Weihnachten nicht alleinSo helfen Leverkusener einsamen Menschen
Leverkusen – Das Fest der Liebe, das Fest des Zusammenkommens, das Fest der Familie. Das bedeutet Weihnachten für viele Menschen. Aber längst nicht für alle: Wir haben uns mit Leverkusenern unterhalten, die den Abend des 24. Dezember alleine verbringen, die viel investieren, um genau das zu verhindern – und die ihr privates Fest opfern, um fremden Menschen ihre Einsamkeit zu nehmen.
„Es ist mir einfach unangenehm, dass ich Weihnachten allein sein werde“, sagt Hannah. Hannah möchte anonym bleiben, deshalb haben wir ihren Namen geändert. „In den vergangenen Jahren habe ich mit Freunden oder mit meiner damaligen Freundin und ihrer Familie gefeiert“, erklärt sie. „Jetzt bin ich getrennt und meine Freunde haben sich schon verabredet oder wollen bewusst allein sein.“ Wenn Hannah an den 24. Dezember denkt, ist sie „traurig mit verstärktem Liebeskummer“ – und enttäuscht von ihren Freunden.
Suche nach Alternativen
Auch Christine Neumann kann dieses Jahr an Weihnachten nicht bei ihren Liebsten sein. Das allerdings hat zeitliche Gründe: „Ich habe meinem Sohn versprochen, sein Zimmer zu renovieren.“ Das macht sie an Weihnachten, der Kleine besucht parallel seine Großeltern. Von ihrer Familie in Leverkusen wurde sie nicht eingeplant, denn üblicherweise feiert sie mit Ihrem Sohn. Neumann war beim Gedanken an einen einsamen 24. Dezember „ein bisschen schockiert“, sie war „noch nie an Weihnachten alleine“ – und wollte es auch in diesem Jahr nicht sein. So begann die Suche nach Alternativen.
„Es ergab sich erstmal nichts“, erklärt die 42-Jährige – und kam irgendwann „aus dem Bauch heraus“ auf die Idee, selbst einen Abend für Alleinstehende zu organisieren. „Vielleicht finden sich ein, zwei Leute“, dachte Neumann, als sie einen Facebook-Aufruf startete. Auf ihren Beitrag reagierten Hunderte Menschen, gleich 17 Leute hatten konkretes Interesse, an dem Abend teilzunehmen. Die fünf Ersten hat sie nun eingeladen. Neumann bot an, ihre Gäste zu bekochen.
Da es finanziell bei ihr „aktuell etwas eng“ ist, bat sie, jeweils einen Kostenanteil von sieben Euro zu übernehmen. Daraufhin gab es „zahlreiche Spendenangebote“: „Das Geld habe ich teilweise nicht angenommen, aber das ein oder andere Tränchen rollte über meine Wange.“ Die Reaktionen waren überwältigend – und so plant Neumann nun, ein regelmäßiges „Leverkusener Dinner“ einzurichten. Zum Kochen, Kennenlernen und Erzählen – „unabhängig von Feiertagen“. Starten soll es im Februar. Der 24. Dezember ist dafür ein „Probelauf“.
Konflikt vor Weihnachten
Die Vorweihnachtszeit des Jahres 1971 war in der evangelischen Bielertkirche in Opladen konfliktgeladen: Jugendliche waren unglücklich mit der Kommerzialisierung des Festes, der Weihnachtsbaum als dekadentes Symbol einer egoistischen Heiligabend-Kultur solle abgeschafft werden, forderten sie – um mit dem eingesparten Geld eine Weihnachtsfeier für all jene zu finanzieren, die sonst keine haben.
Ersteres fand keinen Zuspruch, trotzdem hatte der Protest einen erheblichen Effekt: Seit dem Jahr 1972 richtet die Kirche jedes Jahr „Heiligabend nicht allein“ aus. „Das ist in Leverkusen einmalig“, sagt Ellen Wolter, die Organisatorin der Aktion. In den 1990er-Jahren, als ihre drei Kinder im Teenager-Alter waren, hat sie den ökumenischen Abend selbst ausgerichtet – mit Weihnachtsgeschichte, Hühnersuppe und jeweils 25 bis 40 Menschen, die Weihnachten dank des Angebots nicht alleine verbringen mussten. Für sie und ihre Kinder war das „sehr erfüllend“.
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Dieses Jahr wird der Abend ab 19 Uhr von Bernhard Steinacker, der seit Jahrzehnten am 24. Dezember dabei ist, gemeinsam mit vier Helferinnen ausgerichtet. Mit einer Anmeldung beim Gemeindeamt kann jeder, der will, teilnehmen – ob evangelisch, katholisch oder konfessionslos. Die VR-Bank hilft bei der Finanzierung, die Weinkette „Vom Fass“ spendet Apfelsaft. Auch ein Baum wird aufgestellt – und trotzdem dürfte der Abend im Sinne derjenigen sein, die vor fast 50 Jahren ihre Stimme für eine andere Weihnachtskultur erhoben haben. Wolter glaubt: „Im Familienverbund denkt man oft viel zu wenig daran, wie es anderen geht.“ Nicht jeder müsse seine Weihnachtstraditionen umkrempeln, sagt sie, aber „vielleicht sollten wir am 24. Dezember einfach mal beim Nachbar vorbeigucken und schauen, wie es ihm geht“.
Mit seiner Familie organisiert auch Joachim Peer Schweden in diesem Jahr zum dritten Mal eine Weihnachtsfeier – für jede und jeden. Er hat festgestellt: „Es gibt in Leverkusen viele Menschen, die alleine sind und Kontakt suchen.“ Am 25. Dezember gibt es bei ihm ab 18 Uhr „Bockwurst und Kartoffelsalat“, schon zum dritten Mal in Folge. „Weihnachten in Schweden“ nennt er die Aktion in Anspielung auf den Familiennamen. Der Gastgeber meint: „Wir sollten immer offen aufeinander zugehen, nicht nur an Weihnachten. Bei dem Menschen, der an Weihnachten geboren ist, haben wir das nicht gemacht.“
Keine Option
Für Hannah allerdings sind solche Einladungen keine Option: „Ich würde mich unwohl fühlen bei 20 fremden Menschen, auch wenn es nett gemeint ist.“ Und so werden auch in diesem Jahr Millionen Deutsche mit einem mulmigen Gefühl an Heiligabend alleine zuhause sitzen.
Immerhin: In Leverkusen gibt es durchaus Möglichkeiten, Weihnachten nicht alleine verbringen zu müssen. Und Menschen, die über den eigenen Raclettepfannenrand hinaus gucken.