Nadine Melzer und Thomas Schöneborn stellen das Filmprogramm des Opladener Scala-Kinos zusammen und geben Einblick in ihre Arbeit.
Programmplaner des Opladener Scala-Kinos„Filmegucken ist ziemlich harte Arbeit“
Seit gut 15 Jahren gibt es in Opladen das Scala-Kino an der Uhlandstraße. Während der lange zuvor geschlossene Vorgänger ein normales Lichtspieltheater gewesen war, ist das Scala ein Programm- und Arthouse-Kino. Sprich: Hier werden vor allem Filme der Kategorie „wertvoll“ abseits des Mainstreams der großen Multiplexe gezeigt. Verantwortlich für das Programm sind dabei Nadine Melzer und Thomas Schöneborn, die für ihre Arbeit bereits zahlreiche Auszeichnungen bekamen – zuletzt, im November 2023, den Kinoprogrammpreis NRW. Zeit also für ein Gespräch über das Scala und den Alltag als Programmplanerin und -planer.
Frau Melzer, Herr Schöneborn, Sie sagten eben bei der Begrüßung, dass Sie derzeit auf hoffentlich gute Nachrichten warten. Was meinten Sie damit?
Nadine Melzer: Wir hoffen gerade noch auf eine neue Bestuhlung für Kino 1 – und warten dafür noch auf die Bewilligung einer Förderung.
Thomas Schöneborn: Den Antrag dafür haben wir bereits Anfang März 2023 gesellt. Es geht um das Förderprogramm „Zukunftsprojekt Kino“. Das umfasst Sondermittel des Bundes. Aber bis jetzt gab es noch keinen Bescheid für uns – was schon sehr ungewöhnlich ist, denn wir haben uns gleich am ersten Tag der Bewerbungsphase beworben.
Ist das nun einfach deutsche Bürokratie – oder gar fehlende Wertschätzung auf Seiten der öffentlichen Hand?
Thomas Schöneborn: Reine Bürokratie. Wenn man nicht sofort an Tag eins seinen Antrag einreicht, dann ist das Volumen ausgeschöpft. Das Problem bei uns ist zudem: Wir haben noch andere zweckgebundene Mittel, die wir in diese neue Bestuhlung stecken wollen. Solange das Geld aus dem erwähnten Fördertopf, das wir zum Loslegen brauchen, aber nicht da ist, können wir auch die anderen Mittel nicht abrufen. Und wenn wir sie nicht abrufen, dann drohen sie zu verfallen.
Nadine Melzer: Sie sehen: Derzeit ist es für uns jeden Tag ein Thriller, zum Briefkasten zu gehen. (lacht)
In der Tat. Eigentlich dachte ich ja, dass Sie sich als Programmleitende eines Kinos zuvorderst um – eben – das Programm kümmerten. Sprich: Filme schauen.
Thomas Schöneborn: Wissen Sie: Ein Kino-Kollege von mir hat mal gesagt: „Die Programmplanung nimmt eigentlich nur zehn Prozent unserer Zeit ein.“ Das stimmt zwar nicht so ganz. Aber im Grunde genommen hat er damit schon recht. Im Kino fällt definitiv noch genug Büroarbeit an, die gemacht werden muss. Das Filmegucken macht da nur einen kleinen Teil aus.
Dann nehmen Sie uns doch mal mit: Wie sieht nun der Alltag eines Kino-Programmplaners aus – abgesehen vom Bürokram?
Thomas Schöneborn: Erstens gehen wir Listen mit Starttermine durch und prüfen, welche Filme wann anlaufen. Zweitens bieten uns Verleihfirmen Filme an. Und drittens fahren wir regelmäßig zu großen Festivals wie etwa der Berlinale oder der Filmkunstmesse, um zu schauen, welche Filme dort gezeigt werden und interessant für uns sein könnten.
In den großen Multiplex-Kinos bestimmen die Blockbuster das Programm. Welche Kriterien aber spielen in einem Programmkino wie dem Scala bei der Auswahl der Filme eine Rolle?
