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Vermittlung von DemokratieverständnisEine Stadt, in der die Kinder regieren

Lesezeit 4 Minuten

Großinvestor Rotheburg muss sich öffentlich den Fragen der Kinder stellen und steht bald im Kreuzfeuer der Kritik.

Leverkusen – Es ist schon der vierte Einsatz der kinderstädtischen Feuerwehr – das Schild der Pizzeria zwei Gassen weiter ist heruntergefallen. Nun muss die Feuerwehr mit der Leiter ausrücken, um alles wieder zu richten. Schon am Montag war die Kirchenglocke kaputt gewesen, weshalb das Ordnungsamt kommen musste, damit die Feuerwehr die Glocke abnehmen und abtransportieren konnte.

Für sechs Tage wird die Turnhalle der Marienschule in Opladen in eine Stadt verwandelt, gestaltet wird das städtische Leben von 200 Kindern zwischen acht und zwölf Jahren. „Das Projekt soll Demokratieverständnis vermitteln und das Verständnis für gesellschaftliche Zusammenhänge fördern“, erklärt Marie Lavall, Projektleitung der Kinderstadt und ehrenamtliche Diözesanleiterin bei der Katholischen Jugendgemeinde (KjG).

Meisterprüfung mit Zertifikat

Wie in einer echten Stadt gibt es auch in der Kinderstadt Betriebe, Banken, Ämter, Kultur- und Freizeitangebote und politische Gremien. Bei der Agentur für Arbeit holen sich die Kinder morgens ihre Betriebskarten ab und beginnen ihre Arbeit.

Ein Blick in die Redaktion des Kinderstadt-Anzeiger.

Verbringen die Kinder sechs Stunden am Stück in einem Betrieb, können sie eine Meisterprüfung ablegen und erhalten ein Zertifikat. Wechseln die Kinder ihre Arbeitsstelle häufiger, können sie ein „Multitalent“ werden. „Die Kinder sollen ermutigt werden, aus gesellschaftlich vorgegeben Rollen rauszugehen und Neues auszuprobieren. Mädels können zum Beispiel eine Stunde in der Werkstatt arbeiten und schauen, ob es ihnen gefällt. Uns ist die Geschlechtergerechtigkeit sehr wichtig“, erzählt Lavall.

Ihren Lohn können sich die Angestellten stündlich abholen: Zehn Tacken pro Stunde beträgt der Lohn abzüglich zwei Tacken Steuern. Euros sind in der Kinderstadt wertlos. Von ihrem verdienten Geld können die Kinder ins Theater gehen, wo eine neue Interpretation von Schneewittchen aufgeführt wird, Pizza essen oder im Beauty-Salon eine neue Frisur erhalten.

Erwachsene dürfen als Touristen die Kinderstadt im Bus besichtigen.

„Die Kinder legen die Preise morgens fest. Es gibt außerdem eine Inflationsrate, die beachtet werden muss, so dass die Kinder gut überlegen müssen, wie sie haushalten, damit der Betrieb nicht pleite geht. Und die Angestellten müssen schließlich auch bezahlt werden“, erläutert Lavall. Auch eine Tageszeitung, ein Kinderstadt-Fernsehen und ein Radio existieren in der Kinderstadt und sind bei wichtigen Ereignissen mit dabei.

Wahl eines Bürgermeisterpaares

Damit das Zusammenleben in der Kinderstadt gut funktioniert, gibt es ein Grundgesetz und Stadtregeln, auch ein Bürgermeisterpaar wird gewählt. Jeden Nachmittag stellt das Parlament Vorschläge vor, über die gemeinsam abgestimmt wird. „Basisdemokratische Partizipation und Teilhabe am Geschehen wird hier groß geschrieben“, erklärt Lavall.

Für Empörung unter den Bewohnern der Kinderstadt sorgte derweil der Großinvestor Herr Rotzeburg. Vor dem Rat aller Kinder stellte er sein Vorhaben vor. „Ich finde die Vergabe der Arbeitsplätze sollte nach Qualifikation passieren und nicht mehr danach, wer zuerst in der Schlange steht. Nicht jeder ist für alles geeignet und manchmal ist das Leben unfair und man muss einsehen, dass nicht alles machbar ist“ sagt Rotzeburg und erntete laute Buh-Rufe.

Wieder einmal muss die Feuerwehr zu einem Einsatz fahren.

Die elfjährige Fiona hält nichts von der Idee. „Das ist doch blöd, die Kinderstadt ist dazu da, dass man Dinge ausprobieren kann. Woher soll man denn wissen, dass man nicht für einen Beruf geeignet ist“, beschwert sie sich. Ihr Arbeitskollege aus der Malerei, Jan Wilhelm, stimmt ihr zu. „Wenn diese Regel geändert wird, sind nicht mehr alle Kinder gleichberechtigt“, findet er. Der Ärger über Rotzeburg ist Stadtgespräch und findet Ausdruck in einer stadtweiten Unterschriftenaktion gegen ihn.

Rund 100 Helfende

Insgesamt 101 ehrenamtliche Helfende wirken bei dem Projekt mit. Zum vierten Mal findet das Projekt bereits statt, in den Jahren zuvor in Neuss, Hilden und Bergisch Gladbach. Eineinhalb Jahre im Voraus beginnen die Ehrenamtlichen mit der Planung. „Wegen des großen Aufwands findet die Kinderstadt nur alle drei Jahre statt“, erklärt Lavall. Da die Teilnehmenden nicht nur aus Leverkusen kommen, besteht zudem für 130 Kinder die Möglichkeit in den Klassenzimmern zu übernachten.

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Noch bis Freitag kann die Kinderstadt besichtigt werden. Da Erwachsene sich nicht frei in der Stadt bewegen dürfen, werden an der Touristeninformation Touren durch die Stadt im selbst gebauten Tourbus angeboten, die täglich zwischen 9 und 12.15 Uhr und 14 bis 17 Uhr stattfinden.