Bei der Grünen Jugend herrscht Umbruchstimmung. Was die Krise für den Kreisverband Leverkusen bedeutet, erzählt Vorstandsmitglied Vi Westerboer.
Grüne Jugend Leverkusen„Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht über Rücktritt nachdenke“
Vi Westerboer, was führte Sie zur Grünen Jugend?
Westerboer: Ich bin vor fünf Jahren zu den Grünen gekommen, eher aus Frust über das inkompetente politische Handeln von CDU und SPD. Damals habe ich gedacht: Die Grünen, die sind anders und das ist der Ort, wo ich politische Veränderungen erreichen kann. Ich habe aber relativ schnell gemerkt, dass die Grüne Jugend für mich das stärker verkörpert. Dieses Gefühl ist – zumindest bis heute – geblieben. Was in der Zukunft kommt, ist gerade aber noch sehr ungewiss.
Stichwort Zukunft: An diesem Samstag wird ein neuer Bundesvorstand der Grünen Jugend gewählt, nachdem der alte im September geschlossen zurück- und ausgetreten war. Haben Sie in den vergangenen Wochen auch darüber nachgedacht, zu gehen?
Ja. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht über Rücktritt nachdenke. Dem Bundesvorstand sind Einzelpersonen und die Landesvorstände teilweise gefolgt. Es gehen unglaublich viele coole Menschen, zu denen man aufgeschaut hat, die man als Freund*innen gewonnen hat. Da frage ich mich schon: ‚Was mache ich hier eigentlich?‘ In der Position als Sprecher*in und weil ich die Grüne Jugend Leverkusen mitaufgebaut habe, fühle ich mich trotzdem verantwortlich. Solange ich glaube, dass wir der beste Ort sind, um politische Änderungen zu erwirken, werde ich weiter dabei sein. Wie lange, das hängt davon ab, wie sich der Verband in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten entwickelt.
Den Schritt des ehemaligen Vorstands, dem Ganzen aus Unmut gegenüber der Mutterpartei ein Ende zu setzen, können Sie also verstehen.
Ja, ich kann das sehr gut nachvollziehen. Als Grüne Jugend hatten wir schon immer ein angestrengtes Verhältnis zu den Grünen, das in den letzten Jahren durch viele Entscheidungen nochmal komplizierter wurde. Das Rückgrat haben zurückzutreten und auf echte Karrierechancen in einer Partei zu verzichten, weil es einem eben nicht egal ist, dass die Werte, für die wir stehen, so auf den Kompost geworfen werden – das ist eine Entscheidung, die konsequent ist und Respekt verdient.
Was stört Sie besonders am Kurs Ihrer Mutterpartei?
Es ist vor allem der Rechtsruck, den wir innerhalb der Grünen-Partei sehen können und der meiner Meinung nach vor allem durch Regierungstragung voranschreitet. Wir denken, dass die Partei politisch nur glaubhaft ist, wenn sie die Werte, für die sie gewählt worden ist, in ihren Entscheidungen vertritt. Die Grünen sind gewählt worden, um gesellschaftlichen Fortschritt zu erzielen. Jetzt tragen sie teilweise rechte und rückschrittige Politik mit.
Leverkusener Kreisverband orientiert sich an linken Werten
Woran machen Sie das fest?
Ganz aktuell am Sicherheitspaket, das von jedem Hauch Menschlichkeit entfernt ist. Schon davor hatten die Grünen mit dem gemeinsamen europäischen Asylsystem etwas mitgetragen, durch das Geflüchtete massiv entrechtet wurden. Es waren Grüne Minister*innen, die das Abbaggern von Lützerath durch vorgeschobene Gründe verteidigt haben, während Aktivist*innen vor Ort durch Polizei gewaltsam weggeknüppelt wurden. Und dieser Bruch mit Werten, die man jahrelang vertreten hat, macht sie für viele unglaubwürdig.
Links, grün, versifft – das ist der, zugegeben etwas provokative, Slogan der Grünen Jugend. Inwiefern identifiziert sich der Leverkusener Kreisverband damit?
Wir als Kreisverband sehen uns klar als Teil der politischen Linken. Bisher sehen wir auch die Grüne Jugend als Teil davon. Ja, der Slogan ist provokativ gedacht. Deshalb ist er aber nicht weniger ehrlich. Wir vertreten, leben und fordern grundlinke Werte wie Gleichheit, Freiheit und Selbstbestimmung. Klimaschutz ist natürlich weiterhin ein Kernbestandteil einer grünen, aber auch einer linken Identität.
Was hat es mit dem versifft auf sich?
Ich glaube, das ist der Versuch einer Wiederaneignung. Während Rechte den Slogan als Beleidigung formulieren, sagen wir von uns selbst aus, dass wir nicht nur einen links-grünen Anstrich haben, sondern voll davon sind – versifft eben.
Warum braucht es einen linken Jugendverband?
Weil wir als Jugendliche die Ungerechtigkeiten sehr, sehr stark und ganz direkt wahrnehmen. Sei es, dass wir in einem maroden Schulsystem leben müssen oder dass unsere Eltern für harte Arbeit viel zu wenig Geld bekommen. Es ist unsere Aufgabe, diesen Frust anzunehmen und ihn umzuwandeln in den Veränderungswillen, die Gesellschaft positiv zu gestalten. Sonst frisst einen dieser Frust auf und irgendwann ist man voller Hass – auf sich selbst oder auf andere. Ob in Leverkusen, Nordrhein-Westfalen oder Deutschland: Es ist wichtig, aus den Wahlergebnissen der letzten Monate zu lernen. Viele Leute, die soziale Probleme haben, legen ihr Vertrauen in die Hände der Rechten. Diesen Menschen muss ein echtes Angebot gemacht werden. Das geht nur glaubhaft von links.