Nadine Melzer: Viele Programmplanerinnen und -planer – so auch wir – entscheiden sich gerne nach Regisseurinnen und Regisseuren. Das beste Beispiel für so eine Regie-Entscheidung im vergangenen Jahr: Wir haben „Barbie“ von Greta Gerwig ins Programm genommen. Denn für uns war es einfach spannend, diese Indie-Regisseurin, die im Mainstream noch nicht so vertreten uns aber bekannt war, mit diesem Stoff im Programm zu haben. „Barbie“ hatten wir auch zuvor nicht gesehen – und sind nun sehr froh, uns trotzdem dafür entschieden zu haben.
Und was war mit dem anderen Erfolgsfilm aus 2023, „Oppenheimer“? Den haben Sie nicht gezeigt.
Thomas Schöneborn: Den haben zwar auch viele Programm- und Arthouse-Kinos wie wir gespielt. Aber: Wir haben uns trotzdem explizit dagegen entschieden, damit wir neben „Barbie“ noch Platz für kleinere Filme haben.
Ist diese Risikofreudigkeit, die Sie im Falle von „Barbie“ an den Tag legten, letztlich auch Voraussetzung für die Auszeichnungen, die Sie für das Scala-Programm gefühlt regelmäßig einheimsen?
Nadine Melzer: Das kommt darauf an: Wir bekommen unsere Auszeichnungen ja nicht für einzelne Filme, sondern meist speziell für unseren europäisch-deutschen Programm-Anteil. Und für unser gut aufgestelltes Kinderprogramm, das wir in den vergangenen Jahren forciert haben und auch weiter vorantreiben wollen. Es geht schließlich darum, die nächste Generation abzuholen und mitzunehmen. Und sowas wird dann auch gerne prämiert.
Wie schwer ist das, dieses Abholen und Mitnehmen der Jugend?
Nadine Melzer: Schwer. (lacht)
Sie meinen: Die „Generation Tik Tok“ mit einer Vorliebe für rasende Fünf-Sekunden-Video-Schnipsel, einer Aufmerksamkeitsspanne jenseits von Gut und Böse und dem obligatorischen Netflix-Abo lässt grüßen?
Thomas Schöneborn: Genau. Deshalb liegt unser Fokus seit jeher auch schon eher auf dem Grundschulalter. Also auf noch jüngeren Kindern. Denn da fängt es an mit dem Interesse für Filme. Wenn wir hier eine Grundschulklasse im Kino sitze haben, dann geht die ab wie nix. (lacht)
Nadine Melzer: Ja. Das ist jedes Mal ein wunderbares Erlebnis. Kinder haben eine unheimliche Spannung und Vorfreude.
Thomas Schöneborn: Am ehesten und besten weckt man in diesem Alter die Begeisterung fürs Kino – damit es später eben nicht zu genau solchen Dingen kommt.
Desinteresse, fehlende Geduld, und so weiter.
Thomas Schöneborn: Genau. Man kann ja sogar noch früher ansetzen.
Nadine Melzer: Was wir auch tun: Wir wollen uns zukünftig – zunächst einmal testweise – einer Initiative anschließen, bei der es um Filme für Kinder im Vorschulalter geht. „Maxis Kino-Abenteuer“. Das ist quasi der erste Kinobesuch – verteilt auf vier Termine über ein Jahr, bei denen die Kinder mit Kurzfilmen und entsprechender Moderation den, wenn man so will, „Raum Kino“ erklärt bekommen. Sprich: Die Kinder sollen von klein auf Kino kennenlernen. Und sie sollen lernen, sich auf Filme einzulassen. Filme wirklich zu lesen. Denn letztlich ist das Schauen von Filmen ja irgendwie auch wie das Lesen von Büchern. Der Film ist heutzutage ein Hauptmedium. Und hier können die Kinder dann lernen, damit umzugehen – ohne Handy parallel dazu.
Wie sieht denn generell die Altersstruktur Ihrer Gäste aus?
