AboAbonnieren

Creditreform bilanziert erstes HalbjahrRund um Leverkusen bahnt sich eine Pleitewelle an

Lesezeit 4 Minuten
Es ist das Ende einer langen und äußert wechselhaften Geschichte. Das Modehaus „Aachener“, das zuletzt noch im Erdgeschoss des ehemaligen Kaufhof-Gebäudes in der Wiesdorfer Fußgängerzone geöffnet hatte, ist geschlossen.

Symbol für den wirtschaftlichen Niedergang: Das Modehaus „Aachener“ überlebte im früheren Leverkusener Kaufhof nur einige Monate.

Die Zahl der Insolvenzen ist deutlich gestiegen. Bei den „stillen Pleiten“ sieht es noch schlechter aus.

Wird die Konjunkturflaute von einer regionalen Pleitewelle begleitet? Im Moment sieht es danach aus, berichten Ole Kirschner und Kurt Ludwigs von Creditreform in Solingen. Denn bis Ende Juni wurden in der Region zwischen Leverkusen, Solingen und Remscheid 151 Insolvenzverfahren verzeichnet. Bliebe es so, ständen zum Jahresende über 300 Firmenpleiten in der Statistik. Im Vergleich zu 2023 wäre das ein Zuwachs von mehr als 37 Prozent.

Das wäre – verglichen mit dem ganzen Land und Nordrhein-Westfalen – allerdings immer noch wenig: Gerechnet auf 10.000 Unternehmen beträgt die Zahl der Pleiten 45. In NRW liegt dieser Wert bei 92, in ganz Deutschland bei 71. In Leverkusen sieht es allerdings nicht so gut aus: Die Insolvenzquote pro 10.000 Firmen liegt hier nach der Creditreform-Kalkulation bei 60; übertroffen wird sie nur in Hückeswagen, wo der Wert 61 beträgt. Solingen (mit 46) und Remscheid (mit 36) stehen weitaus besser da. Leichlingen verzeichnet mit 18 die niedrigste Quote im Städtedreieck zwischen Rhein und Bergischem Land, Burscheid liegt bei 37.

Die „Vermögensauskunft“ zeigt ein alarmierendes Bild

Was nicht in der Insolvenzstatistik steht: die „Vermögensauskunft“, früher „Offenbarungseid“ genannt. In diesem Bereich sind die Zahlen erschreckend: Im ersten Halbjahr hat Creditreform im Gebiet um die Großstädte Leverkusen, Solingen und Remscheid 936 dieser nicht-öffentlichen Verfahren gezählt. Hochgerechnet auf das Gesamtjahr erwartet die Wirtschaftsauskunftei somit 1872 Vermögensauskünfte. Das wäre gegenüber 2023 ein Zuwachs von 54 Prozent.

Bei den „stillen Pleiten“ zeigt sich ein ganz anderes Bild als bei den Unternehmensinsolvenzen. Hier steht Solingen in der Region am schlechtesten da: In Relation zu den in ihrer Stadt Unternehmen seien dort die meisten stillen Pleiten zu verzeichnen, nämlich 245. Den vorletzten Platz unter den elf Städten der Region belegt in dieser Statistik Leichlingen. Hier haben 2024 bisher 37 Unternehmer oder ehemalige Unternehmer die Vermögensauskunft abgegeben oder sind hierzu aufgefordert worden. Remscheid steht mit 148 Vermögensauskünften auch nicht gut da, Leverkusen verzeichnet 213 bisher stille Pleiten, was im Vergleich zur Größe kaum besser ist.

Burscheid hingegen steht mit 16 Vermögensauskünften bisher sehr gut da, weniger gab es im Vergleich zur Größe nur noch in der Nachbarstadt Wermelskirchen. Besonders Insolvenz-anfällig ist wiederum die Bauwirtschaft, während sie in der Industrie stark zurückgegangen ist und unter dem Durchschnitt liegt. „Stille Pleiten“ sind ebenfalls vor allem am Bau ein Problem, auch der Handel ist anfällig.

Bisher keine ganz großen Pleiten

Große Pleiten hat es in der Region in diesem Jahr noch nicht gegeben; in Leverkusen stechen der Spezialist für Sprühtrocknung, Powder Tec , mit 46 Beschäftigten heraus, außerdem die RL Heinzelmännchen Seniorenbetreuung mit einer 99 Köpfe zählenden Belegschaft sowie die Abwicklung GmbH, die sich der Vorbereitung auf die MPU verschrieben und 78 Mitarbeiter hat.

Auch in ganz Deutschland hat sich die Zahl der Insolvenzen deutlich erhöht: Bis Ende Juni wurden 11.000 verzeichnet; das sind fast 30 Prozent mehr als im ersten Halbjahr von 2023, in dem 8470 Firmen zahlungsunfähig wurden. Auch das war ein deutlicher Anstieg von gut 17 Prozent, sodass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen den höchsten Wert seit 2015 erreichte. Da waren es bis Jahresmitte 11.530. Die Insolvenzzahlen bei privaten Verbrauchern stiegen im 1. Halbjahr 2024 auf 35.400 Fälle. Das entspricht einem Plus von knapp sieben Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

In den beiden Jahren davor waren es jeweils weniger. Damit liege die Zahl der Verbraucherinsolvenzen über dem Niveau vor der Corona-Pandemie, unterstreichen Ole Kirschner und Kurt Ludwigs von Creditreform Solingen. Den derzeitigen Anstieg erklären sie mit der Inflation und der Zinswende, aber auch mit der die Novelle des Verbraucherinsolvenzrechts Ende 2020: Diese ermöglicht es Privatpersonen, schneller von Restschulden befreit zu werden.

Die Zahlen von Creditreform Solingen erlauben auch Aussagen darüber, wann Unternehmen pleite gehen. Während es in den ersten Jahren meist noch gut läuft, sind das dritte und vierte Jahr besonders kritisch für ein Unternehmen. Stabilität stelle sich indes erst nach einem Jahrzehnt ein. Das betreffe auch die „stillen Pleiten“.