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Zwangsarbeit bei BayerEine Stiftung gegen das Vergessen und für ein „Nie wieder!“

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Treffen des Beirates der Finkelstein-Stiftung in Leverkusen.

Der Beirat der Finkelstein-Stiftung besichtigte im Rahmen seines ersten Treffens in Leverkusen auch das Archiv der Bayer AG – mit dabei war auch die Ex-Ministerin und CDU-Bundestagasabgeordnete Annette Schavan (rechts).

Die Finkelstein-Stiftung setzt sich mit dem Schicksal der Zwangsarbeitenden und Juden im Konzern zu Zeiten des NS-Regimes auseinander.

Als die Bayer AG im vergangenen Jahr die Finkelstein-Stiftung gründete, war das ein historischer Moment, denn: Die Verantwortlichen gingen für viele sichtbar an die Öffentlichkeit, um moralische Verantwortung zu übernehmen für das Handeln des Konzerns während der Zeit des Nationalsozialismus. Damals noch als Teil der IG Farben wurden in den verschiedenen Werken Menschen als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigt – alleine in den Standorten am Niederrhein, zu denen Leverkusen und Uerdingen gehörten und gehören, waren es nach heutigen Schätzungen gut 16 000. Aber auch die Werke in Bitterfeld und, besonders signifikant, Auschwitz-Monowitz spielten diesbezüglich eine Rolle. Hinzu kamen, wie überall im Lande, die Entlassungen von Mitarbeitenden jüdischer Herkunft. Für viele führte sie in den Tod.

Insofern stehen die Namensgeber der Stiftung symbolisch für eine kaum überschaubare Menge an Menschen, die damals unter dem Dach der IG Farben Leid erfuhren: Hans Finkelstein, Erfinder der sogenannten Finkelstein-Reaktion, war Forschungsleiter in Uerdingen, musste das Unternehmen 1938 im Zuge der „Arisierung“ verlassen – und nahm sich noch im selben Jahr als gebrochener Mensch das Leben. Sei Sohn Berthold musste später in jenem Betrieb, der seinem Vater zuvor den Lebensboden unter den Füßen weggezogen hatte, Zwangsarbeit leisten. Es sind zwei Biografien, die die Wichtigkeit, Relevanz, Dimension und letztlich auch Unausweichlichkeit der Stiftung veranschaulichen. Der Stiftung, deren Beiratsmitglieder nun erstmals in Leverkusen zusammenkamen.

Annemarie Hühne-Ramm.

Annemarie Hühne-Ramm ist die Leiterin der Finkelstein-Stiftung der Bayer AG.

Ort des Treffens war das Gebäude C302. Dort befindet sich das Unternehmensarchiv der Bayer AG – und somit genau der Teil des Konzerns, der für die Stiftungsarbeit unerlässlich ist. Teilnehmende waren unter anderem Annemarie Hühne-Ramm als Stiftungsleiterin, Thore Grimm als Leiter des Archivs, Bella Zchwiraschwili vom „World Jewish Congress“ als einem der internationalen Kooperationspartner der Stiftung, Bayer-Kulturchef Thomas Helfrich. Und die ehemalige Kulturministerin und CDU-Bundestagsabgeordnete Annette Schavan. Schavan ist Vorsitzende des Beirates und in vielen anderen Institutionen gleicher Art tätig.

Annette Schavan sieht eine fragile Gesellschaft

Und sie weiß, wie sie im persönlichen Pausengespräch während des Besuches in Leverkusen betonte, natürlich um deren Bedeutung – nicht zuletzt mit Blick auf eine durch das Wirken von AfD und Co. mehr und mehr nach Rechts rückende Gesellschaft: „Mir wird angesichts mancher öffentlichen Debatte in Deutschland gerade wieder deutlich, wie fragil eine Gesellschaft ist, wie zerbrechlich Zivilisation ist. Wie ein Zivilisationsbruch vorbereitet wird. Und wie alle davon betroffen sind.“

Das mache eine Stiftung wie die Finkelstein-Stiftung so wichtig. Es sei „großartig“, dass das Unternehmen diese Stiftung gegründet habe und sich nicht damit begnüge, zu sagen: „Wir beauftragen einen Historiker, ein Buch zu schreiben. Und das haben wir dann. Das steht dann im Regal – und damit beenden wir dieses Kapitel.“ Das sei in vielen anderen Fällen so gewesen. Aber mit der Gründung der Stiftung, durch die unternehmensintern wie -extern auch Projekte zur politischen und gesellschaftlichen Bildung und Stipendien für entsprechende wissenschaftliche Arbeiten zum Thema ermöglicht werden sollen, „übernimmt man Verantwortung für die eigene Geschichte, für Aufklärung“. Und somit auch für die Zukunft. „Diese Stiftung“, sagte Annette Schavan, „ist eine Perspektive nach vorne.“ Ein klares „Nie wieder!“.

Der finnische Künstler Jussi Ängeslevä spricht bei der Eröffnung des von ihm gestalteten Kunstwerkes und Erinnerungsortes für die Zwangsarbeitenden der Bayer AG.

Der finnische Künstler Jussi Ängeslevä (Mitte) sprach im vergangenen Jahr vor der Konzernzentrale zur Eröffnung des von ihm konzipierten Kunstwerkes und Erinnerungsortes für die Zwangsarbeitenden der Bayer AG.

Stiftungsleiterin Annemarie Hühne-Ramm bestätigte das natürlich während der Beiratssitzung: „Die Stiftung ist für uns ein Weg der Aufarbeitung, der nicht nur rückwirkend ins eigene Unternehmen blickt, sondern auch die Zukunft gestalten will.“ Man wolle zivilgesellschaftliche Projekte unterstützen. Ein Netzwerk aufbauen. Das jedenfalls sei der Weg, den man beim Leverkusener Konzern eingeschlagen habe. Der Bayer-Weg quasi, der im vergangenen Jahr nicht zuletzt durch die Installation eines vom finnischen Künstler Jussi Ängeslevä konzipierter Erinnerungsortes vor der Konzernzentrale sichtbar begonnen worden sei, die an diejenigen gemahnt, die damals im Namen der IG Farben leiden, mitunter sterben mussten.

Natürlich, so Annemarie Hühne-Ramm, müsse jedes Unternehmen einen eigenen Weg finden. Bayer etwa habe das Glück, dieses bis Anfang der 20. Jahrhunderts zurückreichende Archiv zu haben, auf das sich der wissenschaftliche, der Basisteil der Stiftungsarbeit gründe. „Andere Unternehmen haben solch ein Archiv nicht.“ Das treffe etwa auf viele Firmen aus dem Osten des Landes zu, die nach dem Mauerfall umgezogen seien und oftmals die eigene Geschichte zurückließen. Indes: „Wir bekommen durchaus Anfragen, in denen wir um Rat und Hilfe gebeten werden, wie man Erinnerungskultur etablieren und leben kann.“

Letztlich saßen die Mitglieder des Stiftungsbeirates bei ihrem ersten Treffen in Leverkusen nahezu einen Tag lang zusammen. Weitere solcher Tage in der Stadt sollen folgen. Das ist sicher. Tage des Nach-Vorne-Blickens – auf Basis der Erinnerung. Weil Erinnerung gerade in solchen Fällen nie enden darf.