NRW und Leverkusen – wie stehen Sie zu den regionalen und kommunalen Ablegern Ihrer Mutterpartei?
Mit den Grünen in Leverkusen können wir deutlich konstruktiver vor Ort zusammenarbeiten. In Leverkusen gibt es viele Grünen-Mitglieder, die unsere Analyse teilen und sich dem Rechtsruck innerhalb der Partei aktiv entgegenstellen. Wir haben mit Nyke Slawik eine Bundestagsabgeordnete aus Leverkusen, mit der man sehr ehrlich und auf Augenhöhe reden kann. Während ich den Grünen allgemein mit Frust und Enttäuschung entgegenblicke, habe ich in Leverkusen teilweise noch die Hoffnung, dass da was Gutes draus werden könnte.
Grüne Jugend Leverkusen: Austausch mit Mutterpartei Bündnis 90/Die Grünen auf kommunaler Ebene
Also stehen Sie im Austausch miteinander oder sprechen wir eher von einer Ko-Existenz?
Ein gesunder Mix aus beidem. Wir reden nicht jeden Tag, bei wichtigen Anliegen sprechen wir aber natürlich miteinander und einigen uns gemeinsam.
Wie bringt sich die Grüne Jugend hier, in Leverkusen ein?
Als Grüne Jugend haben wir erst einmal das Privileg, ein Ort zu sein, an dem wir Spaß haben können und den Freiraum haben, uns selbst auszusuchen, was wir machen wollen. Wir versuchen, Bildungsangebote zu schaffen, um politische Systeme zu verstehen und uns anschließend zu überlegen, wie sie alternativ aussehen könnten. Um dann an konkreten Projekten zu arbeiten, die diesem Ideal ein bisschen näherkommen. Das kann schon damit anfangen, linke Sticker zu designen und darin enden, eine der größten Demos, die es in Leverkusen je gab, mitzuorganisieren. Aber wir wollen natürlich noch viel mehr erreichen und dafür braucht es viele Hände.
Für was zum Beispiel?
Ob zusammen mit uns für bessere Arbeitsbedingungen im Pflegebereich zu kämpfen, kostenlose Nachhilfe für Menschen oder auch das nächste Nachbarschaftsfest zu organisieren, zusammen schafft man sehr viel mehr. Wir freuen uns auf jeden Fall über jede Hand, die mit uns eine gute Gesellschaft gestalten möchte.
Sie tauschen sich sicherlich viel mit Gleichaltrigen in der Stadt aus. Was bewegt junge Leverkusenerinnen und Leverkusener?
Junge Menschen in Leverkusen sind auch erstmal junge Menschen, die sich natürlich auch für nicht-kommunalpolitische Themen interessieren. Über die letzten Monate haben wir viele Gespräche geführt. Fast alle bedrückt gerade die israelische Kriegsführung in Gaza und im Libanon, welche jeden Tag mehr zivile Opfer fordert. Das Gefühl, das zu wenig dagegen gemacht wird und selbst nichts verändern zu können, frustriert. Gleichzeitig wird in Leverkusener Schulen ein krasser Rechtsruck erlebt. Es gibt viele rechte Sticker und Symbole. Dieses Gedankengut, das springt teilweise im Unterricht und Klassengesprächen über. Viele haben Angst, dagegenzuhalten. Kommunalpolitisch ist die Haushaltslage in Leverkusen gerade sehr angespannt. Viele machen sich Sorgen, dass diese Haushaltssperre genutzt werden könnte, um an sozialen Programmen zu sparen. Das wäre ein fataler Fehler.
Sie sind aus persönlichen Gründen und Frustration zu den Grünen gekommen. Frust ist auch jetzt wieder da. Was ist die Motivation, trotzdem weiterzumachen?
Für ein gerechtes Morgen zu kämpfen. Das klingt natürlich erstmal total zugespitzt, aber ist das, was wir als Verband erreichen möchten. Wir machen Politik nicht aus Karriereabsicht, sondern weil wir wissen, dass eine bessere Welt möglich ist. Und dafür brauchen wir natürlich erstmal mehr Menschen, die sich organisieren, die in Strukturen sind – ob das jetzt wir sind oder andere Jugendverbände wie zum Beispiel die Falken. Egalin welcher Form und egal wie lange wir als Grüne Jugend Leverkusen weiterhin existieren, wir alle werden den Kampf für ein gerechtes Morgen weiterführen.
Die Grüne Jugend Leverkusen
Die ortsansässige Grüne Jugend ging 2023 aus einer Trennung der bis dahin zusammengelegten Verbände aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis und der Stadt Leverkusen hervor. Zum Vorstand gehören neben Vi Westerboer (18) Freddie Schneider (18) sowie Aqua Richter (19).
Die Serie
In unserer Serie „Junge Politik in Leverkusen“ treffen wir die Vertreterinnen und Vertreter der Jugendorganisationen der demokratischen Parteien in der Stadt. Wir sprechen mit ihnen über aktuelle lokale und überregionale Themen. (nip)