Leverkusenerin bewahrt Bilder aufZeichnungen des Vaters hingen bereits in New York
- Walter Bernsteins war Soldat im Zweiten Weltkrieg und Künstler.
- Seine Bilder wurden schon im Guggenheim-Museum gezeigt. Hier erzählen wir seine Geschichte.
Leverkusen – Nein: Schön sind diese Bilder nicht. Beileibe nicht. Aber das sollen, das können und das müssen sie auch nicht sein. Viel wichtiger ist doch, welche Geschichte sie erzählen. Es ist die von Walter Bernstein, dessen Tochter in Leverkusen lebt. Geboren war er am 11. Dezember 1908 in Altenburg, Thüringen. Gestorben am 9. Februar 1995 in Köln. Er war begnadeter Zeichner und Soldat im Zweiten Weltkrieg.
Und genau darum geht es. Um das Soldat-Sein. Und um das Zeichnen. Denn auch wenn Walter Bernstein Zeit seines Lebens dem Malen nur als Hobby nachging, war es eine wichtige Sache für ihn. Eine überlebenswichtige sogar. Es war seine Art, sein Inneres nach Außen zu kehren. Und in seinem Inneren, da wütete eben dieser Krieg, in dem er Leid in Hülle und Fülle mit ansah und in dem er Leid am eigenen Leib erfuhr, als er drei Jahre in amerikanischer Kriegsgefangenschaft war. In dieser Zeit setze Walter Bernstein sich hin und brachte das, was sich da tagtäglich vor seinen Augen abspielte, zu Papier. Am Ende stand eine Serie von Bildern, die bestürzen, berühren und sprachlos machen. Die ihre Intensität und Wucht aus jenem Grauen ziehen, das der Zeichner in überspitzter Form abbildete.
Walter Bernstein malte erschossene Männer und Gekreuzigte. Menschen, die in der Dunkelheit mit im Gesicht ablesbaren Schrecken zusammengepfercht hinter einem Stacheldrahtzaun hocken. Soldaten, die auf untoten, nur noch als Skelett dastehenden Pferden reiten. Er malte gemarterte Lebende und vom Leid erlöste Tote. Kurzum: Er malte die Realität, wie er sie empfand – und kam nur deshalb überhaupt erst über die Gräuel des Krieges hinweg.
Nie über Kriegszeit geredet
Er habe in all den Jahren nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft nie wirklich über die Kriegszeit gesprochen, erinnert sich seine Tochter Christel Zaun. „Aber er hat immer wieder betont, dass er all das nicht ausgehalten hätte, wenn er nicht hätte malen können.“ Christel Zaun lebt mit ihrem Mann Heinz in Lützenkirchen und bewahrt die Bilder ihres Vaters seit dessen Tod auf.
Sie weiß: Um malen zu können, habe er seinerzeit erfinderisch sein müssen. Denn Eigentum und Sonderrechte habe es nicht gegeben für die Lagerinsassen. Walter Bernstein war somit gezwungen, heimlich Packpapier abzuzwacken und Kohlestückchen aus den Lagerfeuern einzustecken und anzuspitzen. Die minimale Grundausrüstung zum Zeichnen. Schwarz und Grau auf, mehr oder weniger, Weiß. Für Details und Konturen nahm er seinen Daumennagel, den er übers Papier gleiten und Kohle abschaben ließ. „Er hat mir oft erzählt, dass die Daumenkuppe am Ende eines jeden Tages rabenschwarz war“, sagt Christel Zaun.
Sie ist sich bewusst: „Die Bilder, die mein Vater da malte, sind keine Bilder, die man sich ins Wohnzimmer hängt.“ Auf gar keinen Fall. Auf jeden Fall aber seien es Bilder, die geradezu danach schrien, gezeigt zu werden. Öffentlich. Allen. Und das wurden sie denn auch schon – womit wir bei der nächsten unfassbaren Geschichte sind, die Walter Bernsteins Bilder erzählen.
