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NS-Arbeitslager in Manfort„Spatenarbeit“ war Vorstufe zum Dienst an der Waffe

Lesezeit 5 Minuten

Wachablösung mit Paradespaten vor dem Eingangstor des Lagers mit Wachhäuschen

  1. Einen Steinwurf vom Manforter Stadion lag zu NS-Zeiten ein Reichsarbeitsdienstlager.
  2. Der Manforter Rolf Müller hat zu dem Thema geforscht: Wie ging es damals in dem Arbeitslager zu?

Leverkusen – Als Schüler ging der Manforter Rolf Müller in den 1950er Jahren auf seinem Weg zur evangelischen Volksschule an Holzbaracken vorbei. Vertriebene Flüchtlinge aus dem Osten Deutschlands lebten dort, etwas versteckt durch ein restliches Wäldchen des einstigen von Diergardtschen Forsts. 1958 wurde die Anlage aus Kriegszeiten für die Neubauten des Wohngebiets Bodelschwinghstraße abgerissen. Allenfalls auf Luftbildaufnahmen mag der Betrachter heute noch Geländevertiefungen des Lagers erspähen. Aber dahinter steckt die Geschichte des vergessenen Reichsarbeitslagers 1/212 „Golzheimer Heide – Albert-Leo Schlageter“.

Einen Steinwurf vom Manforter Stadion entfernt wurden hier in der NS-Diktatur junge Männer aus allen Landesteilen in einem sechsmonatigen Reichsarbeitsdienst (RAD) auf Linie gebracht. „Die Bilder aus meiner Erinnerung sind unscharf“, sagt Müller, Jahrgang 1951. Aber er kann sich noch vage an die Baracken und den Zaun erinnern. Er fragte und forschte und fand erst einmal nichts.

Die Einweihung wurde mit großem Aufmarsch in der heutigen Fritz-Jacobi-Sportanlage mit Gästen aus NSDAP, SA und SS begleitet.

„Es ging mir um Manfort, um meine Heimat“, sagt Müller, der Mitglied des Bergischen Geschichtsvereins ist. Karl Zimmermann, auch aus Manfort, erzählte ihm, wie er mit anderen Bengels nach dem Krieg durch ein Zaunloch das noch voll eingerichtete Lager zum Spielen entdeckte. Am liebsten ließen sie Untertassen fliegen. „Auch wurde das Mobiliar von Manfortern entkernt, bis die Engländer als Besatzungsmacht das illegale Entrümpeln in der Notzeit stoppten und die Möbel durch Hausdurchsuchungen wieder zurückholten“, sagt Müller.

Das Reichsarbeitsdienstlager nahe des Manforter Stadions wurde 1939 eröffnet. Rechts das Eingangstor.

Was in den Jahren der Nazidiktatur im RAD geschah, wie es dort aussah, musste er in Kleinstarbeit erst recherchieren. Rund 50 Fotos vom Manforter Reichsarbeitsdienstlager ersteigerte er im Internet und ist eingetaucht in eine Welt, die mit seiner eigenen Sozialisation als passionierter Rockmusiker, Baumfreund und kritischer Geist so gar nicht zusammenpassen will.

Zum Dienen verpflichtet

Als der RAD 1935 gesetzlich angeordnet wurde, waren alle jungen Deutschen zwischen 18 und 25 Jahren zum Dienen verpflichtet. Zunächst wurden junge Männer vor ihrem Wehrdienst zu sechs Monaten Arbeitsdienst einberufen. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges dehnten die Nazis den Dienst auch auf junge Frauen aus. Für Rolf Müller steht fest, dass dort Arbeitsmänner ideologisch auf Linie gebracht wurden. Es gab einen streng geregelten Tagesablauf mit einschüchternder paramilitärischer Disziplin nach dem Prinzip der harten, altpreußischen Zucht und Unterordnung.

Das Ehrenmal des Manforter Steinmetzes Jakob Schramm wurde abgerissen. Nach Feierabend durfte der Arbeitertrupp mit seiner Lagerband musizieren. Das Foto entstand um 1940.

Viele Angehörige der jungen Generation waren im Zuge der Weltwirtschaftskrise über längere Zeit arbeitslos geblieben. Nun wurden sie im Pflichtarbeitsdienst im Deich- oder Autobahnbau oder als Erntehelfer in der Landwirtschaft eingesetzt. Männliche Arbeitsgruppen unterstützten im Krieg zumeist als Bau- und Instandsetzungstrupps die Wehrmacht und standen an Flugabwehrgeschützen, so zum Beispiel zum Schutz rund um das IG Farben Werk.

„Die erste Lagerbelegung mit Arbeitsmännern aus ganz Deutschland erfolgte im Jahr 1939“, sagt Müller. „Das Manforter Lager bestand aus vier Zügen, jeder Zug mit drei Trupps zu je 16 Mann, in Summe 192 Arbeitsmänner.“ Untergebracht waren sie in Baracken, die bei der Eröffnung 1939 zu den modernsten Reichsarbeitsdienstlagern neuster Bauart und Inneneinrichtung im damaligen Regierungsbezirk Düsseldorf zählten. „Der Lagerstandort befand sich direkt nördlich des mittleren Spielfelds des Manforter Sport- und Spielstadions, ein ehemaliges, aufgegebenes Sand- und Kiesloch, versteckt im von Diergardtschen Forstwald.

