Stadtarchiv-Leiterin über besondere WerkeWie ein Pattscheider Gelehrter die Welt sah
- Seit 20 Jahre leitet Gabriele John das Stadtarchiv in Leverkusen. Ende des Jahres geht sie in Ruhestand.
- Ein Gespräch über besondere Bücher, alte Zeitungen, Wissensdrang und ob sich ihr Blick auf Leverkusen nach all den Jahren geändert hat.
Leverkusen – Ist es vermessen, sie das „Gedächtnis der Stadt“ zu nennen? Gabriele John würde vermutlich abwinken, dazu ist sie zu bescheiden. Die 64-Jährige leitet seit 20 Jahren das Stadtarchiv und geht Ende des Jahres in Ruhestand.
Was haben Sie gedacht, als Sie als Bonnerin 1987 das erste Mal nach Leverkusen gekommen sind?
Leverkusen war für mich ein Begriff, aber wie für viele aus der Region war es für mich eher eine „Vorbeifahrstadt“. Das Bayerkreuz als Landmarke – man wusste immer: Wenn man daran vorbeikommt, ist man bald zu Hause. Ich war zunächst erstaunt, wie diese Stadt ist. Damals war die kommunale Neuordnung noch viel näher als heute. Das war eine der ersten Sachen, die mir klar gemacht wurden: Das ist Opladen, das ist Hitdorf – nicht Leverkusen. Das war interessant, das kannte ich davor so nicht.
Hat sich das im Laufe der Jahre geändert?
Ja. Da ha sich eine ganze Menge getan. Es bleibt aber das „Eigengefühl“. Besonders stark ist es natürlich in Opladen, es hat aber nicht mehr ganz die Schärfe.
Wie sind Sie nach Leverkusen gekommen?
Eher zufällig. Ich hatte in Bonn studiert und beide Staatsexamina gemacht für gymnasiale Oberstufe, Geschichte und Latein. Latein war ein durchaus gesuchtes Fach, Geschichte war aber der Killer. Durch Zufall bin ich an eine Stelle gekommen, die zunächst als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Villa Römer ausgeschrieben war. Dort sollten regelmäßig stadtgeschichtliche Ausstellungen stattfinden. Es ging dann auch gleich mit einer Ausstellung zur Geschichte von Morsbroich los. Ich wurde richtig ins kalte Wasser geworfen, das war aber gut so. (lacht)
Haben Sie nie überlegt, nach Leverkusen zu ziehen?
Das hab ich eine Zeit lang erwogen, es ging aber aus familiären Gründen nicht. Natürlich wäre manches einfacher gewesen. Aber ich hab mich hier immer wohlgefühlt und fühle mich der Stadt und mit vielen Leuten sehr verbunden.
Wie hat die Arbeit im Stadtarchiv Ihren Blick auf Leverkusen verändert?
Sehr stark. Die Arbeit im Archiv war ein unglaublich tolles Mittel, die Stadtgeschichte selbst kennenzulernen und sich neue Themen zu erarbeiten. Das ist etwas ganz Tolles an dieser Arbeit: dass man immer dazulernt.
Wird es den Beruf der Archivarin in Zukunft noch geben?
Den wird es mit Sicherheit noch geben, er wird nur sehr starke Veränderungen erfahren. Die Archivbestände bleiben, also wenn einmal etwas als archivwürdig erkannt worden ist, bleibt ja dort. Ein kommunales Archiv ist aber auch immer zu einem großen Teil eins der Stadtverwaltung, das die Altakten aus rechtlichen Grünen übernimmt, bewertet, nach Fristen schaut, was aufbewahrt werden muss. Es wird sich allein viel verändern, weil viele Überlieferungen in immer geringerem Maße schriftlich, also in Papierform, vorliegen, sondern immer stärker digital. Trotz Dokumenten-Managementsystemen und elektronischer Akten: Die Arbeit muss genauso von einem professionellen Archiv begleitet werden.
Gabriele John steigt hinab ins „Magazin“, in mehreren Räumen lagern Rats- und Verwaltungsunterlagen. Insgesamt sechs Kilometer Akten hütet das Archiv, teilweise verlaufen „die Rollanlagen über die gesamte Hausbreite“ – Die 64-Jährige scheint auch nach so vielen Jahren noch imponiert ob der Menge. Im Magazin schlägt sie behutsam ein Buch auf. Brauner Einband, abgegriffene, teils zerfledderte Seiten, Zeile um Zeile eng beschrieben, Kennung: 3001.186-278. Daneben eine Zeitung, blassbraun, „Long Island Anzeiger“ steht darüber.
„Das eine ist ein Buch von Franz Wilhelm Ohligschläger aus Pattscheid aus dem 19. Jahrhundert. Er hat diverse Kladden mit botanischen Beobachtungen vollgeschrieben. Er hatte ursprünglich Pharmazie studiert und hat in einer Apotheke gearbeitet. Warum er die Bücher geschrieben hat? Vermutlich aus Forscherdrang. Das ist eine sagenhafte Schrift, einmal in der Woche kommt jemand vorbei, der das entziffert. Die Informationsfülle ist unglaublich. Mir imponiert der Wissensdrang. Franz Wilhelm Ohligschläger wanderte in den 1850er Jahren in die USA aus und hat in New York eine Apotheke gegründet. Nachdem er zweimal überfallen wurde, kehrte er ins Bergische zurück. Viele sind damals nach Amerika ausgewandert, so haben wir die Zeitungen erhalten.“
Zurück im Zentral-Gebäude des Stadtarchivs. Gabriele John zeigt weitere Schätze, wie eine Zeichnung vom Schloss Morsbroich um 1800 oder Dokumente aus der Ultramarinfabrik.
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Woran denken Sie gern zurück?
Eine Ausstellung, die ich unheimlich gern gemacht hab, war eine Ausstellung zum Thema „Carl Leverkus“ mit seiner Ultramarinfabrik. Das ist ein sehr zentrales und eigenes Leverkusen-Thema. Wir haben einige Mitglieder der Familie Leverkus als sehr engagierte Unterstützer kennengelernt, die unglaublich viel Originaldokumente zur Verfügung gestellt haben. Dazu gehört Originales Ultramarin, das aus sich heraus leuchtet, das ist einfach sagenhaft. Von einem der Urenkel haben wir auch ein Album erhalten aus der Bauzeit der Fabrik aus den 1840 oder 50er Jahren, das die Einrichtung dieser Fabrik zeigte. Ältere große Projekte war die große Dokumentation von Eva Wolff zur Zeit des Nationalsozialismus in Leverkusen, eine weitere wichtige Sache war auch auch die Kooperation mit den Geschichtsvereinen für die ständige Ausstellung in der Villa Römer.
Was haben Sie für die Zeit „danach“ vor?
Ehrlich gesagt nicht viel. Ich habe schon einige private Aufträge bekommen zum Thema Familienforschung. (lacht) Und ich will auch zum Ohligschläger recherchieren. Es kann gut sein, dass es noch weiteres Material gibt, weil er in Kontakt mit der Botanischen Abteilung der Universität Bonn stand. Es rundet das Bild ab.
Das Gespräch führte Agatha Mazur