Denn als er aus der Gefangenschaft entlassen wurde, entdeckte ein offenbar künstlerisch gebildeter amerikanischer Soldat die Zeichnungen und wusste sofort: Die sind besonders. „Er bat meinen Vater, die Bilder mitnehmen zu dürfen, um sie in den USA vielleicht anderen Kennern zu präsentieren“, sagt Christel Zaun. Walter Bernstein stimmte zu. Er ging zur Familie, die mittlerweile in Oberpleis lebte. Seine Zeichnungen wurden in entgegengesetzter Richtung über den Atlantik gebracht. Und drüben wurden sie dann tatsächlich bei einer Ausstellung von in Kriegsgefangenschaft entstandener Kunst gezeigt. In New York. Im berühmten Guggenheim-Museum – was schon für jeden professionellen Künstler eine Sensation ist. Für wie Walter Bernstein war es ein Wunder. Und irgendwann Jahre später, erzählt Christel Zaun, habe dann der Postbote bei einem Onkel der Familie, dessen Adresse der Kriegsgefangene seinerzeit im Lager als Heimatadresse angegeben hatte, geklingelt und ein Paket abgegeben. „Er rief uns an und sagte: Ich habe hier etwas bekommen, das, glaube ich, dem Walter gehört.“ Bilder. Dunkel, düster, eindringlich.
Für Aufsehen gesorgt
„Eine wunderschöne Geschichte“ sei das, findet auch Irina Wisthoff. Sie ist Kunstpädagogin und leitet die Galerie „Zuhause der Kunst“ in der Bernstein-Nachkriegsheimat Oberpleis, die überdies in dem früheren Haus der Familie untergebracht ist. Anfang des Jahres konzipierte sie eine Ausstellung mit Walter Bernsteins Bildern. Es sei eine Schau gewesen, die für Aufsehen gesorgt habe, sagt sie. Sowohl bei älteren Menschen, „von denen mir viele ihre eigenen Kriegserlebnisse schilderten“ – nicht selten unter Tränen. Als auch bei den jüngeren, schwer beeindruckten Betrachtern.
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Irina Wisthoff hatte im Vorfeld viel Zeit in Recherche zu Walter Bernsteins Werken gesteckt. Hatte deren Weg in die USA zurückverfolgt und betont: „Gerade in der heutigen Zeit sollte so etwas der Nachwelt präsentiert werden.“
Schlichtweg schön sei es zu sehen, wie Kunst in seinem Falle Menschen und frühere Kriegsgegner über Kontinente hinweg verbunden habe. Und faszinierend wiederum sei, wie Walter Bernstein als jemand, der die Kunst nie zum Beruf erhoben habe, Derartiges habe schaffen können. Man sehe in den Kriegszeichnungen seine Faszination für vergleichbare Bilder der großen Käthe Kollwitz ebenso wie die Nachwehen der damals populären überhöhten und sehr ausgeprägten Darstellung von Körperlichkeit. Das Martialische. Was man aber vor allem sehe: Das Trauma, das Menschen wie Walter Bernstein mit derlei Zeichnungen zu überwinden gesucht hätten.
Christel Zaun sagt, dass sie jetzt versuchen wolle, die Bilder ihres Vaters noch konsequenter in die Öffentlichkeit zu bringen – weil sie etwas aussagen würden. Weil man an ihnen lernen könne, was Krieg bedeute. Natürlich: Im Keller ihres und ihres Mannes Hauses lagerten noch weit mehr als 200 weitere seiner Bilder, die er bis zuletzt gemalt habe. Darunter auch Porträts, Stillleben, Landschaftszeichnungen. Aber die Kriegsbilder des Walter Bernstein, um die eben dieser nie ein großes Aufheben gemacht habe, seien das Herz dieser Sammlung. Der Sammlung eines Hobbyzeichners, für den das Zeichnen eine Lebensnotwendigkeit war und etwas derart Tiefgreifendes, dass es vielleicht sogar die Werke manches professionellen großen Malers oder manch renommierter Künstlerin in den Schatten zu stellen vermag. In den Schatten, gemalt aus angespitzter Lagerkohle.
Wer in Kontakt mit dem Ehepaar Zaun treten möchte, der kann sich per Mail an unsere Redaktion wenden.frank.weiffen@dumont.de