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Das Lager stand auf der Rheinsanddüne „Oberste Heide“ im damaligen Leverkusener Stadtteil Schlebusch 1 (heute Manfort). Der Vorläufer war ein Reichsarbeitsdienstlager der Stadt Opladen an der Wupperbrücke, wie Müller recherchierte. Es war zu klein geworden. Heimische Betriebe waren am Aufbau in Manfort beteiligt. Die Baracken wurden in Baukastenweise erstellt. Vorgefertigt von den Kölner Holzbauwerken waren die Häuschen im Nu aufgebaut, ausgestattet mit Bollerofenheizung und auf dem Gelände gab es sogar Telegrafenmasten. Träger des Lagers war laut Müller das Reichsarbeitsdienst-Zentralamt in Berlin-Grunewald sowie die nachgeordnete Reichsarbeitsgauleitung XXI Niederrhein mit Sitz in Düsseldorf Pempelfort. „Die Stadt Leverkusen trat damals als Finanzier des Lagers auf“, erklärt Müller. „So war die Stadtverwaltung, vertreten durch Baurat Lippner, an dem ab Oktober beginnenden Lageraufbau mit 20 000 Reichsmark an den Gesamtkosten des Lagers von über 71 000 Reichsmark (rund 250 000 Euro) beteiligt.

Rolf Müller

Auch die Vorfinanzierung von über 51 000 Reichsmark habe die Stadt übernommen, die vom Arbeitsgauamt Düsseldorf mit einer monatlichen Rate von 300 Reichsmark getilgt worden sei. „Aus heutiger Sicht war das ein Verlustgeschäft für die Stadt Leverkusen, so Müller. Die Häuser seien per Katalog bestellt worden. Die technischen Unterlagen gab das RAD-Zentralamt in Berlin. „Der Baustellenführer legte größten Wert auf eine geschlossene, rechteckige Anordnung von Holzbaracken neusten Typs und auf die äußere Gestaltung mit einem gemeinsamen begrünten Innenhof. Dieser wurde mit viel Freizeitarbeit und Liebe zum Detail von dem dienenden Arbeitsmännervortrupp ausgeschmückt“, so Müller. Es gab befestigte Wege, Sträucher, Blumen und sogar ein Bassin mit Goldfischen. „Mittelpunkt des Lagers war neben dem Exerzierplatz das Lagermahnmal des Manforter Steinmetzbetriebs und Künstlers Jakob Schramm.“

Das Ehrenmal des Manforter Steinmetzes Jakob Schramm wurde abgerissen. Nach Feierabend durfte der Arbeitertrupp mit seiner Lagerband musizieren. Das Foto entstand um 1940.

Benannt wurde das Lager nach dem Freikämpfer Albert Leo Schlageter, den die Nazis als Märtyrer feierten. Schlageter war Mitglied der NSDAP-Tarnorganisation Großdeutsche Arbeiterpartei. Während der französisch-belgischen Ruhrbesetzung war er militanter Aktivist und wurde wegen Spionage und mehrerer Sprengstoffanschläge von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt und auf der „Golzheimer Heide“ in Düsseldorf hingerichtet. Üblicher für das in Vergessenheit geratene Lager in Manfort war die Bezeichnung Reichsarbeitsdienstlager 1/212. Denn alles war genormt.

Spaten zum Exerzieren

Jeder Arbeitsmann erhielt zwei Spaten. Einen zum Arbeiten, wenn zum Beispiel ein Kanal angelegt oder eine Grube ausgeschachtet wurde. Der andere Spaten musste blitzblank sein und wurde zum Exerzieren genutzt. Wie ein Gewehr am Körper gehalten wurde, lernten die jungen Arbeitsmänner mit dem Spaten. Die Wachablösung vor dem Lagereingangstor mit Wachhäuschen erfolgte – gut sichtbar für alle Passanten – ebenfalls mit Spaten. Im Krieg war der Reichsarbeitsdienst mit seiner „Spatenarbeit“ die Vorstufe zum Dienst an der Waffe. Schnell wurden die jungen Männer zum Wehrdienst einberufen, dann ging es an die Front.

Fröhliches Musizieren und gesellige Besuchsrunden am Wochenende sind auf den Bildern in Rolf Müllers Fundus zu sehen. Doch für ihn steht fest, dass „der Ehrendienst an der Volksgemeinschaft mit Kasernierung junger Deutscher hinter Stacheldraht“ verbunden war. „Konfrontiert mit menschenverachtender nationalsozialistischer Ideologie und Erziehungsmaßnahmen war das Manforter RAD-Lager eine »geschlossene Zwangsanlaufstelle« gewesen. Unter strenger Bewachung wurde Leistungs-, Widerstands- und Wehrfähigkeit der dienenden Arbeitsmänner gesteigert“, so Müller.

Die vom Architekten Otto Bartning entworfene evangelische Johanneskirche zeigte später mit der südlichen Spitze ihres Kirchbaus auf das Lager.