Thomas Schöneborn: Überwiegend haben unsere Gäste das Alter 40 plus – und sind in der Mehrzahl weiblich. Da ist die Lage in einer Großstadt wie Köln schon nochmal anders. Da kommen mehr jüngere Leute.
Nadine Melzer: Bei Filmen wie „Barbie“ sehen wir: Das Publikum – auch das jüngere – ist durchaus da. Auch hier in Leverkusen. Aber es lassen sich immer noch nicht alle darauf ein.
Thomas Schöneborn: Es kommt sogar immer noch vor, dass Leute zum ersten Mal zu uns kommen – Leute aus Leverkusen wohlgemerkt – und hinterher fragen: „Wahnsinn! Wie lange gibt es Euch denn schon wieder hier? Uns war gar nicht bewusst, dass das Kino wieder da ist!“ Die haben die letzten 15 Jahre gar nicht mitbekommen!
Wie ist so etwas zu erklären?
Nadine Melzer: Für diese Leute ist das Scala seit der Schließung damals wahrscheinlich einfach ein Club. Ein Musikclub. Aber kein Kino mehr. Und diese Wahrnehmung liegt wiederum vielleicht daran, dass die Leute vor dem Kinobesuch immer sofort nur nach den großen Filmen gesucht haben – und nach Kinos, in denen diese gezeigt werden. Und in Leverkusen landet man in so einem Fall dann eben zuerst mal beim Kinopolis.
Das ist eine Herausforderung für Sie und Ihr Programm. Was muss man als Programmleitender denn genau sein – ein Trüffelschwein mit Film-Gespür?
Thomas Schöneborn: Man muss ein Gespür dafür haben, was funktionieren könnte und neben hiesigen auch die Berichterstattung der internationalen Filmfestivals wie in Venedig oder Cannes verfolgen – wo ich übrigens noch nie war. Man muss außerdem Filmliebhaber sein – ohne das kann man kein Kinoprogramm planen. Und: Man muss Kenntnis übers eigene Publikum haben – da ist das tägliche Feedback enorm wichtig. Wenn die Leute merken „Ah, da laufen immer Filme, die mich interessieren“, dann kommen sie auch wieder. Ganz einfach.
Und wie viele Filme müssen Sie für ihren Job pro Woche anschauen?
Nadine Melzer: Um ein „pro Woche“ geht es da eigentlich gar nicht.
Sondern?
Nadine Melzer: Das meiste kommt geballt bei der Filmkunstmesse und der Berlinale auf einen zu. Da ist es dann meist so, dass du innerhalb von sieben Tagen 30 Filme durchkloppst. Und das ist schon extrem. (lacht) Es kommt in diesem Fall aufs persönliche Energielevel an. Das bestimmt, wie gut man dieses Pensum schafft. Manche Freundinnen und Freunde sagen mir in solchen Fällen ja stets aufs Neue: „Wie toll, Nadine! Du fährst dahin – und siehst eine Woche lang nur Filme! Das ist ja ein Riesenspaß!“ Ich antworte dann immer: „Leute, das ist kein Spaß. Filmegucken ist ziemlich harte Arbeit!“ Arbeit mit Programmheft und Notizblock. (lacht)
Thomas Schöneborn: Ich kann aus Erfahrung bestätigen: Nach dem fünften Film am Tag sitzt du abends da und weißt erstmal gar nicht mehr, was du da alles gesehen hast.
Zum Schluss mal die Hand aufs Herz: Wie oft müssen Sie als Programmplanende und Filmfans ihre persönliche Eitelkeit und einen möglichen Drang zum Missionieren außen vor lassen – und eben nicht nur Ihre eigenen Lieblingsfilme ins Programm nehmen, mit denen Sie andere Menschen unbedingt begeistern wollen?
Nadine Melzer: Man muss manchmal schon aufpassen... Praktischerweise bekommen wir solche persönlichen Lieblingsfilme zumindest ab und zu in unserer Einzelrubrik „Film des Monats“ unter. (lacht) Aber im Ernst: Man darf nie vergessen: Wir kuratieren ja nicht für uns. Sondern für unser Publikum.