Leverkusenerin begleitet Sterbende„Manche Menschen sterben ruhig, andere haben Angst“
Leverkusen – Frau Müller, Sie arbeiten als ehrenamtliche Sterbebegleiterin. Wie hat sich diese Aufgabe seit Beginn der Corona-Pandemie Anfang des Jahres verändert?
Marianne Müller: Sie hat sich dahin gegen verändert, dass wir im Frühjahr zunächst gar nicht mehr in Krankenhäuser und Altenheime gehen durften. Seit Sommer ist die Sterbebegleitung in den Altenheimen wieder möglich, wie auch die Besuche bei erkrankten Menschen zuhause. Das ist sehr schön und wichtig.
Wie läuft eine Sterbebegleitung ab?
Jeder Mensch stirbt anders, das ist jedes Mal ein komplett neues Herangehen und Kennenlernen. Manche Menschen sterben sehr ruhig, gehen leise von dieser Welt. Andere sterben lieber, wenn sie alleine sind und ihre Angehörigen oder wir als Sterbebegleitung mal kurz das Zimmer verlassen. Andere haben einfach Angst. Angst hat eigentlich fast jeder. Sterben ist die persönlichste, fremdeste und existenziellste Situation im Leben. Es ist ein Mysterium, ein Geheimnis, das wir nie ganz begreifen werden. Jeder Mensch muss den Weg selbst gehen, aber es ist gut und tut gut, wenn jemand da ist und es Menschen gibt, die an diesem Sterben Anteil nehmen.
Wie gehen Sie dabei vor?
Ich versuche, eine Beziehung zu dem Menschen aufzunehmen, mich auf den Menschen einzulassen und ihn ein wenig kennenzulernen, sofern ich noch die Möglichkeit dazu habe. Manchmal werde ich auch erst sehr spät dazu gerufen, wo dann der eigentliche Sterbeprozess schon begonnen hat. Aber normalerweise baue ich eine Beziehung zu dem sterbenden Menschen auf, lasse mich auf ihn ein, um ihn zu spüren und wahrzunehmen. Das ist das wichtigste, damit ich dem Menschen dann auch beistehen kann. Eigentlich macht man nicht viel, man sitzt da, man hält die Hand, wenn es gewünscht ist, und redet noch bei Bedarf. Ich begleite Sterbende, damit sie geborgen, schmerzfrei und in Würde bis zuletzt leben können.
Sie wollen den Menschen die Angst vor der Einsamkeit nehmen. Ist das in der Coronakrise noch bedeutender, als zuvor?
Mein Empfinden ist, dass derzeit viele Menschen einsam sind und auch manche einsam sterben, wie zu Beginn der Pandemie. Man darf nicht unterschätzen, dass auch viele Angehörige Vorerkrankungen und einfach Angst haben und nicht mehr so häufig zu Besuchen kommen. Voriges Jahr durfte ich noch mit den Leuten Plätzchen backen oder rausgehen. Das Leben ist einfach derzeit sehr eingeschränkt. Das schlägt ja jedem auf das Gemüt, nicht nur den alten Leuten. Deshalb ist es wichtig, dass wir weitermachen, weil das Gespräch und die Präsenz einfach wichtig sind.
Warum haben Sie sich zu diesem Ehrenamt entschieden?
Mir ging es mein Leben lang gut und ich wusste schon lange, wenn ich nicht mehr berufstätig bin, möchte ich ein sinnvolles Ehrenamt ausüben. Ich habe vor etwa drei Jahren in ihrer Zeitung von einem Termin gelesen, wo sich PalliLev vorgestellt hat. Danach war mir klar, dass ich mich als Sterbebegleiterin ausbilden lassen wollte. Ich möchte etwas zurückgeben und mich bedanken für eine sehr schöne Lebenszeit, die ich bislang hatte. Ich würde es sehr begrüßen, wenn das viel mehr Menschen machen würden.
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Wie haben Sie diese Ausbildung zur Sterbebegleiterin erlebt?
Ich habe Sie bis heute nicht bereut. Es wird einem der Umgang mit Sterben und Tod, die Grundsätze der Sterbebegleitung und die einzelnen Sterbephasen erklärt und man lernt den Umgang mit der eigenen Belastung und die daraus entstehende Reflexion und persönliche Entwicklung kennen. Man lernt immer wieder etwas Neues, auch über sich selbst und so gehe ich aus fast jeder Begleitung auch als Beschenkte heraus. Man lebt dann auch selbst anders und intensiver.
Haben Sie ein Erlebnis, das Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Ich habe ein Ehepaar zu Hause betreut und die Ehefrau begleitet, bis sie leider verstorben ist. Der Ehemann hat mich dann auch zur Beerdigung eingeladen und sich dort für meine Begleitung seiner Ehefrau herzlich bedankt. Er ist jetzt 92 Jahre alt und wir haben den Kontakt weiter gehalten. Er ist dankbar für jeden Anruf und jedes persönliche Gespräch und ab und an sind wir dann auch mal essen gegangen oder zu einem Konzertbesuch.
Haben Sie nicht selbst Angst sich bei Ihren Einsätzen mit Corona zu infizieren?
Nein, sonst würde ich nicht hingehen. Wenn man mit einem Gefühl der Angst da hingeht, dann ist man auch nicht bei der Sache. Und wenn es so wäre, dass es mir nicht gut täte oder ich Angst hätte, würde ich pausieren. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich in einem Heim eher anstecke, als wenn ich im Supermarkt einkaufen gehe. Dort begegne ich mehr Leuten.