Leverkusen – Er werde wohl als „Käpt’n Cancel“ in die Geschichte des Leverkusener Karneval eingehen, fürchtet Thomas Lingenauber. Vor zwei Jahren wurde er zum Präsident des Festausschuss Leverkusener Karneval (FLK) gewählt, seitdem tut er vordergründig eben das: Veranstaltungen absagen. Und im Hintergrund? „Auf unsere Schäfchen aufpassen, dass keines über die Klippe springt“, sagt Lingenauber, denn die Situation der Karnevalsgesellschaften ist im zweiten Coronajahr brenzliger, als je zuvor. „Die Entscheidung, den Sitzungskarneval abzusagen, war eine rein moralische Entscheidung, keine wirtschaftliche“, betont Lingenauber, dem die finanziellen Konsequenzen schmerzhaft bewusst sind. Vereine, die ihre Veranstaltungen nun freiwillig Absagen, können beim Bund Finanzhilfen von bis zu 90 Prozent der Verluste beantragen. „Soweit ich das Überblicke, sind bei uns fast alle Veranstaltungen bereits abgesagt“, erklärt Lingenauber.
Party ist noch nicht abgesagt
Nur verschoben ist bislang zum Beispiel der Funkenappell der Altstadtfunken – vom 8. Januar auf den 19. Februar. Auch die große „Runter vom Sofa, rein ins Kostüm“-Party der Roten Funken am Karnevalssamstag steht noch im Kalender. „Das liegt vor allem daran, dass Bälle und Partys bislang nicht von den Kulturfonds abgedeckt sind“, erklärt Literatin Anke Timm. Daher warten die Funken noch, wie sich die Gesetzeslage entwickelt, große Hoffnung auf die große Party haben sie aber nicht mehr. „Wir trauern schon arg“, sagt Timm.
Das Herz blutet
Auch Lilo Schmitz, Vorsitzende von Grün-Weiss Schlebusch, „blutet das Herz“. Für die drei großen, ausverkauften Sitzungen wurden bereits alle Ticketkosten erstattet. „Wir wollten einen sauberen Jahresabschluss“, erklärt Schmitz - und nicht, wie im vergangenen Jahr die Gültigkeit der Tickets noch einmal verschieben. Hier liegt auch ein Problem in dem ohnehin komplizierten Antragsverfahren für die Hilfen. „Wenn auf den Karten steht, dass sie ihre Gültigkeit behalten, gilt die Sitzung nicht als abgesagt, sondern als verschoben“, erklärt Lingenauber, dann gibt es wohl keine Förderung, worüber er schon viele Diskussionen an der Hotline geführt hat. „Wenn wir sagen, wir feiern Weihnachten dieses Jahr nicht, sondern erst nächstes Jahr wieder – haben wir die Weihnachtsfeier dann abgesagt, oder verschoben?“
Der FLK hat bereits mehrere Treffen organisiert, um bei den Anträgen zu helfen. Der erste Punkt auf dem Formular sei: Geben sie ihre Elster-Nummer an. „Die haben einige Vereine gar nicht, weil sie die Steuer über einen Berater machen lassen oder weil sie so klein sind, dass sie von der Steuererklärung befreit sind“, sagt Lingenauber. Außerdem könne nicht die Gesamtrechnung für eine Sitzung eingereicht werden, sondern jede Rechnung der Künstler und Dienstleister muss einzeln angegeben werden. „Das sind Datenmengen, die kann kein Mensch nachprüfen.“
Und wann und wie viel Geld schließlich eintrifft, steht in den Sterne. „Wir wissen ja gar nicht, wie viel Geld in dem Fonds ist und wie viel beantragt wird“, sagt Yannick Wölky von den Karnevalsfreunde Manfort. Dennoch hat auch sein Verein den Weg über den Unterstützungsfonds gewählt. „Wir haben lange überlegt, aber alles andere wäre ein zu hohes Risiko gewesen“, sagt Wölky. „Und wenn wir feiern, wollen wir ja möglichst auch mit allen feiern.“
In der Existenz bedroht sieht er die Karnevalsfreunde Manfort aktuell nicht. Finanziell sei es natürlich schwierig. „Aber wir hatten durch unseren sehr jungen und beliebten Prinz Matze in der Session 2017/18 einen guten Mitgliederzulauf“, freut sich Wölky. Brenzlig sei die Situation vor allem für kleinere Vereine, die ohnehin mit Mitgliederschwund kämpfen und nun auch noch mit Corona klar kommen müssen.
Künstler bekommen volle Gage
Wölky steht im regen Kontakt mit den Agenturen, bei denen die Manforter seit Jahren die Künstler buchen. „In diesem Jahr pochen sie auf die Erfüllung der Verträge, was ich auch verstehen kann“, sagt Wölky. Künstler dürfen laut Gesetzeslage 100 Prozent ihrer Gage in Rechnung stellen. „Es gibt aber auch Signale, dass uns die Künstler dann im kommenden Jahr entgegenkommen wollen“, sagt Anke Timm von den Roten Funken. Allen sei bewusst, dass man aufeinander angewiesen ist. „Es nutzt ja keinem Künstler, wenn alle Karnevalsgesellschaften in den Ruin getrieben werden“, sagt Timm.
Marijo soll bleiben
Die Solidarität, das ist das einzig Gute an der Krise. Ein Beispiel: Die KG Grün-Weiss Schlebusch hatte für die kommende Session ein Prinzenamt angemeldet – zu feiern wäre dann das 88-jährige Vereinsbestehen. Den Anspruch haben die Schlebuscher zurückgenommen, um dem unglücklichen, seit zwei Jahren designierten und immer noch nicht gekrönten Prinzen Marijo der Leverkusener Roten Funken noch eine echte Amtszeit zu ermöglichen. „In Köln pochen die Roten Funken darauf, im nächsten Jahr den Prinzen zu stellen, weil sie dann 200 Jahre feiern“, sagt Lingenauber. In Leverkusen nicht. „Prinz Marijo soll alles bekommen, was seine Vorgänger auch hatten“, wünscht sich der FLK-Präsident.