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„Menschen im Hotel“Realität und Selbstwahrnehmung verschwimmen an Leverkusener Schule

Lesezeit 3 Minuten
Die Wege unterschiedlicher Charaktere kreuzen sich im Berliner Grandhotel der Fünfziger.

Die Wege unterschiedlicher Charaktere kreuzen sich im Berliner Grandhotel der Fünfziger.

Die Freie Theatergruppe des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums verabschiedete ihre langjährige Leiterin.

Mit der Inszenierung von „Menschen im Hotel“ nach dem Roman von Vicky Baum verabschiedet sich Regisseurin Edith Englich, die langjährige Leiterin der Freien Theatergruppe des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums, von der Aula-Bühne. Fast drei Jahrzehnte prägte sie die Gruppe aus aktuellen und ehemaligen Schülern, die sie aufgebaut hat. Diese letzte Inszenierung zeigt ihr außergewöhnliches Gespür für dramatische Spannung und psychologische Tiefe.

„Hallo, hier Grandhotel, ich verbinde“, geht der Portier ans ununterbrochen klingelnde Drehscheibentelefon. Viele Charaktere treffen im Berliner Luxushotel der 50er-Jahre aufeinander. Und alle Menschen versuchen, Beziehungen aufzubauen, die aber von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Die Frage nach der Realität durchzieht das Stück wie ein roter Faden. Viele Situationen, in denen es auf die subjektive Wahrnehmung ankommt, ergeben sich: Die Charaktere leben in ihren eigenen Parallelwelten, geprägt von Erfahrungen, Gedanken und Emotionen, die sie zunehmend von der gesellschaftlich anerkannten Realität entfernen.

Am 6. und 9. September wird das Stück aufgeführt.

Am 6. und 9. September wird das Stück aufgeführt.

Besonders deutlich wird dieser Realitätsverlust bei der alternden Balletttänzerin Madame Grusinskaja, die von Kaja Sonneborn eindrucksvoll verkörpert wird. Ihr instabiler Gemütszustand und ihre wechselhaften Emotionen führen dazu, dass selbst kleinste Trivialitäten in ihren extremen Reaktionen auslösen: „Assez! Genug!“ Ihre Überzeugung, nie wieder erfolgreich sein zu können, spiegelt ihren tiefen inneren Bruch wider. Grusinskajas verzweifelter Wunsch, das Tanzen aufzugeben, ist nicht nur Ausdruck ihrer Lebensmüdigkeit, sondern auch ein erschreckendes Zeichen dafür, wie weit sie sich bereits von der Realität entfernt hat.

Auch der Generaldirektor Preysing, dargestellt von Hendrik Wiegand, kämpft mit einem verzerrten Bild der Wirklichkeit. Sein zwanghaftes Festhalten an der Illusion eines ehrbaren Kaufmannes, die er sowohl sich selbst als auch anderen aufzudrängen versucht, verdeutlicht seinen schleichenden Realitätsverlust. Während er in betrügerische Machenschaften verwickelt ist, sieht er sich weiterhin als aufrichtigen Geschäftsmann – ein Selbstbild, das in krassem Gegensatz zu seinem tatsächlichen Verhalten steht.

Ein weiteres tragisches Beispiel für das Leben in einer realitätsfernen Parallelwelt ist der vom Leben gezeichnete Dr. Otternschlag, gespielt von Jasper Hutten. „Ist Post für mich angekommen?“ Seine tägliche Frage an der Rezeption, ist mehr als ein Routineakt – es ist der verzweifelte Versuch, in einer Welt, die ihn längst vergessen hat, eine Bedeutung zu finden. In Edith Englichs Inszenierung werden die Schicksale dieser Figuren unaufhaltsam miteinander verknüpft, bis die Spannungen zu einem explosiven Finale führen. Das Stück zeigt eindrucksvoll, wie gefährlich es sein kann, die eigene Realität zu weit von der gesellschaftlich anerkannten Version abdriften zu lassen. Die Folgen dieser Abkapselung sind Einsamkeit und Ausgrenzung.


Die Aufführungen: Am 6. und 9. September in der Aula des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums an der Morsbroicher Straße 77.