Andreas Tressin fordert eine Diskussion darüber, statt weniger mehr zu arbeiten.
InterviewWie Leverkusens Arbeitgeber-Lobbyist dem Bundeskanzler helfen will
Andreas Tressin ist Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands der Metall- und Elektroindustrie sowie der nicht branchengebundenen Unternehmerschaft Rhein-Wupper.
Herr Tressin, 2023 war wieder ein sehr schwieriges Jahr. Es herrscht Unsicherheit, unter anderem beim Thema Energie. Konzerne rufen nach einem Brückenstrompreis, drohen mit Abwanderung. Aus dem Mittelstand hört man eher wenig. Wie ist die Haltung kleinerer Unternehmen?
Andreas Tressin: Es geht nicht um groß oder klein, sondern um energieintensiv oder nicht. Und für die energieintensiven Unternehmen ist der im internationalen Vergleich viel zu hohe Strompreis mittlerweile zur existenziellen Frage und darüber hinaus zum ganz kritischen Faktor für weitere Investitionsentscheidungen geworden. Um es auf den Punkt zu bringen: Auch der Mittelstand beziehungsweise kleinere Unternehmen stellen sich die Frage, ob sich ihr Geschäftsmodell am Standort Deutschland insgesamt überhaupt noch lohnt und Erträge abwirft. Die Lage ist also für alle energieintensiven Betriebe sehr ernst.
Hat sich denn nach dem Haushaltskompromiss der Ampel die Lage beim Strompreis für den Mittelstand ein wenig entschärft?
Das Gegenteil ist der Fall. Statt eines befristeten Brückenstrompreises mit einer Deckelung auf vier bis sechs Cent pro Kilowattstunde wird der industrielle Mittelstand durch die geplante Erhöhung der Stromnetzentgelte und des CO₂-Preises sowie der Rücknahme des Spitzenausgleichs sogar noch zusätzlich belastet. Hier besteht also noch ganz großer Korrekturbedarf. Der Kanzler hat ja selbst angekündigt, dass es noch vieles zu priorisieren und konkretisieren gilt. Unterstützen wir ihn also bei der Gewinnung der Erkenntnis für die dringend benötigten Impulse für Wachstum, Investitionen und Innovationen. Bisher wurde jedenfalls eine klare Priorität gegen Investitionen gesetzt und dies wird die wirtschaftliche Entwicklung und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland langfristig bremsen.
Immer mehr geht die Forderung nach einer 32-Stunden-Woche um. Gleichzeitig wird der Mangel an Fachkräften deutlicher. Wie kommen Mittelständler aus dieser Zwickmühle?
Zunächst mal: Welches Arbeitszeitmodell unter welchen Voraussetzungen das richtige für die Betriebe und für die Beschäftigten ist, muss ausschließlich auf betrieblicher Ebene entschieden werden. Dabei muss klar sein, dass Arbeitszeiten so flexibel und bedarfsgerecht gestaltet werden, dass sie den Unternehmen im globalen Wettbewerb die notwendige Beweglichkeit einräumen und damit langfristig Arbeitsplätze sichern. Ganz kritisch wird es aber, wenn mit der Vier-Tage-Woche auch eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit verbunden ist. Denn eine solche Debatte kommt angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage und des Fachkräftemangels zur Unzeit. Viel wichtiger wäre eine Diskussion, statt weniger deutlich mehr zu arbeiten. Fatal wäre, eine Arbeitszeitverkürzung auch noch mit vollem oder teilweisem Lohnausgleich zu diskutieren. Das wäre Gift für die in Deutschland produzierenden Unternehmen, weil es mit einem massiven Anstieg der ohnehin schon viel zu hohen Arbeitskosten verbunden wäre. Im Übrigen wünschen sich die Unternehmen bei der Arbeitszeitzeitverteilung viel mehr Flexibilität als es derzeit das Arbeitszeitgesetz erlaubt. In der „Zwickmühle“ sind im Übrigen nicht nur Mittelständler, sondern Unternehmen aller Größenordnungen.
Schon länger gilt die Parole, dass kein junger Mensch mehr zurückgelassen und ohne Ausbildung bleiben sollte. Der Arbeitgeberverband Rhein-Wupper betreibt das Wuppermann-Bildungswerk. Wie ist dort die Situation?
Im Bildungswerk ist und bleibt in strategischer Hinsicht die duale Ausbildung und die Fort- und Weiterbildung in allen Bereichen der Schlüssel zur Fachkräftesicherung und damit ein Grundpfeiler für die Stärkung der heimischen Wirtschaft. Bei den Kooperationsbetrieben, mit denen das Bildungswerk die Programme der Arbeitsagentur und des Jobcenters durchführt, sehen wir einen hohen Bedarf. Auch die Bereitschaft, Menschen auszubilden, die es bis dato „schwerer hatten“, einen Ausbildungsplatz zu bekommen und diesen auch zu halten. Der soziale Aspekt, auch ihnen eine Chance geben zu können, spielt oft eine entscheidende Rolle. Im Bereich der Auftragsausbildung steigt im Übrigen der Bedarf an Azubis, vor allem in Hinblick auf den allgemeinen Arbeitskräftemangel. Allerdings steigt auch der Ausbildungsaufwand, weil vermehrt Unterstützung geleistet werden muss: Die Azubis sind meistens sehr schlecht durch die Schulen vorbereitet. Das Bildungswerk ist jedenfalls für die Aufgaben gewappnet.
