski zusammen. Deshalb müsse Dynamit Nobel für die Folgen wenigstens finanziell gerade stehen.

Gutachter sieht keine Fehler

Dort glaubt man auch nicht, dass Cladders, der seit 1988 bei Dynamit Nobel ist, noch im Sprengstoffwerk arbeiten kann. Allerdings sei seine Darstellung – für ein Opfer verständlich – überzogen: Aus einem Gutachten, das nach dem schweren Unfall von der Aufsichtsbehörde – das ist die Kölner Bezirksregierung – bestellt wurde, gingen keine Fehlleistungen hervor. Darauf pocht der Anwalt des Unternehmens.

Klar ist aber, dass sich die Wege von Cladders und Dynamit Nobel trennen werden. Unter welchen finanziellen Bedingungen, das wird in den kommenden Wochen besprochen.