Bei der klassischen betrieblichen Ausbildung stehen Industrieunternehmen an Rhein und Wupper im Wettbewerb mit den Konzernen unter dem Bayer-Kreuz, von denen manche längst Übernahme-Garantien ausgesprochen haben. Wie kommen ihre Mitglieder mit dieser Konkurrenz klar?
Letztlich müssen sich alle Unternehmen, ob nun groß oder klein, den Herausforderungen eines allgemeinen Arbeitskräftemangels stellen. Die Rückmeldungen zeigen, dass sie dies auch tun und eine Übernahmegarantie längst kein besonderes „Bonbon“ mehr ist. Schließlich ist die Übernahme aufgrund des hohen Kostenaufwands einer Ausbildung ein Gebot der betriebswirtschaftlichen Vernunft. Das Problem für die kleineren Unternehmen stellt sich eher bei der Realisierung der Übernahme, weil die Auszubildenden oftmals mit höheren Entgelten nach der Ausbildung „abgeworben“ werden. Übrigens völlig losgelöst, ob es sich dabei um größere Betriebe aus der Chemie oder anderer Branchen handelt. Das ist nun einmal gelebte Realität und stellt die kleinen Unternehmen bei der Mitarbeiterbindung vor ganz große Probleme. Das zeigt einmal mehr, dass wir zur Erhöhung des Arbeitskräftepotentials zwingend eine schlüssige und ausgewogene Gesamtstrategie brauchen. Wir müssen qualifizierte ausländische Fachkräfte gewinnen und alle inländischen Potenziale erschließen. Das bedeutet auch Jugendliche mit Ausbildungsdefiziten, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen.
Die zwischenzeitlich ungewohnt hohe Inflation hat zu ebenso hohen Tarifforderungen und Abschlüssen geführt. Inzwischen sinkt die Inflationsrate deutlich. Zeit, sich zu entspannen?
Sinkende Inflationsraten sollten in der Tat den Druck auf hohe Abschlüsse aus künftigen Tarifverhandlungen nehmen. Ich bin mir jedoch alles andere als sicher, ob die Gewerkschaften das auch so sehen. Die Forderungen bei der Bahn und der jüngste hohe Abschluss in der Eisen- und Stahlindustrie ist eher der Beweis des Gegenteils. Dies alles in Zeiten sich rapide verschlechternder Rahmenbedingungen und in einer Branche, die sich in einem epochalen Transformationsprozess befindet und dabei mit erheblichen Steuermitteln subventioniert wird. Man gewinnt immer mehr den Eindruck, dass unter den Gewerkschaften ein maßloser Überbietungswettbewerb bei der Höhe der Tarifforderungen stattfindet und dabei der Arbeitskräftemangel als Katalysator genutzt wird. Das ist absolutes Gift für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland, der wegen immer höherer Kostenbelastungen an Attraktivität im internationalen Vergleich verliert: 30 Prozent höhere Arbeitskosten als im EU-Durchschnitt, die Arbeitsstunde in der Industrie sogar um 44 Prozent teurer. Man kann an die Gewerkschaften nur appellieren, die Arbeitgeber nicht weiter derart zu überfordern, dass sie ihr Geschäftsmodell am Standort Deutschland in Frage stellen müssen. Eine Überforderung hätte im Übrigen sicherlich eine weitere Tarifflucht zur Folge und das kann ja wohl ernsthaft nicht im Interesse der Gewerkschaften liegen.
Das Thema Industrie 4.0 ist durch die jüngsten Entwicklungen bei Künstlicher Intelligenz scheinbar viel fassbarer geworden. Birgt KI mehr Chancen für Mittelständler oder mehr Risiken?
Unsere Mitgliedsunternehmen sind sehr positiv eingestellt und rechnen bei der Digitalisierung beziehungsweise der künstlichen Intelligenz mit massiven Fortschritten bei der Produktivität. Sie sehen die Anwendungsgebiete sehr weitreichend, sowohl in der Produktion als auch in der Administration. Unsere Erfahrungen aus der Beratungspraxis: Steht im Unternehmen die Einführung einer KI an, braucht es dafür ein konsequentes Change-Management. Wichtig ist dabei vor allem, dass KI ziel- und bedarfsgerecht mit Blick auf das Verhältnis von Nutzen zu Aufwand ausgewählt und eingesetzt wird und die Menschen mitnimmt. Interessant ist eine jüngste Studie des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft, wonach KI im Betrieb sogar ein „Booster“ für die Arbeitgeberattraktivität ist, weil es das Unternehmen innovativ erscheinen lässt und Fachkräfte anzieht.